Das Betriebssystem mag besser sein als seine Vorgänger und so manchen Fehler der Vergangenheit ausbügeln. Doch mit seiner Politik, die User regelrecht zum Upgrade zu drängen und ihnen die Installationsdateien quasi unter der Hand auf den Rechner zu schmuggeln, macht sich der Softwarekonzern nicht nur Freunde.
Schnell und umfassend sollte sich Windows 10 im weltweiten IT-Kosmos ausbreiten. Das war die oberste Maxime der Microsoft-Strategen in Redmond, als sie das neue Betriebssystem Mitte vergangenen Jahres auf den Weg brachten. Der Plan scheint aufzugehen, vor allem auch im Zuge des kostenlosen Upgrades, das der weltgrößte Softwarehersteller Anwendern von älteren Windows-Releases noch bis Ende Juli dieses Jahres anbietet. Anfang 2016 vermeldete die Microsoft-Spitze neue Rekordzahlen, was die Verbreitung von Windows 10 anbelangt. In einem Blog-Eintrag sprach der Softwarekonzern von über 200 Millionen Devices, die weltweit mit Windows 10 liefen. Damit lege die neue Generation das schnellste Wachstumstempo aller bis dato herausgekommenen Windows-Versionen an den Tag.
In die jüngsten Zahlen eingerechnet ist jedoch auch die Spielekonsole Xbox. Die Zahl der unter Windows 10 laufenden PCs taxierten die Web-Analysten von Net Applications zu Jahresanfang auf 164 Millionen Rechner. Damit seien im Dezember 2015 rund zehn Prozent aller PCs weltweit mit dem neuen Microsoft-System gelaufen. Allerdings habe sich das Wachstum mittlerweile verlangsamt. Legte der Marktanteil in den Monaten zuvor noch um 1,4 beziehungsweise 1,3 Prozentpunkte zu, waren es im Dezember nur noch 1,1 Prozentpunkte. Nichtsdestotrotz hält Microsoft an seinen ambitionierten Zielen für Windows 10 fest. Bis 2018 soll das System weltweit auf einer Milliarde Geräte laufen, lautet die Maßgabe von CEO Satya Nadella.
Zumindest im Business-Umfeld könnte die Microsoft-Rechnung aufgehen. So schnell wie auf Windows 10 hätten die Unternehmen nach Schätzungen von Gartner noch nie auf ein neues Betriebssystem von Microsoft gewechselt. Die Marktforscher rechnen damit, dass bis Januar 2017 insgesamt die Hälfte aller Firmen weltweit mit der Installation von Windows 10 begonnen haben werden. "Wir gehen davon aus, dass Unternehmen deutlich schneller als noch bei Windows 7 wechseln werden", prognostizierte Gartner-Analyst Steve Kleynhans.
PC-Plattform erodiert immer weiter
Auch wenn die Zahlen auf den ersten Blick überzeugend wirken, hat Microsoft ein Problem. Windows 10 ist ein Betriebssystem für den PC – und diese Geräteklasse ist weltweit auf dem Rückzug. Laut den Marktforschern von IDC ist der Absatz im vergangenen Jahr auf den tiefsten Stand seit 2008 gesunken. Weltweit verkauften die Hersteller 2015 insgesamt 276,2 Millionen Rechner, das waren 10,4 Prozent weniger als noch vor einem Jahr.
Als Ursachen für die schwindenden Absatzzahlen identifizierten die Analysten eine weiterhin sehr starke Nachfrage nach mobilen Endgeräten wie beispielsweise Smartphones und – die kostenlose Upgrade-Möglichkeit auf Windows 10. Nachdem viele Anwender wohl mit dem Abschied von Windows XP und dem Wechsel auf Windows 7 einen neuen Rechner angeschafft haben, sehen sie nun wenig Anlass, sich erneut einen PC zuzulegen, zumal es die Hardwareanforderungen meistens nicht verlangen. Damit bleibt der Effekt aus, an den die PC-Hersteller seit vielen Jahren gewöhnt waren: dass mit dem Release eines neuen Windows automatisch auch der PC-Verkauf angekurbelt wird.
Vertreter aus der PC-Industrie kritisieren mittlerweile offen die "Gratispolitik" Microsofts. "Ich glaube nicht, dass die Upgrade-Strategie von Microsoft richtig war", sagte erst kürzlich Yang Yuanqing, CEO des weltgrößten PC-Herstellers Lenovo, in einem Interview mit der "dpa". Windows 10 sei zwar ein gutes System, hätte jedoch vor allem mit neuen Geräten eingeführt werden sollen, die optimal auf das neue Windows abgestimmt sind. Das beschere den Kunden dann auch ein PC-Erlebnis, mit dem sie zufrieden seien. Installiere man Windows 10 dagegen auf älteren Maschinen, stelle sich diese positive Erfahrung nicht ein – im Gegenteil: Häufig tauchten Probleme auf, deretwegen sich Kunden beschwerten.
Mittlerweile häufen sich aber auch die Beschwerden von Kunden über die allzu offensiven Upgrade-Maßnahmen Microsofts. So bekommen sämtliche Rechner, die unter Windows 7 beziehungsweise 8.1 laufen, automatisch über das Windows-Update die Installationsdateien – immerhin bis zu rund 6 GB – für Windows 10 aufgespielt, auch wenn die Nutzer ihr Betriebssystem gar nicht upgraden wollen.
Diese Praxis beschäftigt mittlerweile auch die Gerichte. So spricht die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg von "Zwangs-Downloads" und geht seit Mitte Dezember 2015 dagegen vor. "Diese Geschäftspraxis ist inakzeptabel, da sie eine unzumutbare Belästigung darstellt", bewertet Cornelia Tausch, Vorstand der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, die Praxis von Microsoft. Nutzer müssten sich nach dem Download aktiv um eine Beseitigung der Installationsdateien bemühen.
Zwangs-Downloads füllen Speicher
Problematisch ist das Vorgehen aus Sicht der Verbraucherschützer, wenn Anwendern nur wenig Speicherplatz auf ihrer Festplatte oder SSD zur Verfügung steht. Auch bei Internet- Anschlüssen, die nur ein bestimmtes Datenvolumen im Monat zulassen, könne ein solcher "Zwangsdownload" zu Problemen führen. Die Verbraucherschutzzentrale hat Microsoft deshalb bereits abgemahnt. Allerdings habe sich der Konzern bis dato geweigert, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. "Wir werden die Geschäftspraxis von Microsoft daher einer gerichtlichen Prüfung unterziehen", stellte Tausch klar.
Ärger gibt es zudem noch an anderen Stellen. Seit Anfang Dezember vergangenen Jahres häufen sich im Netz die Klagen von Nutzern, deren Rechner nach dem Windows-10-Upgrade nicht mehr richtig funktionierten. Microsoft droht in diesem Zusammenhang eine Sammelklage. Dazu kommt, dass immer noch zahlreiche Hardwaretreiber von Windows 10 nicht unterstützt werden. Der Support etlicher PC-Hersteller, darunter auch renommierter Namen wie Dell und Hewlett-Packard, habe daher einzelnen Kunden mit bestimmten Schwierigkeiten geraten, das Problem mit einem Downgrade zu lösen, berichtete das amerikanische Online-Magazin "Laptop Mag" im vergangenen November.
Für Ärger sorgt auch, dass Windows 10 mehr Daten über das Nutzungsverhalten der User sammelt als jedes andere Windows-System zuvor. Werkzeuge wie die Sprachassistentin Cortana sowie der neue Browser Edge speichern Vorlieben der Anwender und schlagen darauf basierend bestimmte Apps und Dienste vor. Viele dieser Schnüffelfunktionen sind standardmäßig aktiviert. Experten raten den Nutzern daher, schon bei der Installation von Windows 10 nicht die Standardeinstellungen zu übernehmen, sondern die Konfiguration der Privatsphäre selbst in die Hand zu nehmen.
Das ultimative Windows: Laufend neue Updates
Währenddessen halten die Microsoft-Strategen unbeirrbar an ihrem Kurs fest. Künftig will der Hersteller sein Windows-System laufend inkrementell weiterentwickeln. Anwender sollen neue Funktionen der nächsten Stufen im Zuge von Updates automatisch eingespielt bekommen. Dabei wird es keine Major-Releases mehr geben, sondern nur mehr verschiedene Versionen von Windows 10, die fortlaufend durchnummeriert werden. So kam das große Herbst-Update 2015 – Codename "Treshold" – unter der Version 1511 auf die Rechner der Anwender. Und die nächsten Erweiterungen stehen bereits an. Mitte Januar wurde die zweite Insider-Preview für die im Sommer geplante Ausbaustufe "Redstone" gestartet.