Die stetig voranschreitende Digitalisierung sorgt dafür, dass IT-Spezialisten branchenübergreifend händeringend gesucht werden. Trotzdem hat sich das Wunschbewerberprofil vieler Unternehmen kaum verändert: Idealerweise sollen die neuen Mitarbeiter jung, dynamisch und karrierehungrig sein. Für Unternehmen wird es dadurch umso schwieriger, passende Kandidaten für sich zu begeistern, denn die Bewerber werden immer anspruchsvoller. Geht es um die Attraktivität einer Stelle, zählt für qualifizierte Fachkräfte heute nicht mehr allein die Höhe des Gehalts, sondern auch die Unternehmenskultur, das Arbeitsumfeld und die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln.
Doch neben diesen Faktoren gibt es einen weiteren Punkt, wo Betriebe dem chronischen Fachkräftemangel aktiv entgegenwirken können, nämlich indem sie im Recruiting-Prozess mehr Offenheit hinsichtlich der Bewerberprofile zeigen. Der Grund: Einige Bewerbungen werden bereits aussortiert, ohne dass sich der Kandidat überhaupt persönlich vorstellen durfte. Und das, obwohl sein Profil für die ausgeschriebene Position geeignet gewesen wäre.
"Eine interne Auswertung unserer Vermittlungsprozesse hat gezeigt, dass viele Unternehmen bestimmten Kandidaten tendenziell weniger Chancen einräumen, überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden - und das bei gleichwertiger Qualifikation im Verhältnis zu ihren Mitbewerbern für die offene Position", erklärt Thomas Biber, Geschäftsführer der auf das SAP-Umfeld spezialisierten Personalberatung Biber & Associates.
Wer wird zum Bewerbungsgespräch eingeladen?
Bei der Auswertung von Kriterien für eine Jobinterview-Einladung prüfte die Personalberatung insgesamt 3500 Bewerbungsprozesse aus ihrem Praxisalltag. Untersucht wurden dabei Ergebnisse nach den Kategorien Alter, Geschlecht, Nationalität und ob der Bewerber einen deutschen oder ausländischen Namen trägt.
Die Analyse brachte ans Licht, dass es ältere Kandidaten auf dem deutschen Arbeitsmarkt weiterhin schwer haben. In der Kategorie der Bewerber, die 55 oder älter waren, lag die Wahrscheinlichkeit, überhaupt ein Jobinterview zu bekommen, bei gerade einmal knapp 15 Prozent. Damit liegt ihre Chance bei weniger als der Hälfte im Vergleich zu den 35- bis 40-Jährigen (33,6 Prozent). Laut Biber nimmt die Vermittlungsproblematik bei älteren Bewerbern mittlerweile zwar etwas ab, dies sei jedoch nicht auf ein Umdenken der Unternehmen zurückzuführen, dass ältere Bewerber einen größeren Erfahrungsschatz mitbrächten oder für bestimmte Stellen besser geeignet wären.
Biber dazu: "Es ist eher ein aus der Not heraus geborener Kompromiss, weil viele Firmen schlicht und ergreifend die Erfahrung gemacht haben, dass sie es sich nicht mehr leisten können, in Hinblick auf das Alter übertrieben wählerisch zu sein." In der SAP-Welt, so der Arbeitsmarktexperte, bestehe schließlich ein Großteil des Aufgabengebiets darin, die Systeme am Laufen zu halten. Hierfür brauche es keine jungen Dynamiker, die das Rad neu erfinden wollten, sondern Fachkräfte mit Erfahrung, die genau wüssten, was sie täten, wenn etwas schieflaufe, und die Prozesse dann schnell wieder im Griff hätten.
Trotzdem zeige die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt, dass selbst bei Stellenangeboten für Tätigkeiten, die alles andere als dynamisch seien, bevorzugt junge, dynamische Fachkräfte gesucht würden. "Beispielsweise Vakanzen mit den Schwerpunkten SAP Payroll, SAP Basis/Technology, Finance oder Buchhaltung in mittelständischen Unternehmen. Diese sind nicht strategisch orientiert, sondern größtenteils administrativer Natur. In diesen Fällen wird es enorm schwierig, entsprechend junge und karriereorientierte Wunschkandidaten für solch eine Stelle zu begeistern", verdeutlicht Biber.
Gemischtes Interesse für weibliche Fachkräfte
Ein weiteres signifikantes Ergebnis der Auswertung von Biber & Associates wird in Hinblick auf Bewerberinnen im Alter zwischen 30 und 35 deutlich. Bei ihnen lag die Wahrscheinlichkeit für eine Einladung zum persönlichen Vorstellungsgespräch lediglich bei 17,5 Prozent. Sie erhielten von Personalabteilungen nur knapp mehr als halb so viele Einladungen wie ihre männlichen Kollegen in der gleichen Alterskategorie (30,5 Prozent).
Bewerberinnen ab 55 aufwärts hatten laut der Studie nur geringe Chancen (7,4 Prozent). Dafür wurden Frauen unter 30 sowie zwischen 50 und 55 häufiger als ihre männlichen Kollegen eingeladen. Dadurch fällt der Gesamtunterschied bei den Geschlechtern mit 28,1 Prozent für männliche Bewerber und 27,2 Prozent für weibliche Bewerber gering aus.
Unternehmen scheuen rein englischsprachige Fachkräfte
Deutsche Bewerber mit ausländischem Namen hatten laut der Auswertung nur leichte Nachteile. Bei ihnen lag die Wahrscheinlichkeit für ein Bewerbungsgespräch bei 26,6 Prozent im Vergleich zu 30,2 Prozent bei Kandidaten mit deutschem Namen. Ausländische, rein englischsprachige Fachkräfte haben es auf dem deutschen Arbeitsmarkt jedoch sehr schwer.
Hier könnten Unternehmen laut Biber durch Flexibilität bei der Sprache deutlich schneller einen passenden Kandidaten für eine Vakanz finden. Es gebe viele internationale Anfragen durch englischsprachige SAP-Spezialisten beispielsweise aus Indien, Süd- und Osteuropa, der Türkei und dem asiatischen Raum mit erstklassigen Fachkenntnissen, Praxiserfahrung und realistischen Gehaltsvorstellungen. Vor allem Mittelständler aus ländlichen Regionen, für die sich die Personalsuche schwierig gestalte, könnten ihr Fachkräfteproblem lösen, wenn sie sich offener in Bezug auf englischsprachige Mitarbeiter zeigen würden.
Fazit
Der Fachkräftemangel wird sich weiter zuspitzen: Die EU-Kommission schätzt, dass bis 2020 europaweit eine halbe Million Stellen im ITK-Bereich unbesetzt bleiben. Mehr Offenheit bei der Auswahl von IT-Talenten kann für Unternehmen jedoch ein erfolgversprechender Weg sein, offene Positionen schneller zu besetzen.