Tagesabläufe von 94 Chefs untersucht

Misserfolgsrisiko CEO

09.06.2011 von Werner Kurzlechner
Eine Governance-Studie der Harvard Business School zeigt verblüffende Zusammenhänge zwischen Zeiteinteilung der Chefs und Produktivität auf.

Einige Fragen an den CIO: Was macht eigentlich der CEO den lieben langen Tag? Bekommt man ihn oft selbst zu Gesicht oder hört von Kollegen Berichte über Meetings? Was also tut der Vorstandsvorsitzende so: fleißig zum Wohl der Firma rackern oder faulenzen? Und falls er viel macht: Tut er das tatsächlich zum Wohle des Unternehmens und seiner Mitarbeiter? Das mag sich jetzt nach einer Einladung zum Kantinenklatsch anhören, ist aber Gegenstand einer Untersuchung der renommierten Harvard Business School. Die Pointe daran: An den Antworten lässt sich tatsächlich ablesen, wie es um die Erfolgsaussichten eines Unternehmens bestellt ist.

Schaute italienischen CEOs in den Terminkalender: Forscherin Raffaella Sadun.
Foto: Harvard Business School

Die Forscherinnen Oriana Bandiera, Luigi Guiso, Andrea Prat und Raffaella Sadun, letztere Assistenzprofessorin am Strategie-Lehrstuhl der Wirtschaftshochschule, haben den Tagesablauf von 94 CEOs großer italienischer Firmen detailliert unter die Lupe genommen. Zum einen können sie in ihrer Studie dadurch beantworten, wie die Chefs ihr Zeitbudget aufteilen – was zwar spannend, aber für sich genommen eher trivial ist. Zum anderen leiten sie daraus aber eine kleine Typologie ab und zeigen überraschende Zusammenhänge zur Produktivität und den Governance-Strukturen im Unternehmen auf.

Als erstes lässt sich feststellen, dass es - analog zur Gaußschen Normalverteilung – emsige und weniger umtriebige Top-Manager gibt. Ein Viertel der CEOs spult wöchentlich ein Pensum zwischen 35 und 40 Wochenstunden ab, jeweils ein Fünftel etwas mehr oder etwas weniger. Es finden sich aber auch Vorstände, die es mit nur etwa 20 Wochenstunden anscheinend gemächlich angehen lassen, und solche, die an der 60-Stunden-Marke kratzen. Der Fairness halber bleibt anzumerken, dass nur die Büroarbeitszeit gezählt wurde. In der auf den ersten Blick wenig engagierten wirkenden Gruppe können sich also durchaus Manager befinden, die jede Menge Arbeit nach Feierabend oder am Wochenende erledigen.

Relevant ist dies für die Forscher letztlich zur Gruppeneinteilung und als Referenzgröße für weitere Resultate, die den eigentlichen Clou der Studie bilden. Erstens geht es dabei darum, für welche Aktivitäten das Zeitbudget genutzt wird. Im Durchschnitt verbringen die CEOs 60 Prozent ihrer Arbeitszeit in Meetings, der Rest verteilt sich auf allein verbrachte Arbeitsstunden, Geschäftsessen, Telefonate und öffentliche Veranstaltungen.

Zweitens beleuchten die Forscherinnen aus Italien, mit wem sich die CEOs in ihrer Arbeitszeit treffen. 42 Prozent des gemeinsam mit anderen Leuten genutzten Zeitkontos entfallen auf dabei Insider, also Kollegen und Mitarbeiter aus der Firma, insbesondere aus den Finanz-, Personal- und Marketingabteilungen. Ein Viertel der Arbeitszeit besteht aus Treffen sowohl mit Insidern als auch Outsidern – vor allem Beratern, Kunden, Zulieferern, Investoren und Banken, in just dieser Reihenfolge. Ungefähr 15 Prozent der Wochenstunden bringen CEOs alleine mit Outsidern zu.

Präsenz im Unternehmen wirkt positiv

Genau dieser Zeitanteil wirft nach den Erkenntnissen der Studie virulente Kontrollprobleme auf. Leicht verdächtig erscheint schon die allein zugebrachte Arbeitszeit. Sitzt der Chef an Berichten, feilt er grübelnd an der Firmenstrategie, schnauft er an einem stressigen Tag einfach mal durch oder gibt er sich gänzlich dem Müßiggang hin? Ähnlich verhält es sich mit den Stunden, die der CEO alleine mit Outsidern verbringt. Womöglich geht er mit Geschäftspartnern golfen: Wie viel davon ist Arbeit, wie viel Freizeit? Oder lässt sich das überhaupt nicht voneinander trennen? Vielleicht führt er aber auch anstrengende und wichtige Verhandlungen: Drehen diese sich aber tatsächlich um bessere Perspektiven für die Firma? Oder netzwerkt der CEO in eigener Sache, weil er in einem geeigneten Moment den Absprung plant?

Alles das stellt die Studie spekulativ in den Raum, denn wissen können das die Wirtschaftswissenschaftlerinnen aus Harvard im Detail auch nicht. Empirisch nachweisen können sie aber verblüffende Korrelationen anhand der aufgeschlüsselten Zeitkonten. So verbringt ausgerechnet die Gruppe derjenigen, deren Arbeitspensum insgesamt am geringsten ist, mit Abstand die meiste Zeit alleine mit Outsidern – etwa vier Stunden wöchentlich. Just bei diesen CEOs fällt aber auch die unterdurchschnittliche Produktivität ihres Unternehmens auf.

Demgegenüber sei ein hoher Anteil an Gesprächen mit Insidern ein Indiz für eine gesunde Unternehmensführung, so die Wissenschaftlerinnen. Einen Zusammenhang gibt es nämlich auch zwischen normalem Arbeitspensum, vielen internen Meetings, nahezu keiner Zeit allein mit Outsidern und besserer Performance.

Dieser Befund lässt die Autorinnen darauf schließen, dass die vermuteten Phänomene tatsächlich eine wichtige Rolle für den Erfolg eines Unternehmens darstellen. Die Ressourcen können nicht optimal genutzt werden, weil der Frontmann es schleifen lässt. Ursache dafür sind nach Erkenntnissen der Forscherinnen organisatorische Mängel in der Governance. Offenkundig stimmen in solchen Fällen die Anreize nicht, und es fehlt es an wirksamer Kontrolle.

Die Studie beleuchtet auch, was das konkret heißt. Wegen des stärkeren Wettbewerbsdrucks gelingt es zum einen in multinationalen Konzernen besser, diese Form von suboptimalem Management zu verhindern. Die CEOs verbringen um etwa 50 Prozent mehr Zeit mit Insidern und um 50 Prozent weniger alleine mit Outsidern als im Durchschnitt. Ähnlich positiv wirkt sich offenbar die geringere Anonymität in Familienunternehmen aus.

Der weibliche Faktor

Ein großer Aufsichtsrat, der häufig in seinen Entscheidungsmechanismen gehemmt und tendenziell inaktiv ist, wirkt offenbar kontraproduktiv. Ein kleines und schlagkräftiges Gremium behält das Zeitbudget des CEOs hingegen besser im Griff, so die Autorinnen. Förderlich sei es, wenn zumindest eine Frau im Aufsichtsrat sitzt, denn das stachelt die männlichen Mitglieder anscheinend zu ernsthafter Kontrolltätigkeit an. Arrangements, die die Entlohnung des CEOs an den Firmenerfolg binden, zeitigen ebenso die erwartbaren Folgen für die Verteilung des Zeitbudgets.

In der ökonomischen Theorie könne es für die aufgezeigten Zusammenhänge zwar auch andere Erklärungsmuster – etwa durch externe Schocks – geben, schreiben die Autorinnen: „Wir überlassen es dem Leser zu beurteilen, welche der beiden Interpretationen plausibler erscheint.“ Ein elegant zurückhaltendes Fazit nach pointiert vorgetragenen Thesen, die eigentlich keine Fragen mehr offen lassen.

Die Studie „What Do CEOs Do?“ ist auf der Homepage der Harvard Business School erhältlich.