Interne Qualifizierung

Mit "Back2Code" steuert BMW die Digitalisierung an

23.09.2020 von Christiane Pütter
Das Programm "Back2Code Campus" befähigt interne Mitarbeiter des Automobilherstellers BMW, Software selbst zu entwickeln. Ende 2020 werden 160 Kollegen das Training durchlaufen haben – Treibstoff für den digitalen Wandel.
Der Informatiker Michael Muschitsch leitet die strategische Initiative "Back2Code".
Foto: BMW

Knapp sieben von zehn deutschen Unternehmen (69 Prozent) hatten 2019 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Schwierigkeiten, offene Stellen in der IT zu besetzen. Der Automobilkonzern BMW sorgt vor: Schon 2018 etablierte das Unternehmen eine Initiative namens Back2Code. Deren Ziel ist es, interne Mitarbeiter zu Software-Entwicklern auszubilden. Dass BMW dieses Programm in die Group-IT-Strategie einband, unterstreicht dessen hohe Priorität. Der Konzern ist überzeugt: "Die Kompetenz der Mitarbeiter entscheidet über Erfolg und Misserfolg des digitalen Wandels." Mit dem Programm bewarb sich BMW beim DIGITAL LEADER AWARD und erreichte einen Platz unter den Finalisten der Kategorie STRATEGY.

Das Unternehmen will diese Trainings nicht als alleiniges IT-Thema verstanden wissen. Vielmehr steckt ein langfristiger Change-Prozess dahinter, der auch Business und Personal-Management einbezieht. Manager und Mitarbeiter auf allen Hierarchie-Stufen müssen mitziehen. Die Gesamtverantwortung für diese strategische Initiative übernimmt Michael Muchitsch (BMW Group, IT Governance Fahrzeugentwicklungsprozess und Unternehmensqualität), selbst Diplom-Informatiker.

Im Jahr 2019 gab die Initiative Gas: binnen dreieinhalb Monaten entwarf und pilotierte BMW sein internes Befähigungsprogramm. Dessen Teilnehmer drücken zwölf Wochen lang die Schulbank, in Vollzeit. Sie lernen, produktive Software-Lösungen zu entwickeln. Mittlere Manager und agile Rollen wie etwa Agile Master und Product Owner durchlaufen ein eigenes dreiwöchiges Training namens "Campus Compact". BMW will dadurch die Entscheidungskompetenz fördern und Multiplikatoren für den Change gewinnen.

Die Top-CIOs der Automobil-Branche
Sven Lorenz
Der langjährige Porsche-CIO Sven Lorenz ist Konzern-CPO bei Volkswagen. Bei der Kür zum CIO des Jahres 2006 schaffte es Sven Lorenz auf den zweiten Platz.
Falko Morlock
Seit 1. September 2023 ist Falko Morlock CIO des schwäbischen Maschinen- und Anlagenbauers Dürr AG.
Alexander Buresch
Alexander Buresch ist seit Januar 2020 CIO des bayerischen Automobilkonzerns. Ein Foto des Managers hat BMW bislang noch nicht veröffentlicht. Der Wirtschaftswissenschaftler ist seit mehr als 20 Jahren für BMW tätig und war zuletzt Vice President Corporate Strategy and Planning.
Hauke Stars
Seit Februar 2022 ist Hauke Stars IT-Vorständin und Chief Information Officer bei Volkswagen.
Katrin Lehmann
Als CIO der Mercedes-Benz Group AG und der Mercedes-Benz AG verantwortet Katrin Lehmann die globale IT für alle Geschäftsbereiche, Marken und Märkte und berichtet direkt an den CEO.
Jürgen Sturm
Jürgen Sturm ist seit Januar 2015 Informatikleiter beim Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen. Sturm ist promovierter Ingenieur und kommt von der BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH. Sturm war vor seiner BSH-Zeit zwischen 1999 und 2003 Bereichsleiter Organisation, Prozesse und Informationssysteme bei der Grundig AG.
Volker Schwarz
Der langjährige Rheinmetall-CIO Volker Schwarz ist seit Januar 2024 CIO beim Automobilzulieferer GKN Automotive.
Frank Loydl
CIO der Audi AG und damit Nachfolger des bisherigen CIO Mattias Ulbrich ist seit Februar 2018 Frank Loydl. Seit 2016 verantwortete er im Konzern die Software-Entwicklung. Ab 2009 war er bei T-Systems das Delivery Management für den Kunden Volkswagen AG zuständig. Diese Aufgabe übernahm Loydl 2013 schließlich direkt für den Automobilkonzern.
Martin Hofmann
Martin Hofmann tritt zum 1. Mai 2023 seinen neuen Posten als CTO und CIO bei Volta Trucks an. Zuvor war er drei Jahre als Senior Vice President bei Salesforce und über 19 Jahre bei Volkswagen, dort zuletzt als Group CIO.
Alexander Eisl
Der ehemalige MAN-Manager Alexander Eisl hat am 1. Oktober 2022 die Nachfolge von Skoda-CIO Klaus Blüm angetreten, der zu VW gewechselt ist.
Michael Hilzinger
Michael Hilzinger ist seit Juli 2019 CIO beim Bremsen-Spezialisten Knorr-Bremse in München. Er war zuvor Group CIO beim Stahlhändler Klöckner in Duisburg.
Petra Clemens
Seit Oktober 2024 leitet Petra Clemens die IT von Cariad, der Software-Tochter von Volkswagen. Sie kommt vom Eisenbahnlogistiker VTG.
Markus Bentele
Markus Bentele ist seit Januar 2017 Vice President Information Technology (VP)/Group CIO beim Automobilzulieferer Mahle International GmbH in Stuttgart. Zuvor war Bentele Corporate CIO der Rheinmetall AG.
Christian Ley
Christian Ley leitet seit 2006 den Bereich Informationssysteme Brose Gruppe. In dieser Funktion verantwortet er den Ausbau der IT-Lösungen im Kontext der Unternehmensstrategie. Ley begann 1995 als Diplom Betriebswirt (FH) als Trainee in der Brose Gruppe und wechselte anschließend als DV-Koordinator in die zentrale Anwendungsentwicklung. Dort übernahm er 1999 die Teamleitung für PPS- und QM-Systeme und anschließend die Leitung der Zentralabteilung „logistische Anwendungssysteme“. In dieser Funktion war er bis 2006 weltweit für zahlreiche SAP-Implementierungsprojekte verantwortlich.
André Wehner
Am 1. Juni 2021 hat André Wehner den CIO-Posten bei MAN Truck & Bus übernommen. Als IT-Chef verantwortet Wehner die weltweite IT des Nutzfahrzeugherstellers. Dazu zählen auch Produktionswerke, Logistikzentren und die eigenen Landesvertriebsgesellschaften. Sein Vorgänger Stephan Fingerling geht als Geschäftsführer zur Group IT Services GmbH, der IT-Tochter der Volkswagen Gruppe. Vor seinem Wechsel zum Münchner Nutzfahrzeughersteller war Wehner CDO bei Skoda Auto. In der neu geschaffenen Stelle kümmerte er sich dort seit 2016 um Unternehmensentwicklung und Digitalisierung.
Maik Krüger
Am 1. April trat Maik Krüger die Position des CIO bei Dräxlmaier an. Der studierte Wirtschaftsinformatiker war jahrelang in führenden IT-Positionen bei BMW tätig.
Sebastian Stoll
Seit 1. Juni 2021 ist Sebastian Stoll CIO und Group Vice President IT der FEV Gruppe. Er hat den Posten von Andreas Engels übernommen, der beim Kölner Compliance-Startup Kerberos eingestiegen ist. Stoll berichtet an CFO Jürgen Koopsingraven. Neben der Einführung von SAP S/4 Hana will Stoll die IT in die Cloud verlagern und die Security verbessern.
Saskia Kohlhaas
Saskia Kohlhaas ist seit November 2021 Senior Vice President Information Technology beim Engineering-Dienstleister der Automobilindustrie IAV.
Thomas Külpp
Seit August 2017 ist Thomas Külpp neuer CIO beim Autobauer Opel Automobile GmbH in Rüsselsheim. Zuvor war er bei Opel Director Sales & Marketing. Külpp hat Maschinenbau an der University of Applied Sciences in Wiesbaden studiert und als Diplom-Ingenieur abgeschlossen. Er arbeitet bereits seit 27 Jahren in verschiedenen Positionen bei Opel.
Marcus Claesson
Marcus Claesson ist CIO bei Daimler Truck. Er berichtet an den Vorstand für Finanzen und Controlling, Jochen Goetz. Darüber hinaus verantwortet Marcus Claesson die Connectivity Services innerhalb der Daimler Truck AG. Er ist seit 2017 im Unternehmen. Zuvor war Claesson CIO bei Electrolux AB.
Uwe Kühne
Uwe Kühne ist seit 2017 CIO bei GF Casting Solutions, einer Division des Georg Fischer Konzerns. Er fing 2004 bei der Georg Fischer Automobilguss GmbH als Systemanalytiker an und war zuletzt bis Ende 2016 als Head IT Operational Services bei GF Automotive für die Erbringung zentraler IT Infrastrukturleistungen verantwortlich. Auf seiner Agenda stehen die strategische Neuausrichtung der zentralen IT-Organisation, die Vorbereitung auf SAP S4/HANA, die Verlagerung zentraler IT Dienste in die Cloud sowie die Verbindung zwischen klassischer IT und Automations-Bereichen („i4.0“). GF Casting Solutions ist eine von drei Divisionen der Georg Fischer AG, ein börsennotiertes Unternehmen mit Hauptsitz in Schaffhausen, Schweiz. Das 1802 gegründete Industrieunternehmen betreibt in 33 Ländern 131 Gesellschaften, davon 51 Produktionsstätten.
Felix Willing
Felix Willing ist seit Januar 2018 Leiter des Bereichs Information Management beim Automobilzulieferer Hella GmbH & Co. KGaA im nordrhein-westfälischen Lippstadt. In dieser Position fungiert er zugleich als CIO für den globalen Hella Konzern. Zuletzt war er CIO beim Windturbinenbauer Nordex Acciona Windpower AG in Hamburg.
Bernd Süßmann
Bernd Süßmann ist seit September 2018 Head of Corporate IT bei der SAS Automotive in Karlsruhe, einem Joint Venture zwischen Continental and Faurecia. Er trägt dort die Gesamtverantwortung für die IT, führt dabei 80 Mitarbeiter und berichtet an den CFO des Unternehmens, Ekkehard Klautke.
Bernhard Pluhatsch
Bernhard Pluhatsch ist seit Oktober 2018 neuer Head of IT, Transmission Systems bei Magna Powertrain Transmission Systems (MPT TS) in Untergruppenbach bei Heilbronn. Er kommt von der Nürnberger Leoni AG, wo er von 2002 bis 2018 Vice President IT Infrastruktur war.
Michael Simon
Michael Simon (56) ist seit 1. Juli 2019 der Leiter Zentral IT und CIO der Volkswagen Retail Group. Er berichtet an die Geschäftsführung. Zuvor war der studierte Informatiker seit 2015 Leiter IT bei der Weiss Umwelttechnik GmbH. Insgesamt bringt er Erfahrung aus drei Jahrzehnten als Fach- und Führungskraft in der IT mit, unter anderem bei der Salzgitter AG Group.
Simon Blankenstein
Seit Oktober 2022 verantwortet Blankenstein als CIO die IT der Huf Group. Er berichtet an CFO Rainer Heupel. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört der weltweite Rollout von SAP S/4 HANA.
Tommy Andreasen
Nach der Fusion von MAN Diesel und MAN Turbo wurde Tommy Andreasen, vorher CIO von MAN Diesel, Anfang 2010 CIO der neu geschaffenen MAN Diesel & Turbo Gruppe. In den vergangenen 20 Jahren übernahm Tommy Andreasen innerhalb der MAN Diesel Gruppe verschiedene Management Positionen, schwerpunktmäßig im Bereich Finanzen und Controlling. Im Jahr 2000 wurde er Head of Information Technology bei MAN Diesel in Dänemark und entwickelte und führte eine neue IT-Strategie ein. 2006 wurde er dann CIO des gesamten MAN Diesel Konzerns.

Der Automobilhersteller operiert dabei mit einem Technologie Stack, der Komponenten aus Software-Entwicklung (DIE, Software Repositories, GIT, CI/CD), zur Qualitätssicherung (Unit Testing, Integration Testing, Load Testing) sowie Umsetzung und den Betrieb der Software-Lösungen umfasst. Dieser Stack und die definierten Kompetenzprofile der Mitarbeiter geben die Inhalte und den Lehrplan der Qualifizierungsmaßnahmen vor.

Dabei darf das "Back" ("Zurück") nicht täuschen: Back2Code eignet sich nicht nur für Kollegen, die früher schon einmal Software entwickelt haben, sondern auch für komplette Neueinsteiger. BMW bespricht mit jedem Teilnehmer einzeln, wie seine Entwicklung aussehen kann und welche Kompetenzen er aufbaut.

BMW bezeichnet die Initative als "ambitioniert"

Das Unternehmen bezeichnet die Ziele selbst als "ambitioniert". Sowohl der Zeitaufwand als auch der Umfang des Trainings seien "herausfordernd". Um die Lernenden bei der Stange zu halten und Interessenten zu motivieren, kommuniziert der Konzern Success Stories beispielsweise auf YouTube, Facebook und LinkedIn. Wer das Programm durchlaufen hat, bekommt ein Zertifikat und wird auf einer Graduation-Veranstaltung gebührend gefeiert.

"Als Informatiker freut es mich, dass wir wieder mehr Software entwickeln, zum Beispiel Lösungen für Virtual Reality in der Fahrzeugentwicklung oder autonome Transportsysteme in den Werken", sagt Muchitsch in einem kurzen Image-Film. BMW nutzt Back2Code gezielt, um sich nach außen als "Digital Company" zu positionieren.

Und nicht zuletzt dienen solche Kommunikationsmaßnahmen auch als Argumentation für die Investitionen in dieses Projekt. Ende 2020 werden 160 Teilnehmer die Programme durchlaufen haben. Die ersten Rückmeldungen sind vielversprechend: Rund 90 Prozent der bisherigen Absolventen setzen die erlernten Fähigkeiten um und arbeiten als Software Engineer.

Im Rückblick bewerten sie den Campus als sehr nützlich für ihre Entwicklung. Dabei halten 75 Prozent die Dauer der Qualifikationsmaßnahme für angemessen, die verbleibenden 25 Prozent hätten gern noch länger Unterricht genommen. BMW hat bereits angefangen, Back2Code auf Unternehmensbereiche außerhalb der IT auszuweiten.

Der Automobilkonzern hat mit Back2Code noch einiges vor: die Campus-Programme sollen für die internationalen Standorte dezentralisiert und unter anderem im Hinblick auf die Group-Cloud-Strategie weiterentwickelt werden. Außerdem sollen sie mit dem BMW-Group-Ausbildungsprogramm vernetzt werden.

Mit Externen "auf Augenhöhe"

Der Mehrwehrt zeigt sich für das Unternehmen bereits jetzt. Die internen Teams ermöglichen das selbstständige Bereitstellen oder Erweitern von Software. So haben die Absolventen einen Service in der Vertriebsabteilung schon im Januar produktiv eingesetzt. Vorteile sieht BMW vor allem beim Prototyping: gemeinsam mit den Fachbereichen werden Lösungen schneller erprobt, ein Use Case dafür ist das Validieren von Stücklisten. Dort brauchte das Unternehmen lediglich wenige Wochen.

Die Weiterqualifizierung wirkt auch nach außen. In der Zusammenarbeit mit externen Entwicklungspartner und Lieferanten diskutiere man aktuelle technische Lösungsansätze jetzt "auf Augenhöhe", so der Konzern. Das schlage sich nicht nur in besseren Ergebnissen nieder, sondern auch ein mehr Transparenz bei der Abschätzung von Aufwänden. "Die Digitalisierung hat die IT in den letzten Jahren deutlich verändert", erklärt das Team hinter Back2Code. Mit den Qualifizierungsmaßnahmen will BMW die Ampeln auf "Grün" schalten für mehr Tempo und Veränderungsfähigkeit.

BMW | Lowcode
Use Case: Qualifizierung interner Mitarbeiter, darunter auch Quereinsteiger
Einordnung: strategisch bedeutsames Change-Projekt
Maßnahmen: Back2Code Campus für angehende Entwickler (zwölf Wochen), Back2Code Campus Compact für das mittlere Management (drei Wochen)
Teilnehmer: voraussichtlich 160 bis Ende 2020