Public IT - Nur Pilotcharakter

Microsoft - Projekt-Umsetzung fehlt

11.06.2012 von Johannes Klostermeier
Die Technologien sind vorhanden, deswegen sollten Städte und Kommunen über Prozesse und Vertrauen sprechen, erläutert Public-Chefin Marianne Janik von Microsoft im Interview mit unserer Schwesterpublikation CIO.de.

Microsoft präsentierte im Frügjahr an seinem Cebit-Stand Beispiele einer vernetzten Metropole, die die digitalen Städte von morgen umtreiben: vom Rathaus über Schulen, Kindergärten bis zu den Krankenhäusern. Anhand eines dreidimensionalen, begehbaren Modells sollten die Besucher erkennen, wie der Einsatz von Technologie das Leben und die Verwaltung in der Stadt lebenswerter, bürgerfreundlicher und ökonomisch attraktiver machten könne, so Microsoft. CIO.de sprach über das Projekt "Neustadt" mit Marianne Janik, Direktorin für den Public Sector bei Microsoft Deutschland.

CIO.de: Auf der Cebit hatten Sie die Neustadt als Modellstadt aufgebaut. Smart Cities scheinen derzeit ein großes Thema zu sein.

Marianne Janik, Senior Director Public Sector und Mitglied der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland.
Foto: Microsoft

Janik: Bei Smart City geht es um die sehr großen Metropolen, die wir so in Deutschland nicht haben. Bei uns geht es hier eher um kleinere Städte und Gemeinden, das ist ein großes Thema für unsere Branche. Es geht dort um E-Government und Open Government, E-Health und um Umweltthemen. Für uns war der Treiber zu Beginn die Tatsache, dass über dieses Thema nur sehr theoretisch gesprochen wird. Es geht immer sehr viel um Technologie, Kameras, Sensoren und IT.

Die Bürger wissen zwar oftmals, dass ihre Kommune derartige E-Government-Dienstleistungen bereits anbietet, diese werden aber nicht genutzt. Wir wollten auf der Cebit an Beispielen zeigen, wie der Bürger heute schon mit seinem Rathaus, seinem Krankenhaus oder der lokalen Politik elektronisch kommunizieren kann. Dabei spielt natürlich auch die Cloud als Enabler eine große Rolle. Wir wollen über Neustadt transportieren, wie das aussehen kann. Wir haben viele Projekte, die sehr schön zeigen, wie die Technologie funktioniert. Jede Stadt kann Neustadt sein. Wir sind in Deutschland bisher zu oft das Land der Piloten geblieben.

CIO.de: Es wäre ja schön, wenn es eine reale Vorführstadt geben würde, wie die T-City.

Janik: Wir wollen das nicht nachbauen. Wir möchten aber mit Neustadt unsere Projekte bekannt und transparent machen und Akteure miteinander vernetzen. Das hat auf der Cebit schon sehr gut geklappt. Dort konnte man sehen, was in anderen Kommunen schon umgesetzt ist.

CIO.de: Wie weit ist das Thema in den USA? Gibt es da schon eine solche reale Neustadt?

Janik: Die USA sind mit ihren Herausforderungen mit Deutschland vergleichbar, es gibt aber auch dort keine solche Musterkommune, aber Applikationen mit einem viel höheren Nutzungsgrad. In Miami gibt es mit 311 Miami etwa eine Cloud-Lösung, mit der die Bürger Missstände in der Stadt melden können, wo aber auch die Sicherheitsbehörden Informationen und Gefahrenpotenziale zusammenführen und vieles mehr. Aber auch dort sind noch nicht alle Bereiche integriert.

CIO.de: Die Open-Data-Aktivistin Anke Domscheid-Berg war ja bei Microsoft. Sie streitet für Open Data und ist jetzt bei der Piratenpartei eingetreten. Gibt es jetzt auch einen politischen Schub für Ihre IT-Angebote?

Janik: Absolut, deswegen haben wir diese Themen Open Data und Open Petition in Neustadt integriert. Es gibt auch ein gutes Beispiel, das ist die Plattform Parteezy. Sie bietet den Kommunen eine Sharepoint-Lösung für mehr Bürgernähe in der Politik. Dort können die Städte und Gemeinden ihren Bürgern Arbeitsräume für die Arbeit an Projekten einrichten. Dort können auch Online-Umfragen veranstaltet werden. Parteezy kann mit bestehenden Social-Media-Netzwerken verknüpft werden. Da gibt es gerade ein Pilotprojekt in Baden-Württemberg.

"Das Thema Innovationskultur ist ein wenig ins Stocken geraten"

CIO.de: Nutzt Microsoft diese Tools auch intern im eigenen Unternehmen?

Janik: Ja, das machen wir schon seit vielen Jahren. Es gibt auch bei uns Arbeitsräume, die sieben Tage die Woche 24 Stunden zur Verfügung stehen, und Online-Umfragen, die Entscheidungsprozesse bei uns vorantreiben.

CIO.de: Wie sind Ihre Erfahrungen mit den Städten und Gemeinden bislang?

Janik: Durch unsere Gespräche kann ich sagen, dass das Thema Innovationskultur in Deutschland ein wenig ins Stocken geraten ist. Das wird schon mit Skepsis betrachtet, das hat aber auch mit finanziellen Bedingungen zu tun. Der Fokus liegt generell mehr auf potenziellen Gefahren als auf Chancen. Es gibt aber auch mutige Vorreiter in den Verwaltungen. Dort geht es darum: Wie kann man dem Drängen der Bürger begegnen? Mit Cloud-Lösungen kann man vieles kostengünstiger umsetzen, und da gibt es auch vieles, was schon anderswo finanziert worden ist. Einiges zeigen wir in Neustadt.

CIO.de: Kann denn ein Unternehmen wie Microsoft auch die Politik beeinflussen, Stichwort Nationaler IT-Gipfel?

Janik: Ja, ein innovatives Technologieunternehmen wie wir muss auch die Verantwortung für die Folgen neuer Technologien übernehmen und muss sich mit den Entscheidern darüber auseinandersetzen. Hier geht es um Corporate Technical Responsibility. Wir müssen Transparenz schaffen und aufklären, wie die Technologie genutzt werden kann. Dabei geht es auch um die Themen Sicherheit und Datenschutz. Es geht aber gleichzeitig auch darum, die Augen zu öffnen für die Chancen und die Modernisierungspotenziale. Beides sehe ich als meine Aufgabe an.

CIO.de: Ist Neustadt mehr ein Showcase, wie ist die Zusammenarbeit mit Partnern und wie wichtig ist diese für Microsoft?

Janik: Wir sind in erster Linie ein Software-Unternehmen. Die Lösungen, die wir auf der Plattform präsentieren, benötigen aber natürlich auch Hardware Dabei wollen wir kompatibel sein zu jeglicher Hardware und zu jeglicher Infrastruktur. Wir arbeiten hier stark mit Partnern zusammen, etwa im Umfeld von Telefonie, PCs und Notebooks und der Infrastruktur. Hier gibt es eine Vielzahl an Kooperationen. Das gilt auch für Apple- und Open-Source-Produkten.

"Das frühere Abschotten in Richtung Open Source gibt es nicht mehr"

CIO.de: Ist der Glaubenskrieg um Linux vorbei?

Janik: Es gibt immer wieder Versuche eine dogmatisch geprägte entweder oder Diskussion zwischen Open Source und kommerzieller Software zu führen.

Hauptsache, es ist wirtschaftlich, finden die meisten CIOs. Dann ist es egal, ob Open Source oder Microsoft.
Foto: Microsoft

Den Entscheidern geht es aber inzwischen ausschließlich darum, die richtige Technologie für die entsprechende Anwendung einzusetzen. Haupttreiber ist auch die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung in der öffentlichen Verwaltung. Auf der politischen Ebene mag es noch gelegentliche polemische Auseinandersetzungen geben, die aber in der Realität der IT-Entscheider inzwischen sachbezogen behandelt werden.

CIO.de: Wie ist das bei Microsoft selbst?

Janik: Wir wollen als Unternehmen eine breite Interoperabilität herstellen. Das frühere Abschotten in Richtung Open Source gibt es nicht mehr. Mittlerweile laufen mehr als 400.000 Open-Source-Applikationen auf der Windows-Plattform. Auf unserer eigenen Open-Source Hosting-Plattform, namens Codeplex sind über 28.000 aktive Open Source Projekte zu finden.

CIO.de: Was halten Sie von App-Stores für Kommunen?

Janik: Auf der Cebit gab es ja von Bundesinnenministerium den Wettbewerb „Apps für Deutschland". Wir begrüßen das, Apps finden sich auch in Neustadt. Wichtig ist es, Lösungen, die sich bewährt haben, auf andere Länder und Kommunen zu übertragen – ob im App Store oder auf anderen Wegen.

"Es geht auch immer um Prozesse und die rechtlichen Rahmenbedingungen"

CIO.de: Wo hapert es bei den Kommunen noch?

Janik: Es hapert daran, den richtigen Weg zu finden, wie Dinge umgesetzt werden können. Es geht nicht nur um die Technologie, sondern auch um Prozesse und rechtliche Rahmenbedingungen, die sich dahinter verbergen. Die müssen oftmals verändert werden. Es geht auch darum, die Mitarbeiter auf diese Reise mitzunehmen. Das kommende E-Government-Gesetz in Deutschland wird wichtige Impulse geben, um bestehende Hürden auszuräumen.

CIO.de: Was ist Ihr Leuchtturmprojekt, mit dem Sie werben?

Janik: Zum einen ist das die Beteiligungs-Plattform Parteezy, über die wir schon gesprochen haben. Sie hat großes Potenzial. Das andere ist eine Sicherheitsplattform, auf der Rettungskräfte in Echtzeit zusammenarbeiten können. In Duisburg haben wir gesehen, wie wichtig so etwas ist. Hier bietet Cloud Computing die Möglichkeit, bei Katastrophen sehr schnell auf einer gemeinsamen Plattform zu arbeiten und zu kommunizieren, auch wenn alle verschiedene IT-Systeme benutzen. Beim Projekt „Spider" des Bundesbildungsministeriums sind die Polizei NRW und das Deutsche Rote Kreuz Projektteilnehmer auf der Microsoft-Cloud-Plattform.

CIO.de: Wie fällt Ihr Fazit nach einigen Jahren im Bereich Public ICT aus?

Janik: In Deutschland hat vieles noch Pilotcharakter. Wir bleiben dabei hinter unseren Möglichkeiten zurück. Die Technologien sind vorhanden, wir sollten deswegen nicht mehr so viel über Technologie sprechen, sondern viel mehr über die Prozesse dahinter - und auch über das Thema Vertrauen. Die Öffentliche Verwaltung könnte hier eine Vorreiterrolle für den Standort Deutschland übernehmen - zusammen mit Bürgern und Unternehmen.

Projekte Parteezy und Spider im Detail

"Parteezy": Auf dieser Plattform können die Städte und Gemeinden ihren Bürgern Arbeitsräume für die Beteiligung an Projekten einrichten, die sieben Tage die Woche rund um die Uhr verfügbar sind. Parteezy bietet auch Online-Umfragen an und will die eigene Software mit bestehenden Social-Media-Netzwerken verknüpfen. Die Plattform vereinigt interne und externe Kommunikation. Funktionen sind unter anderem: Diskussionsforen, Kontakt- und Nutzermanagement, Umfragen, Wissenswikis, Schnittstellen zu Dokumentenmanagement und zu Social Media.

Projekt "Spider": Wie Cloud Computing die Zusammenarbeit von Feuerwehr, Ärzten und Polizei optimieren, demonstriert das gemeinsame Forschungsprojekt Spider des Deutschen Roten Kreuzes, des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste der Polizei NRW und Microsoft Deutschland. In der Microsoft-Cloud lassen sich die verschiedenartigen IT-Systeme aller Rettungskräfte mit dem bestehenden GSL.net verknüpfen, dem IT-Programm der Helfer für größere Schadenslagen. Über eine Schnittstellenentwicklung auf Windows Azure können in Echtzeit Informations- und Datenströme der Helfer parallel koordiniert werden.

Marianne Janik ist bei Microsoft Deutschland für den gesamten Bereich Public Sector zuständig. Dazu gehört der Bereich Gesundheit, Forschung und Bildung und die öffentliche Verwaltung. Janik ist Juristin und war lange in unterschiedlichen Funktionen bei Daimler-Crysler tätig, mit einer kleinen Unterbrechung bei einer Unternehmensberatung.

Dort hat sie drei Jahre lang in der SAP-Beratung gearbeitet, bevor sie zu einer EADS-Tochter zurückgekehrt ist. Danach hat sie noch einen Ausflug in den Bereich Smart Metering als Geschäftsführerin bei dem Unternehmen Elster Messtechnik unternommen.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation CIO.