Wie wird man "CIO des Jahres"? Wenn alle ein Patentrezept hätten, würde trotzdem nur einer gewinnen. Aber es gibt acht Qualitäten, durch die sich, unterschiedlich ausgeprägt und gewichtet, alle Hauptprojekte auszeichnen, mit denen CIOs den Sprung unter die Top 10 in der Kategorie Großunternehmen geschafft haben. Eines dieser Merkmale ist die Größe der Aufgabe, gemessen natürlich an den Möglichkeiten des Unternehmens. Ein anderes: Hat der CIO die Weichen in die digitale Zukunft erfolgreich gestellt?
"Leading-Edge Digital Business"
Die Schindler Group gilt als zweitgrößter Aufzughersteller und größter Fahrsteige- und Fahrtreppenhersteller der Welt. "Leading-Edge Digital Business", das Projekt, mit dem Michael Nilles CIO des Jahres 2015 wurde, soll diesen Konzern digital transformieren. Es ist die dritte Phase der digitalen Umstellung, voraus gingen "IT-Rationalisierung" und "Operational Excellence".
Das Schindler-Geschäft lässt sich grob in Neuanlagen- und Servicegeschäft gliedern. Seit Februar 2013 galt Nilles' besondere Aufmerksamkeit der Digitalisierung des Servicegeschäfts. Die Strategie folgt im Detail vier Ansätzen. "Customer": Der Kontakt zum Kunden soll digitaler und intensiver werden. "Products": Schindler liefert neue Anlagen mit Connectivity-Funktionen aus, so dass Anlagendaten über das Internet der Dinge an eine "Connectivity Platform" gesendet werden können. "People": Servicetechniker und andere Feldmitarbeiter bekommen einen "digitalen Werkzeugkoffer". "Processes": Algorithmen sollen Qualität, Produktivität und Effizienz der Abläufe steigern, zum Beispiel in Form einer Routenoptimierung für Techniker im Außendienst. Bei alldem fallen riesige Datenmengen an, und aus denen sollen sich neue Geschäftsmodelle ergeben.
Damit die IT eine solche Transformation begleiten kann, muss sie sich selbst grundlegend transformieren. Sie muss, und das schnell, lernen, mit disruptiven Techniken zu arbeiten, zum Beispiel mit dem Internet of Things, Big Data und Machine Learning. So anspruchsvoll das ist: Die Technik ist nicht der Kern der Sache. "Digitalisierungsprojekte sind Business-Transformationsprojekte, keine Technologieprojekte", schreibt Nilles sich und seinen Kollegen ins Stammbuch. Die digitale Neuorientierung zum Kunden kommt in traditionellen Fertigungs- und Montageindustrien einer Revolution gleich.
Von Change-Management bis Zentralisierung
Nilles befindet sich in den Top 10* in guter Gesellschaft. Auch Marcus Franke, Director Business Transformation bei Coca-Cola Erfrischungsgetränke (CCE), stellte sich einer unabweisbar gewordenen Frage: Welche neuen Arten des Kundenkontakts ermöglicht und - will man nicht abgehängt werden - erzwingt die Digitalisierung? Frankes Projekt "Connecting-the-Dots" soll auf dem Weg zum Kauf alle denkbaren Kombinationen von physischen und digitalen Interaktionen mit den Kunden ermöglichen. CCE will auch die Firmenkunden mit den Privatkonsumenten vernetzen - für einen Getränkehersteller können das ja die gleichen Leute sein.
Damit sind wir beim dritten verbindenden Merkmal der Gewinnerprojekte: Die IT muss - mehr als bisher - Teil des Business werden. Das Business kann neue Technologien nicht einschätzen und verlangt deshalb von der IT vor allem Anpassungen existierender Lösungen. Beschränkt sich die IT aber darauf, wird sie zur Wachstumsbremse. Damit die IT die Transformation voranbringen kann, müssen sich die Gräben zwischen IT- und Business-Funktionen schließen. In Frankes Fall gelang dies, indem CCE eine gemeinschaftliche Führung im Bereich Business Transformation einrichtete.
Die Zentrale greift durch
Merkmal vier: Alle Top-Ten-CIOs haben sich mit Projekten beworben, in denen es um Zentralisierung, Standardisierung und Vereinheitlichung geht. Wenn die Welt eines Unternehmens sich durch Globalisierung und Digitaltechniken dezentralisiert, ist es umso wichtiger, dass die Zentrale den Überblick behält.
Manchmal muss sie dafür erst einmal die Voraussetzungen schaffen wie Jörg Behrend. Der Global CIO bei Bacardi Martini hat in seiner "'ONE BACARDI' End-to-End Transformation" alle ungefähr 1600 lokalen durch etwa 50 zentrale Business-Applikationen ersetzt, die nun in mehr als 150 Ländern alle wichtigen Geschäftsbereiche unterstützen. Die neue IT soll geräteneutral sein, die alten lokalen File-, Print- und Messaging-Server sollen verschwinden.
Das auf ungefähr 30 Länder verteilte IT-Team entwickelt keine eigene Software, Customizing wird auf das beschränkt, was aus regulatorischen und anderen länderspezifischen Gründen unbedingt nötig ist. Technisch setzt Behrend auf Cloud und Software as a Service (SaaS). Das spare viel Geld, das dann in die Markenentwicklung gesteckt werde. Merger und Akquisitionen können mit der agil gewordenen IT in sechs bis acht Wochen abgewickelt werden.
Solche Umstellungen ändern Abläufe und Arbeitsweisen im ganzen Unternehmen. Alle prämierten Projekte sind - fünftes Merkmal - Change-Projekte, erfolgreiche CIOs sind Change-Manager. Egmont Foth, CIO der SAG Group, hat mit dem "SAGway" den Wandel als ständige Verbesserung verstetigt. SAG liefert Systeme für Strom-, Gas-, Wasser- und Fernwärmenetze, der wirtschaftliche Erfolg der Gruppe hängt von der Qualitätihrer Dienstleistungen ab. Den SAGway beschreibt Foth als "unsere umfassende Plattform zur Erhöhung der Operational Excellence in unseren Prozessen, Organisationsstrukturen und Systemen. Die Weiterentwicklung der Prozesse erfolgt durch unsere Mitarbeiter." Eine Besonderheit dabei sind die Lean-Management-Methoden, die traditionell eher mit Produktion als mit Service in Verbindung gebracht werden.
Der SAGway bündelt das Wissen der Mitarbeiter und ruft sie zum Best-Practice-Sharing auf. Vorrang haben die Kerngeschäftsprozesse vom Auftragseingang bis zur Abrechnung. Bereits verbessert haben sich zum Beispiel die Zeiten vom Aufmaß bis zur Abrechnung, die Arbeitssicherheits- und Qualitäts-Management-Systeme sowie die Transparenz im Baugeräte-Management.
Kostendruck und Patientenwohl
Der Betrieb soll weniger kosten, aber den Patienten soll es besser gehen. Unter diesem Druck stehen Krankenhäuser nicht nur vom Markt, sondern auch noch von der Politik her. Sie müssen handeln. Vielleicht haben es deshalb gleich drei CIOs beziehungsweise IT-Leiter aus Kliniken unter die besten zehn Wettbewerbsteilnehmer geschafft.
Krankenhauspatienten bekommen oft falsche oder falsch dosierte Medikamente. Im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und im Altonaer Kinderkrankenhaus ist die einschlägige Fehlerquote von 39 auf 1,6 Prozent gesunken, seit CIO Henning Schneider das "Klinische Arbeitsplatzsystem am UKE und am AKK Phase II" eingeführt hat. Seither geben dort die Ärzte "patientennah" in ein mobiles Terminal ein, welche Arzneien der Kranke erhalten soll, die Krankenhausapotheke verpackt individuell, und das Pflegepersonal prüft den Barcode. "Phase I" war, Anfang 2011 abgeschlossen, die Einführung der elektronischen Patientenakte.
Das UKE ist nun das einzige vollständig digitale Universitätsklinikum in Europa, und die CIO-des-Jahres-Jury hat Schneider mit dem Innovation Award ausgezeichnet. Das Krankenhaus, vor elf Jahren noch kräftig defizitär, ist profitabel geworden, die Digitalisierung hat dazu einen Beitrag geleistet. Schneider mahnt allerdings: "Ein Wertbeitrag durch IT lässt sich nur erzielen, wenn alle Parallelprozesse wegfallen."
Auch Uta Knöchel hat am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) mit der "Zentralisierung der IT-Applikationen und IT-Services" viel geändert. Binnen drei Jahren ließ die Leiterin der Stabsstelle IT, die zudem als Geschäftsführerin der zwei IT-Töchter des UKSH amtiert, ein TIER-3-Rechenzentrum bauen, zentralisierte die IT-Systeme und übernahm Applikationen in die zentrale Betreuung. Für die Anwender bedeutete das neue Hardware, Programme, Oberflächen, Vorgehensweisen und Standards. Dass davon nicht alle begeistert waren, weiß jeder CIO aus eigener Erfahrung.
In jedem guten Betrieb laufen Anwendungen, die es so sonst nirgends gibt und die seine spezielle Qualität ausmachen. Diese Individualität, das sechste verbindende Merkmal der Gewinnerprojekte, ist bei der Standardisierung ein harter Brocken. Uta Knöchel hatte es mit 300 klinischen Spezialsystemen auch aus Medizintechnik, Forschung und Lehre zu tun, die alle erhoben, bewertet und in die neue IT übernommen werden mussten. Die leistet jetzt ohne Mehrkosten wesentlich mehr als die alte.
Technische Qualität ist das siebte Gewinnermerkmal. Wie vielschichtig selbst ein Vorhaben ausfallen kann, das auf den ersten Blick klar umgrenzt wirkt, lässt sich an Kurt Krubers Projekt "Unified Communication - IP-Fest-Netz-Telefonie und Mobile Kommunikation im Klinikum" verdeutlichen. Binnen zwei Jahren stellte der Leiter Medizintechnik und IT am Klinikum der Universität München die Festnetzkommunikation auf Voice over IP um, ersetzte die Krankenhauspiepser durch Mobiltelefone und Smartphones und integrierte diese Geräte mit der neuen Festnetztelefonie. Kruber gliedert das Projekt in 15 technische Zwischenschritte.
Schwierig war es zum Beispiel, für die nötige Sprachqualität und Unterbrechungsfreiheit der WLAN-Telefonie zu sorgen: Die 200 betroffenen Mobiltelefone sind in einem 14 500 Quadratmeter großen hochtechnisierten Gebäude fast ständig in Bewegung. Kruber möchte den Wertbeitrag der IT durch Big-Data-Themen steigern, die Patientendaten aber kompromisslos schützen. Auf das im Juli in Kraft getretene IT-Sicherheitsgesetz sieht er die Klinik-IT gut eingestellt.
Ein CIO hofft auf die Politik
Dem Aufbau eines "Smart DataCenter" in einer "Deloitte Private Cloud" hat sich Dietmar Schlößer, CIO des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Deloitte Deutschland, verschrieben. Um dafür Genehmigung und Budget zu bekommen, brauchte er einige Überzeugungskraft. Mit seinem Projekt wettet er nämlich auf die "langfristige Zukunft". Am liebsten würde er sich mit seiner IT gleich in der Public Cloud ausbreiten. Der Vorteil für ihn als CIO wäre groß: Geschwindigkeit, Agilität, Vermeiden zäher konventioneller Projekte.
Dem entgegen steht allerdings die Verschwiegenheitspflicht nach Paragraf 203 Strafgesetzbuch. Sie macht es Wirtschaftsprüfern wie Rechtsanwälten und Steuerberatern nahezu unmöglich, Mandantendaten in der Public Cloud aufzubewahren. Schlößers Plan: Wenn die Politik erkennt, dass auch die Public Cloud sicher sein kann, und das Gesetz entsprechend ändert, dann wird Deloitte durch seine Private Cloud bereits Cloud-ready sein. Das würde nicht nur dem Unternehmen helfen, sondern auch seiner IT: Statt sich um Alignment mit dem Business zu bemühen, könnte sie dessen Teil werden.
Einheit durch Trennung
Für sein Projekt "ECOS" (Extended Customer and Offer Solution) bei KHS brauchte Christian Niederhagemann zwei Kernfunktionen: ein Customer-Relationship-Management-(CRM-)System und ein Konfigurationssystem, das die Abfüllanlagen, auf die KHS spezialisiert ist, automatisch auf den jeweiligen Kunden zuschneidet und dann eine sofortige Preisfindung erlaubt.
Weil kein Anbieter beides zufriedenstellend liefern konnte, tat der Executive Vice President Information Technology etwas Ungewöhnliches: Er ließ die Funktionen in zwei autarken Projekten erarbeiten. Am Ende passten sie zusammen, der durchgehende Prozess vom ersten Kundenkontakt bis zum schnellen Angebot war installiert. Als Nächstes sollen die Serviceprozesse integriert werden.
ECOS bringt viel Neues mit sich. Von dessen Notwendigkeit überzeugte Niederhagemann zunächst den Vertriebs- und den für IT zuständigen Finanzvorstand. Dann galt es, die 500 Ingenieure und insgesamt ungefähr 1200 Anwender des neuen Systems zu gewinnen, die in mehr als 30 Ländern für KHS arbeiten. Das ist das achte gemeinsame Merkmal der Gewinnerprojekte: Ihre Betreiber können werben.
"Transforming the IT Infrastructure and Build up Maersk Group IT Infrastructure Services (MGIS)" hieß das Projekt, das Ralf Weißbeck, CIO der Maersk Group, bis Dezember 2014 in Beschlag nahm. Auch hier beruhte die Zentralisierung auf einer Aufteilung. Die Maersk Group ist die größte Containerschiff-Reederei der Welt. Ihre IT-Infrastruktur war instabil und extrem teuer, verschiedene Verbesserungsversuche waren im Lauf der Jahre gescheitert. Im Mai 2013 entschied der Vorstand, den einzelnen Geschäftsbereichen nur ihre Demand-CIOs zu belassen, ihnen aber die IT-Infrastruktur samt den zugehörigen Mitarbeitern wegzunehmen und alle Infrastrukturleistungen in der MGIS zu bündeln, die Weissbeck dann ab August 2013 aufbaute.
Die Zusammenarbeit mit den Demand-CIOs konnte unter diesen Umständen nicht konfliktfrei verlaufen. Sie hatte aber Erfolg: Schnell wurde die IT stabiler und sanken die Kosten. Auch die Infrastruktur-Mitarbeiter gewöhnten sich um: Sie hatten sich bisher vorrangig um den größten Geschäftsbereich gekümmert, müssen nun aber alle gleich behandeln.
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