Es ist windig. Die Sonne brennt. Und vor einem liegt nur noch der Ozean. Genau genommen zwei davon: der Atlantische Ozean auf der rechten Seite und der Indische auf der linken. Kap Agulhas ist der südlichste Punkt Afrikas. Doch Rainer Zietlow hat wenig Zeit für die Schönheiten der Natur. Der Extremfahrer will nach Norden. Logisch, denn weiter nach Süden geht es nicht. Zietlow will ans Nordkap. Mit dem Auto. Und mit jeder Menge IT.
HP hat ihm seinen VW Touareg aufgerüstet. Neben dem Spaß geht es dem Technologiekonzern dabei um den Nutzen für die Logistikbranche, für Versicherer, für Straßenbauer, den Einzelhandel und andere mehr. Daher war ebenjene Technologie, die das temporeiche Abenteuer "Touareg Cape2Cape 2.0" in diesem Herbst möglich machte, auch auf der HP Discover vom 1. bis 3. Dezember in London zu sehen.
Im Einzelnen leitet HP aus dem Projekt sieben Use Cases ab. Der Konzern nennt sie World-Record Dashboard, In-Car Connectivity Hub, End-to-End-Security, Platform as a Service, Analytics: Straßenqualität, Analytics: Biometrie und Analytics: Fahrerverhalten ("Know your driver"). Das liest sich wie ein Streifzug durch Hardware, Software und Services.
Use Case 1: World-Record Dashboard
Während sich Rainer Zietlow und seine beiden Co-Piloten ins Auto schwangen, um die rund 19.000 Kilometer lange Strecke durch 19 Länder in Weltrekordgeschwindigkeit zu fahren, konnten Tempo- und Technikbegeisterte das Cape2Cape-Projekt bequem im klimatisierten Büro oder auf dem häuslichen Sofa mitverfolgen. Und zwar unter hp.com/go/hpc2c im flexiblen HTML5-Format.
Das Dashboard informierte auf einer Landkarte über Zietlows aktuelle Position, die Motordrehzahl, den Puls des Fahrers und anderes mehr. Außerdem erstellte das Team des Fahrers täglich einen Video-Blog samt Informationen etwa zur Gefährdungslage des Autos.
Klingt nach viel Spaß für die Zuschauer. Doch HP will das Dashboard als ernsthaften Use Case etwa für Logistikunternehmen verstanden wissen. Es basiert auf HPs Business Value Dashboard, das Echtzeitdaten überwachter Systeme in Kombination mit Echtzeitinformationen aus externen Quellen darstellt und so kontextbezogene Entscheidungshilfen liefert, wie Jürgen Dettling erklärt, Chief Technologist bei HP.
Logistiker könnten damit auf einen Blick sehen, welche Lieferungen voraussichtlich pünktlich ankommen werden und welche nicht - und welche Route angesichts der aktuellen Wetter- und Straßenverhältnisse die treibstoffsparendste ist.
Dettling weiter: "Möglich wäre aber auch zum Beispiel im Einzelhandel eine Überblicksansicht für das Management eines Einkaufszentrums, so dass der Verantwortliche sofort erkennt, wo gehäuft technische Probleme auftreten und welche Verkaufsautomaten in Kürze wieder mit Waren zu befüllen sind."
Use Case 2: In-Car Connectivity Hub
Um Zietlows Weltrekordfahrt für die Business-Technologie nutzbar zu machen, hat HP mit mehreren Partnern eine ganzheitliche Infrastruktur entwickelt. Kernstück der Kommunikation des Fahrzeugs mit der Außenwelt ist der In-Car Connectivity Hub.
"Dieser bündelt alle Datenströme und leitet sie an das Cloud-Backend weiter. Die Hardwarebasis für den Hub liefert ein Intel NUC (Next Unit of Computing), ein kompakter und energieeffizienter Mini-Computer, der per LAN, WLAN und Bluetooth kommuniziert", erläutert Dettling.
Zur externen Anbindung nutzt der Hub redundante Links, die WLAN und 3G/4G-Mobilfunk ebenso heranziehen wie notfalls eine Satellitenverbindung.
"In diesem Szenario wird die von Cubic Telecom gelieferte SIM-Karte des Hubs durch dynamisches SIM-Management für den GSM-Mobilfunk eine optimale undrobuste Internet-Verbindung sicherstellen", sagt Dettling.
So kann der Fahrer vor Ort für das Fahrzeug immer das beste Mobilfunknetz wählen. Die Backup-Verbindung für den Datenexport in die HP Cloud steuert der Satellitennetzbetreiber Inmarsat bei. Zudem nutzten die Fahrer das WLAN für die Internet-Anbindung ihrer Handhelds.
Use Case 3: End-to-End-Security
Die Begeisterung über das vernetzte Auto wurde in jüngster Zeit durch erfolgreiche Hacker-Angriffe ausgebremst. Dem setzt VW die Zusammenarbeit mit HP Enterprise Security Services entgegen. Die IT-Infrastruktur wurde genau untersucht und überwacht.
Allein Zietlows Touareg war noch ganz anderen Gefahren ausgesetzt: schlechte Straßen, der lokale Verkehr, Klima und Witterung oder auch die instabile politische Lage in manchen Ländern.
Die neue Technik HP Targeted Threat Intelligence (TTI) sollte für Sicherheit sorgen. "TTI wertet die Bewegungsdaten des Fahrzeugs aus und korreliert sie mit Input aus unterschiedlichsten Quellen, darunter Nachrichtensender, lokale Informationsquellen und Social-Media-Daten", sagt Dettling. Damit kann etwa die Logistikbranche die Chancen steigern, dass eine Fracht ihr Ziel verlässlich und sicher erreicht.
Use Case 4: Platform as a Service
Klingt nach einer Menge Daten, die verarbeitet und ausgewertet werden mussten. HP stellte dafür die Cloud-Plattform HP Helion bereit, eine IaaS- und PaaS-Umgebung (Infrastructure beziehungsweise Platform as a Service). Diese basiert auf OpenStack und CloudFoundry und kann Services in der Public Cloud ebenso bereitstellen wie in der gehosteten Private Cloud.
Dettling führt aus: "Intel-Technik sorgt hier für hohe Rechenleistung und schnelle Skalierbarkeit, um die Sicherheit kümmern sich wiederum Spezialisten von HP Enterprise Security Services. Die Datenauswertung erfolgt mittels Big-Data-Analyse auf der Basis von HP Vertica und/oder Hadoop. Big-Data-Technologie kann enorme Datenmengen in kürzester Zeit auswerten."
Ziel sei es, selbst bei vielzähligen Parametern auffällige Häufungen von Werten oder Abweichungen von Normalwerten festzustellen.
Use Case 5: Analyse Straßenqualität
Wer sich nun fragt, warum die Fahrt von Süden nach Norden ging, dem gibt das Stichwort Straßenqualität Antwort. Die Fahrer wollten auf den afrikanischen Pisten noch ausgeruht sein und später, wenn die Erschöpfung einsetzte, nur noch auf den vergleichsweise komfortablen europäischen Autobahnen fahren.
Um die Straßenqualität zu messen, hatte der Touareg zusätzliche Sensorik der Automotive-Spezialisten HBM und IAV an Bord, darunter Sensoren an der Vorder- und Hinterachse sowie zwei Gyrosensoren.
"So lässt sich zum Beispiel auswerten, wo sich Schlaglöcher befinden oder gar häufen", erklärt Dettling.
Bilddaten der Kamera auf dem Armaturenbrett ergänzen diese Sensorikdaten. Die Korrelation dieser Datenbestände soll die Visualisierung entdeckter Schlaglöcher ermöglichen.
Übertragen auf das Hype-Thema selbstfahrendes Auto heißt das: In künftigen Fahrzeuggenerationen könnten Connected Cars nachfolgende Fahrer vor einem Schlagloch warnen.
"Flächendeckende Evaluierungen der Straßenqualität könnten zudem nicht nur den Straßenmeistereien die Arbeit erleichtern, bei Fahrten mit dem Navigationsgerät würde auch die Reichweitenanzeige präziser", so Dettling.
Das sei insbesondere für Elektroautos mit ihrem noch geringen Aktionsradius wichtig, denn die Bewegung auf unebener Straße erfordert deutlich mehr Energie.
Use Case 6: Biometrische Analysen
Der Fahrstil von Zietlow und seinen Co-Piloten entspricht nicht dem des Durchschnittsfahrers - hoffentlich. Dennoch lassen sich aus den biometrischen Daten des Cape2Cape-Projekts nutzbare Erkenntnisse über das Verhalten von Fahrern unter Stress, bei Nachtfahrten oder auf Schotterpisten gewinnen.
Das Biometrie-Equipment hat der Schweizer Spezialist Senscore geliefert. Dessen Systeme und Tools erfassen Puls, EKG, Kalorienverbrauch, Atmungsvolumen, Hauttemperatur und andere Parameter. Vor allem Leistungssportler setzen die Senscore-Produkte ein.
Use Case 7: Analyse Fahrverhalten
Der siebte und letzte Use Case schließt an den vorherigen an.
"Die Einbindung von Biometriedaten in die Big-Data-Analyse ist ein mächtiges Werkzeug, um Assistenzsysteme künftig genauer am tatsächlichen Bedarf der Autofahrer auszurichten", erklärt Dettling. Dafür korreliert die Software Aspekte wie Tempomatnutzung, Lenkkorrekturen in Kurven und das Beschleunigungs- und Bremsverhalten.
Ziel ist zum Beispiel, zu ermitteln, wie stark die Ermüdung eines Fahrers gegen Schichtende Fahrstil und Fahrsicherheit beeinflusst. Autobauer sollen Assistenzsysteme künftig besser auf den Fahrstil der Kunden abstimmen können. Versicherungen werden die Kundschaft präziser segmentieren.
Wenn etwa das Vemeiden von Müdigkeit Unfallrisiken reduziert, könnte ein Versicherer - mittels Tarifen, die das kontinuierliche Monitoring des Fahrstils beinhalten - das Berücksichtigen von Müdigkeitswarnungen durch das Fahrassistenzsystem mit Gutschriften belohnen, erläutert Dettling.
Im Rückblick auf das Projekt sagt HPs Chief Technologist: "Die Cape2Cape World Record Tour 2015 ist somit nicht einfach ein Autorennen um die halbe Welt. Vielmehr gleicht der Touareg einem rasenden Versuchslabor, dessen Ergebnisse dazu dienen können, das Autofahren wie auch generell die Prozesse in unterschiedlichsten Branchen einfacher, wirtschaftlicher und sicherer zu machen."
Rainer Zietlow und seine Co-Piloten sind in neun Tagen, vier Stunden, neun Minuten und 27 Sekunden von Kap zu Kap gebraust.
"Got it! The world record is ours!" twitterte Zietlow am 20. September um 19.27 Uhr.