Lizenzen und Cloud

Microsoft verspielt sein Vertrauen bei CIOs

17.12.2014 von Horst Ellermann
Der Software-Riese droht mit "friendly" Audits, stellt Kunden unter Generalverdacht und will sie an die Cloud binden. Drei CIOs berichten, wie die Geschäftsbasis zu zerbrechen droht.

Die Liste ist lang: Microsoft überfordere Unternehmen mit seinen Lizenz- und Nutzungsmodellen, ver­tusche Lizenzinformationen und drohe mit Audits. "Micro­soft nutzt sein Monopol bei Office und Windows und untergräbt dabei das über Jahre aufgebaute Vertrauen in die Konstanz von Verträgen und Preisen", sagt Hans-Joachim Popp, CIO des "Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt" (DLR).

Zudem gehe Micro­softs neue Leitstrategie "Mobile First - Cloud First" an den Anforderungen vieler Unternehmenskunden vorbei, so Thomas Schott, CIO von Rehau. Er befürchtet wie sein Kollege Erich Ehbauer, CIO von Apollo-Optik, dass die neue Strategie seine Investitionen in Microsoft-Lösungen wertlos macht. Alle drei CIOs halten die Cloud sogar für eine Waffe in der Lizenzpolitik von Microsoft.

CIO.de: Sie werfen Microsoft vor, seine Lizenzpolitik zu verschärfen. Woran machen Sie das fest?

Schott: Laut Microsoft will man Großkunden künftig alle drei Jahre einer weltweiten Lizenzüberprüfung unterziehen, so auch Rehau in diesem Jahr. 2014 waren bislang Argentinien und die Schweiz im Fokus.

Thomas Schott, CIO bei Rehau: „Wir werden Office 2007 rund acht Jahre lang einsetzen und damit mehrere Millionen Euro sparen.“

Ehbauer: Ich habe ein Audit bekommen. Auslöser waren die CALs in den Filialen für die zentralen Windows-Server. Microsoft hielt die Situation in unseren Filialen für undurchsichtig. Streitpunkt sind zum Beispiel die Mitarbeiter, die wenige Stunden pro Woche arbeiten. Für die kann ich keine volle Lizenz bezahlen. Auch die Anzahl der Geräte zu lizenzieren hilft uns nicht weiter, auch hier werden viele Clients sehr selten benutzt. Bei den Verhandlungen vor zwei Jahren für Office 365 waren wir auf einem guten Weg, ich bekam ein Angebot, das auf Kiosk-Lizenzen für Office 365 basierte und in der Filiale immer vom aktuell anwesenden Verantwortlichen benutzt werden durfte. Das hat Microsoft aber jetzt gekippt. Nun habe ich mein erstes Audit überhaupt. Microsoft nennt es ein "friendly Audit".

Popp: Witziger Ausdruck. Klingt in meinen Ohren wie: Wir können auch anders.

Ehbauer: Ja, so muss man das sehen. Friendly Audit heißt ja nur, man kann den Partner wählen, mit dem man dann zusammen die Lizenzsituation prüft. Dafür werden wir etwa 50 Manntage aufwenden und rund 40.000 Euro für den Partner bezahlen müssen.

CIO.de: Microsoft traut Ihnen offenbar nicht mehr zu, die Lizenzierung sauber handzuhaben. Ist die Situation in Ihren Unternehmen so schwer nachzuvollziehen?

Ehbauer: Unsere Zahlen sind valide. Wir haben 798 Filialen in Deutschland und lizenzieren immer pro Filiale. Das mache ich mit anderen Lieferanten ebenso.

Popp: Microsoft verkompliziert die Lizenzierung gerade enorm. Das Enterprise Agreement war bislang eine sichere Angelegenheit, weil es auf Unternehmensgröße und -ausstattung basierte. Es reichte, die Anzahl der Mitarbeiter zu nennen. Das möchte Microsoft jetzt zurückdrehen, ohne sich der enormen Auswirkungen für den Geschäftsbetrieb bewusst zu sein.

Der Nachweis von gezählten Lizenzen würde sich drastisch ändern. Nun sollen wir die Programme auf jedem Rechner und deren Lizenzen genau erfassen. Das ist ein Riesenproblem. Bei mir haben die meisten Wissenschaftler mehrere Rechner. Und jetzt sollen wir jede einzelne Lizenz zählen? Das wirft große administrative Probleme auf, die richtig Geld kosten.

Schott: Zudem bleiben die Regularien, um die Compliance zu erhalten, ziemlich komplex. Microsoft rühmt sich zwar, den EA-Rahmenvertrag von 30 Seiten auf acht reduziert zu haben, allerdings bleiben die komplexen Regeln für alle Einzelprodukte bestehen. Etwa wenn ich Hardware außer Betrieb nehme, muss ich auch die OEM-Windows-Lizenzen neu kaufen - sogar wenn ich sie im Enterprise Agreement habe.

"Lizenzen haben ein unkalkulierbares Eigenleben entwickelt"

CIO.de: Das ist aber nicht neu. Die Lizenzregeln waren schon immer komplex.

Popp: Stimmt. Aber die Lizenzen haben mittlerweile ein unkalkulierbares Eigenleben entwickelt. Micro­soft reicht einseitig Änderungen des Vertrags ein, ohne die Modelle dann wirklich auf Praktikabilität zu prüfen. Wir müssen uns die Konsequenzen dann selbst zusammenreimen. Und der Vertrieb trägt hier leider auch nicht zur Klarheit bei, sondern bekommt Order von der Zentrale und versteckt sich dahinter. Ein heftiger Punkt, aber den kann man bewusst so ansprechen.

Hajo Popp, CIO beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR): „Microsoft verkompliziert die Lizenzierungen gerade enorm.“
Foto: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Ehbauer: Ich habe es auch erlebt: Da werden Dinge verschwiegen, die einen weiterhelfen würden. Man wird bewusst in die Irre geführt.

Schott: Microsoft lässt die Kunden in Unsicherheit. Dabei möchte ich als Kunde eine langfristige Beziehung zum Lizenzgeber. Der weiß auch, dass ich nicht einfach woanders hingehen kann. Das verlangt eine Kontinuität in der vertraglichen Ausgestaltung - die Microsoft zunehmend untergräbt. Man erhält von Microsoft in letzter Zeit auch keine belastbaren Roadmaps im Bereich Office, SharePoint, Exchange bis hin zu Windows. Dabei muss ich bei einem dreijährigen Enterprise Agreement wissen, welche Gegenleistung ich als Kunde für einen solchen Vertrag in Millionenhöhe erhalte.

Popp: Das ist ein ganz wichtiges Qualitätskriterium für einen Anbieter. Wir sind auf Kontinuität angewiesen. Da hängen Investitionsentscheidungen davon ab, ob ich der Weiterentwicklung durch den Anbieter vertrauen kann. Wie weit legt er sich dabei fest? Ich weiß nicht, ob sich bei Microsoft einer vorstellt, was das für uns bedeutet, wenn SharePoint nicht mehr als On-Premise-Version weiterentwickelt wird.

Wir haben massiv in Beratungsleistung investieren müssen, um unsere Dateninhalte von SharePoint 2007 auf Version 2010 und dann nach 2013 zu bringen. Da steckt richtig Arbeit drin. Dann krieg ich einfach so kalt gesagt, dass es nur noch eine On-Premise-Version geben wird und danach alles in die Cloud wandert, was für uns aus Sicherheitsgründen ja gar nicht infrage kommt.

CIO.de: Wie hoch ist denn mittlerweile Ihr Aufwand für das Lizenz-Management?

Popp: Allein das Zählen verursacht einen hohen Aufwand. Wir investieren pro Jahr 60.000 Euro plus ein Personenjahr über mehrere Mitarbeiter verteilt für die Führung der Software-Assets.

Schott: Zentral kostet mich das Lizenz-Management für Microsoft eine komplette Vollzeitstelle. Dazu kommen Aufwendungen in mehr als 50 Ländern, die von verschiedenen Mitarbeitern erbracht werden und in Summe bei 500 bis 600 Manntagen pro Jahr liegen dürften. Das reicht Microsoft aber scheinbar nicht: In dem Resümee zu einer von Microsoft beauftragten Reifegradanalyse hinsichtlich unseres Lizenzmanagements wurde die "knappe" Kapazität auch noch bemängelt.

CIO.de: Herr Ehbauer, warum konnten Sie das Audit nicht abwenden? Microsoft galt doch immer als fairer Verhandlungspartner.

Ehbauer: Die Lizenzverhandlungen haben sich spürbar verschärft. Meine ehemaligen Account-Partner waren immer bereit, Wege zu gehen, die für beide Seiten fair waren. Denn mir ist schon klar: Ich kann nicht Lösungen an 900 Filialen schicken ohne Lizenz dafür. Aber ich zahle nicht Tausende von Euro, um ein PDF zu verschicken. Der Business-Case muss stimmen. Sonst mache ich das anders. So konnte ich immer verhandeln. Dann kam ein neuer Ansprechpartner. Und der ist von Haus aus davon ausgegangen, wir seien nicht sauber lizenziert. Auf die Frage, wie er darauf komme, hat er geantwortet: "Weil kein Unternehmen sauber lizenziert ist."

Schott: Diese Position ist sogar rechtlich fragwürdig. In einem Forderungskatalog gegenüber Lizenzgebern schreibt ein Rechtsanwalt des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik: "Grundsätzlich sind anlasslose Audits abzulehnen. Es besteht kein Rechtsgrund dafür."

Ehbauer: Wenn ich mich umhöre, erzählen viele, dass ihr Account-Partner anders präpariert ist. Daher komme ich zu dem Schluss: Es gab einen Umschwung. Microsoft stellt Unternehmen unter Generalverdacht.

Popp: Ich denke, wir haben für Microsoft über viele Jahre genügend Aufbauleistung und Beta-Testing gemacht, zig Mal ein Auge zugedrückt, wenn ein fehlerhaftes Systemverhalten uns Ärger und Geld gekostet hat und wir haben außerdem Tausende junge Leute an die Produkte herangeführt. Da dürfen wir im geschäftlichen Umgang entsprechenden Respekt und Fairness erwarten. Das scheint aber derzeit in Vergessenheit geraten zu sein.

CIO.de: Haben Sie den Eindruck, Microsoft nutzt sein Monopol im Bereich Office-Lösungen und Client-Betriebssysteme aus?

Popp: Einseitige Vertragsänderungen kann man nur aus einer Monopolstellung heraus durchsetzen. Wir fühlen uns jedenfalls derzeit nicht als gleichberechtigte Partner. Damit wird natürlich auch der hausinterne Druck größer, Alternativprodukte zu fördern und anzuwenden. Wir haben ja schon immer eine große Linux-Gemeinde. Die bekommt jetzt natürlich massiv Oberwasser. Und ich kann zum Thema Preisgestaltung keine verlässlichen Vorhersagen mehr machen. Damit ist unser Vorstand vollkommen unzufrieden. Planungssicherheit ist eines der wichtigsten Kriterien für die Einschätzung der Seriosität eines Anbieters. Die ist jetzt völlig verloren gegangen.

Schott: Ich führe immer wieder Diskussionen mit meinem Management über die extrem hohen Ebitda-Spannen von Microsoft. Letztendlich spiegelt das Ebitda der Anbieter die Monopolisierung des Marktes wider.

CIO.de: Ihre Kritik gilt aber nicht für den Server- oder im Datenbankbereich?

Ehbauer: Im Server- oder im Datenbankbereich ist das Preis-Leistungs-Verhältnis von Microsoft fairer, etwa im Vergleich zu Linux-Versionen. Die Produkte sind auch stabil.

Schott: Wir lösen jetzt unsere Management-Lösung von HP durch Microsoft System Center ab. Aber das sind im Vergleich ein paar 100.000 Euro über Jahre hinweg zu Millionen für Office und Windows pro Jahr.

Microsofts Cloud-Strategie ist eine Waffe der Lizenzpolitik

CIO.de: Microsofts neue Leitstrategie lautet: Mobile first - Cloud first. Was bedeutet das für Ihre Investitionen?

Ehbauer: Aus Sicht der Lizenzpolitik ist diese Cloud-Strategie sogar eine Waffe. Früher war man Microsoft-abhängig, aber nicht versionsabhängig. Wir haben etwa eine Office-Version komplett ausgelassen und so Hunderttausende Euro gespart. Im Mietmodell ist das nicht möglich.

Erich Ehbauer, CIO bei Apollo-Optik: „Wir hoffen, dass Microsoft die Lage richtig erkennt und die Politik eines fairen Miteinanders wieder aufnimmt.“
Foto: Joachim Benner

Schott: Wir haben das ebenso gemacht und in der Krise Ende 2008 das Office aus dem Enterprise Agreement herausgenommen, weil wir nicht alle drei Jahre ein neues Office wollten. So werden wir Office 2007 rund acht Jahre lang einsetzen und damit mehrere Millionen Euro sparen. Daneben wurde ein erheblicher Schulungsaufwand bei den Mitarbeitern eingespart.

Popp: Wir haben das Enterprise Agreement für alle Client-Anwendungen, weil wir dann frei die jeweils passenden Versionen installieren können und es die Lizenzierung vereinfacht - aber nicht um der neuesten Version willen. Im Gegenteil. Bei uns ist Windows 8 derzeit gar nicht gestattet. Es ist ein bei uns unerprobtes Betriebssystem, das bei der jetzigen Sicherheits- und Kompatibilitätssituation nur zusätzlichen Aufwand erzeugt. Und der funktionelle Zuwachs, der uns ein besseres Geschäft erlaubt, hat - bei Licht betrachtet - bereits mit Windows XP aufgehört. Ab da ist nichts Substanzielles mehr hinzugekommen.

Ehbauer: Es gibt wenige Bereiche wie das Marketing, die neue Funktionen sinnvoll einsetzen können. Aber der klassische kaufmännische Bereich benötigt sie nicht. Für diese Bereiche reicht das halbe Entwicklungstempo. Deshalb haben wir nie ein Enterprise Agreement abgeschlossen, weil die Zyklen nicht zu uns passen. Mit der Cloud würde man die Versionssprünge mitmachen müssen - und natürlich Monat für Monat bezahlen. Dabei zwingt uns eine Cloud nur die neuen Funktionen auf.

Popp: Und laufen natürlich Gefahr, dass damit Preis­politik betrieben wird. Könnte sein, dass der Preismittelfristig so volatil wie der Ölpreis wird. Oder man macht es so wie die Social-Media-Anbieter und fährt die Funktionen schrittweise herunter. Dann führt man Premium-Stufen ein, die man sich teuer bezahlen lässt.

CIO.de: Was sollte denn Microsoft Ihrer Meinung nach tun?

Popp: Statt ständig neue Funktionen einzubauen, die den Anwender überfordern, könnte Microsoft mal ein Windows liefern, das nicht langsamer wird, sondern schneller. Ein konsolidierter Code, das wär mal etwas. Unnütze Routinen rauswerfen, historische Module geschickt auf Zukunftssicherheit umbauen - dafür würde ich bares Geld auf den Tisch legen, wenn ich zum Beispiel nur noch die Hälfte des Speichers benötige. Aber das habe ich in 20 Jahren Microsoft Windows leider noch nicht erlebt. Es ist eine kontinuierliche Verschlechterung von Leistungsfähigkeit, Kontinuität der Bedienoberfläche, Patch-Aufwand. Einem Software-Ingenieur bei uns in der Raumfahrt würde man das um die Ohren hauen.

Microsoft bringt aber in erster Linie neue Funktionen und weckt so die Begehrlichkeiten beim Anwender, der sich die Schwierigkeiten bei der Migration gar nicht vorstellen kann. Wir können bezeugen, dass die vielen Funktionen die Nutzer eher verwirren. Sie müssen komplett umlernen. Meine Botschaft an Microsoft: Verbessert die Produkte bezüglich Betreibbarkeit, Kompatibilität und Kontinuität, dann sind wir auch bereit, gutes Geld in die Hand zu nehmen.

Schott: Viele Anwender kommen sogar mit den älteren Versionen besser zurecht. Umso schlimmer, wenn man die dann nicht mehr erhält.

Der Zug für Windows Phone ist abgefahren

CIO.de: Und im Bereich Mobile? Wir reden jetzt seit fünf Jahren davon, dass es schön wäre, bekäme Microsoft Windows Phone genügend Stabilität und Akzeptanz der Anwender.

Schott: Microsoft ist seit mehr als zehn Jahren im Mobile-Geschäft aktiv und hätte die größten Potenziale. Wir würden liebend gern Microsoft Mobile einsetzen aufgrund der einfacheren Integration als bei iPhones und iPads. Und alle Geräte in einem System, das wäre aus Administrationssicht ein Traum. Aber bis vor wenigen Wochen gab es noch massive Einschränkungen bei der Verteilung von Zertifikaten und Profilen auf Windows-Mobile-Geräten. Nach wie vor werden nicht einmal Testgeräte mit Windows Mobile nachgefragt.

Ehbauer: Wir haben Apple als Mobile-Welt und ein paar BYOD-Geschichten mit Android.

Popp: Wir haben hauptsächlich Apple im Einsatz. Windows Phone ist ebenfalls erlaubt, aber bei den Mitarbeitern völlig ins Hintertreffen geraten. Nur einige strategische Pilot-Nutzer setzen es ein. Die letzten Versionen wurden bislang von den Anwendern nicht akzeptiert.

Schott: Wenn ich von 30 000 Nokia-Mitarbeitern 18 000 entlasse, sehe ich das als klares Zeichen, dass da nichts mehr zu erwarten ist. Ich sage "Mobile first", und schicke meine Mobile-Leute in die Wüste? Das ist das verkehrte Zeichen. Ich glaube, der Zug für das Windows Phone ist abgefahren.

CIO.de: Wie soll es nun weitergehen?

Popp: Dies ist eine Nachricht an Microsoft. Uns treibt eine berechtigte Sorge um diese innovative Firma, die sie mal gewesen ist. Wir wollen Microsoft eigentlich vor dem Untergang bewahren. Bei der derzeitigen Vorgehensweise aber verspielt Microsoft seinen Kredit bei den Kunden.

Ehbauer: Wir hoffen, dass Microsoft die Lage richtig erkennt und die Politik eines fairen Miteinanders wieder aufnimmt. Microsoft muss handeln, sonst tun es mittelfristig die Anwenderunternehmen. Das ist bei den Diskussionen im Kollegenkreis klar vorauszusehen.