Die Nachricht dürfte dem Amazon-Management gar nicht schmecken: Der Luftfahrtkonzern und AWS-Kunde Boeing wird seine Analytics-Anwendungen künftig auf Microsofts Azure-Plattform betreiben. Dabei sollen auch die Cortana-Analytics- und die IoT-Suite des Softwarekonzerns zum Einsatz kommen. Mit den neuentwickelten Anwendungen könnten die rund 300 Airline-Kunden Boeings ihre Flotten effizienter verwalten und den Treibstoffverbrauch optimieren, erklärte Andrew Gendreau, Director in Boeings Digital-Aviation-Sparte, gegenüber der CW-Schwesterpublikation CIO.com. Für Microsoft ist der Deal nicht nur finanziell interessant, sondern auch ein dicker Punktgewinn im Kampf gegen den großen Rivalen Amazon Web Services.
Besonders schmerzen dürfte die AWS-Marketiers, dass Microsoft damit den Einstieg in ein umfassendes Transformationsprojekt geschafft hat. Laut Gendreau wird Microsoft dem Flugzeugbauer dabei helfen, Analytics-Anwendungen zu entwickeln, die etwa Predictive-Maintenance-Konzepte in der Flugzeugwartung ermöglichen. Piloten, Mechaniker oder Flugbegleiter könnten künftig auf Echtzeitdaten aus den Maschinen zurückgreifen und so das Fliegen in der margenschwachen Airline-Branche insgesamt effizienter machen.
"Flugzeuge werden immer intelligenter und die Betreiber wollen immer genauere Daten darüber, was in einer Maschine gerade vor sich geht", kommentierte Greg Jones, Microsofts Global Industry Director für die Travel-Sparte, das Projekt. "Das ist eine gute Gelegenheit, um zu demonstrieren, wie Transformation in der Luftfahrtbranche funktionieren kann." Erst vor wenigen Wochen hatte Microsoft einen ähnlichen Erfolg gemeldet: Der Siemens-Konkurrent General Electric (GE) wird seine IoT-Plattform Predix ebenfalls auf Azure betreiben.
Die beiden Großprojekte zeigen, wie weit Microsoft in den vergangenen Jahren mit seiner Azure-Plattform gekommen ist. Als Pionier im Geschäft mit Cloud-Infrastruktur hatte sich AWS schon früh einen scheinbar uneinholbaren Vorsprung erarbeitet und rasch auch große Unternehmenskunden gewonnen, darunter Netflix, Capital One, Pfizer oder der Geheimdienst CIA. Microsoft dagegen startete spät in die Cloud. Erst unter dem neuen CEO Satya Nadella gewannen die Cloud-Bemühungen rund um Azure an Fahrt. Nadellas Strategie "Mobile first, Cloud first" wird mittlerweile auch von vielen CIOs ernstgenommen.
Azure macht Boden gut im Duell mit Amazon Web Services
"Die Tatsache, dass Boeing sein Projekt gemeinsam mit Microsoft und nicht mit AWS macht, zeigt, dass Azure Boden gut gemacht hat," urteilt denn auch Gartner-Analyst Ed Anderson. "Für Microsoft ist es immens wichtig, solche Deals zu gewinnen." Der Erfolg lässt sich auch an Zahlen festmachen. Zwar weist Microsoft seine Azure-Umsätze nicht separat aus. Für das abgelaufene vierte Quartal meldete der Anbieter aber eine Umsatzsteigerung um 102 Prozent für die Plattform.
Andererseits verkündet auch AWS stetig neue Erfolge und hat sich für den Amazon-Konzern zum entscheidenden Gewinnbringer entwickelt. Im abgelaufenen zweiten Quartal erzielte AWS eine Umsatzsteigerung von 58 Prozent auf fast 2,9 Milliarden Dollar und einen operativen Gewinn von 718 Millionen Dollar. Geht es in diesem Tempo weiter, schafft AWS das von CEO Jeff Bezos für 2016 vorgegebene Ziel von 10 Milliarden Dollar Jahresumsatz locker. Bisher deutet kaum etwas auf ein abflauendes Wachstum hin. Mittlerweile hat auch der SaaS-Gigant Salesforce.com AWS zum bevorzugten Provider für Infrastruktur aus der Public Cloud erkoren. Große Unternehmen wie Kellog's, Brooks Brothers oder Ferrara Candy Company betreiben sogar ihre geschäftskritischen SAP-Anwendungen auf AWS-Systemen.
"AWS hat einen komfortablen Vorsprung und setzt weiter auf schnelle Innovationen als wettbewerbsdifferenzierenden Faktor", kommentiert Meaghan McGrath, Analyst bei Technology Business Research, die Marktverhältnisse. "Angesichts der erstarkenden Konkurrenz und der wachsenden Akzeptanz von Hybrid-Cloud-Szenarien könnte es für AWS aber künftig schwieriger werden, Kunden zu gewinnen."
Der Konkurrenzkampf im Cloud-Geschäft wird sich jedenfalls weiter verschärfen, darin sind sich die meisten Experten einig. Und das liegt nicht nur an Microsoft, sondern auch an mächtigen Playern wie Google, Oracle und IBM, die nun ebenfalls voll auf die Cloud-Karte setzen. Erst kürzlich erklärte Jim Comfort, CTO für die IBM Cloud, wie der Konzern mit einer ausgeprägten Branchenorientierung im Cloud-Markt punkten will. Oracle will gar 9,3 Milliarden Dollar für den Cloud-Pionier Netsuite auf den Tisch legen.
Für AWS sind auch das keine guten Nachrichten, denn die oft als Dinosaurier verspotteten IT-Riesen können auf eine riesige installierte Basis bei ihren Kunden bauen. Gelingt es IBM, Microsoft und Oracle, auch nur einen kleinen Teil dieser Legacy-Systeme durch Cloud-basierte Systeme abzulösen, würde das schon ein sattes Wachstum bedeuten. Zwar hat auch AWS diverse Migration Services für solche Fälle im Angebot. Doch dem Cloud-Pionier dürfte es ungleich schwerer fallen, einschlägige Projekte an Land zu ziehen.
Dessen ungeachtet entwickelt sich der Cloud-Markt insgesamt weiter positiv und bietet damit nicht nur den großen Playern gute Perspektiven. Nach Erhebungen des Marktforschungsunternehmens Canalys sind die weltweiten Ausgaben für Infrastruktur-Services aus der Cloud im zweiten Quartal 2016 um 52 Prozent gewachsen.
Mit Material von IDG News Service.