Auf die Daten kommt es an. Denn: "IoT treibt das Datenangebot, KI treibt die Datennachfrage. Wenn Daten der neue Rohstoff sind - dann gelten auch alle Dimensionen aus der Rohstoffverarbeitung: Wir müssen sie schürfen, wir können damit umgehen und wir veredeln sie", erklärte Karsten Schweichhart, Data Economy Executive der Deutschen Telekom AG und Vorstand im Cross-Business Architecture Lab (CBA Lab), in seinem Eröffnungsvortrag.
Für die Arbeit der Enterprise-Architekten bedeutet das: Sie dürfen sich nicht länger nur auf Technologie und Governance beschränken, sondern müssen proaktiv eine Unternehmensarchitektur zur bestmöglichen Unterstützung der kurz- und langfristigen Unternehmensziele aufbauen.
Die dafür nötigen Daten liefert das Enterprise Architecture Management (EAM). So kann sich der Enterprise Architekt auch bei Themen wie Datenarchitektur, Datenauswertung, Agilität und Geschäftsoptimierung positionieren. Gemeinsam mit dem Business lassen sich neue Technologien nutzen und neue Geschäftsfelder erschließen. EAM wird zu einem Mindset und liefert die Toolbox für die digitale Transformation.
Allerdings sind längst nicht alle Branchen gleich weit. "Die Branchen lassen sich mit Bomben vergleichen, die mit unterschiedlich langen Zündschnüren ausgestattet sind. Bei einigen hat die digitale Disruption schon gezündet, bei anderen dauert es noch. Sicher ist, dass alle zünden werden", sagte Matthias Kohl, Leiter der Digitalen Fabrik der DAK-Gesundheit. (…)
Daten sind überall
Gezündet hat es bereits am Münchner Flughafen. "Wir sind quasi eine kleine Stadt mit angeschlossenem Flugverkehr. Hier EAM zu betreiben und darzustellen, wie die Systeme zusammenhängen, ist eine echte Herausforderung - aber Digitalisierung geht nicht ohne", sagte Michael Zaddach, CIO der Flughafen München GmbH, in seiner Rede.
Ein EAM, das aufgrund von Automatisierung aufzeige, wo welche Daten liegen und wie sie miteinander kommunizieren, funktioniere bislang nur bedingt, da die Systeme komplex seien und Kritis-Standards eingehalten werden müssten. Hier helfe nur Transparenz und Disziplin in Sachen Dokumentation der Systemlandschaft und der Prozesse, die davon jeweils unterstützt werden.
Sein Fazit: "Mit EAM können wir heute dem massiven Veränderungsdruck begegnen." Denn der Verkehr steigt, IoT spielt eine immer wichtigere Rolle, die B2B-Anbindungen nehmen zu, und auch die Passagiere setzen moderne Kommunikationslösungen und Apps voraus. "Wir müssen agieren, sonst werden wir überrannt", sagte Zaddach. Heute sei man in der Lage, neue Dienstleistungen zu bieten, Prozesse effizienter zu gestalten, Sicherheit zu gewährleisten und die Kritis-Anforderungen zu erfüllen. Die Technologie sei da, "doch es ist nicht immer leicht, alle an den diversen Projekten Beteiligten an einen Tisch und unter einen Hut zu bringen.
Der Traum des Finanzchefs, dass die Kosten sinken, werde sich dabei nicht erfüllen. "Die Kosten werden steigen, das geht gar nicht anders." Auch Zaddach hat einen Traum: "Ein digitaler Zwilling des Flughafens, bei dem sich per Schieberegler darstellen lässt, was passieren würde, wenn dies oder jenes eintritt und wie ich darauf regieren muss".
Bei EAM alles falsch machen - und plötzlich funktioniert´s
Ein Vorzeigebeispiel in Sachen digitale Transformation liefert der E-Commerce-Riese OTTO. Sein Treiber: Dem enormen Wettbewerbsdruck, den vor allem Amazon ausübt, standzuhalten.
EAM helfe dabei, Technologie nicht nur dafür zu nutzen, ein besserer Onlinehändler zu werden, sondern auch, das Geschäftsmodell weiterzuentwickeln. OTTO baue sein reines Händlergeschäft zu einem Plattform-Business um. "Das ist ein ganz anderes Geschäftsmodell und dadurch hat sich das, was wir bisher unter guter IT und Architektur verstanden haben, komplett verändert." Jetzt gehe es um die Fähigkeit, sich schnell anpassen zu können: "Wir können in unserem Markt nicht gewinnen, wenn wir effizient sind. Wir können nur gewinnen, wenn wir uns schnell verändern", sagte Chefarchitekt Thomas Greutmann.
"Wir arbeiten bei OTTO nicht mehr in großen festen Plänen, sondern eher in einem Skizzenmodus - wie das auch Bauarchitekten manchmal tun, um zu klären, was gebraucht wird." Heute verfolge man einen inkrementellen Bottom-up-Ansatz. Teams bearbeiten bestimmte Themen - und die Architekten bewegen sich stets auf Augenhöhe mit diesen Teams und stellen die Vernetzung sicher. Greutmann nennt ein Beispiel: "Beim Thema Plattformentwicklung gab es fünf oder sechs Iterationen oder Skizzen, um gemeinsam mit den Teams ein Bild zu zeichnen, das zeigt, was das Thema Plattform für unsere Technologie bedeutet."
Dabei seien durchaus nicht alle Ansätze der traditionellen Architektur verlorengegangen. "Die gesamte Landschaft auch in ihren Verästelungen und Schnittstellen genau zu kennen und zu wissen, wie sich die einzelnen Elemente zueinander verhalten, hilft uns immer wieder." Bei großen übergreifenden Themen wie der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sei es einfach wichtig zu wissen, wie viele und an welchen Stellen sich datenschutzrelevante Geschäftsobjekte befinden.
Machen ist wie Wollen, nur krasser
Seit vier Jahren setzt die Krankenversicherung DAK auf EAM. Ausschlaggebend war die zunehmende Komplexität - ausgelöst durch Fusionen und die digitale Transformation. Mit dem Architektur-Management will die DAK nun verstärkt der Erwartungshaltung der Kunden gerecht werden - im Hinblick auf Mobilität, zeitlicher Unabhängigkeit, Service, Transparenz und Nachvollziehbarkeit.
"Kunden sind mobil, wollen zeitlich unabhängig sein, erwarten starke Serviceorientierung, Transparenz, Nachvollziehbarkeit und hohe Flexibilität. Sie wünschen sich digitale Angebote, von der Online-Geschäftsstelle bis hin zu den Apps", sagte Matthias Kohl, Leiter digitale Fabrik bei der Krankenkasse in seinem Vortrag "Machen ist wie Wollen - nur krasser." Aber auch interne Prozesse sollen digital weiter vorangebracht, verschlankt und schneller werden.
Die IT-Abteilungen stünden entsprechend unter Druck. Sie müssten sich mit agilen Methoden und neuen Arbeitsformen beschäftigen Agilität, möglichst wenig Hierarchie und kollaborative Plattformen sind für Kohl die Motoren und Motivatoren im digitalen Aufbruch. Man dürfe "ein Speedboat nicht mit dem Tanker vertäuen, wenn es Geschwindigkeit aufnehmen soll."
"EAM schafft für uns die notwendige Transparenz zur Entscheidungsunterstützung und Fortschrittskontrolle im Rahmen der digitalen Transformation". Dabei könne jedoch nicht alles aus vorhandenen Daten extrahiert werden, Experteneinschätzungen blieben weiter notwendig.
Altsystem on premise trifft auf Cloud
Eleni Richter, Chief Architect IDM & Organisations-Datenmanagement beim Energieversorger EnBW, ist sich sicher: "Produkte oder Prozesse ohne IT gibt es fast nicht mehr. IT ist das Produkt, denn mit Strom können Sie kaum mehr Geld verdienen." Richter zeigte auf, wie das Unternehmen dank EAM in einem Multi-Cloud-Universum die Ortientierung behält.
Mit den On-premise-Altsystemen könne man den neuen Anforderungen der digitalen Transformation nicht mehr gerecht werden. Für die schnelle Adaption aktueller Situationen, dauerhafte Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und Skalierbarkeit sei die Nutzung von Cloud-Services unabdingbar. "Predictive Maintenance beispielsweise ist mit unseren On-premise-Lösungen nicht machbar."
Nun allerdings befindet sich EnBW in einem Spannungsfeld: "Altsystem on Premise trifft auf Cloud." Für Enterprise-Architekten bedeute das: "Digitalisierung, IoT und Cloud spülen Modernisierungswellen rein, die eigentlich höher sind als wir verkraften können." Es sei fast unmöglich, alles bis in Kleinste zu dokumentieren. "Wir müssen uns auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist. Das zentrale Thema laut: Systemschnitt und geeignetes Teilen, Entkopplungen und die Abhängigkeiten in den Griff bekommen und unter Kontrolle haben."
Disruptive Technologien, Geschäftsmodelle, Kundenzentrierung
Johannes Helbig, Vorstandsvorsitzender des CBA Lab, fasste die Themen der Konferenz noch einmal zusammen: "EAM ist ein Dauerthema, denn Architekten wissen, wie die Dinge zusammenhängen. Doch die Vorträge haben gezeigt: Die Rolle der Architekten hat sich in der digitalen Transformation geändert. Standen gestern Kosteneffizienz und Governance im Fokus, so sind es heute neue disruptive Technologien, Geschäftsmodelle und Kundenzentrierung."
Dabei habe jedes Unternehmen sein eigenes Set an Anforderungen und Veränderungstreibern, die schnelle Reaktionen erfordern. "Versandhändler müssen mit Amazon Schritt halten", so Helbig, "Smart-Home-Gerätehersteller wie BSH Hausgeräte wollen ihren Kunden Plattformen anbieten, auf denen die Produkte selbst zu Plattformen werden, und Kritis-Unternehmen benötigen Infrastrukturen, die überlebensfähig sein müssen."
Für sein Fazit der Konferenz, die das CBA Lab gemeinsam mit Inside Business in Berlin veranstaltet hat, zitierte Helbig einen Teilnehmer: "Er sagte, 'das war EAM für Erwachsene'. Diese pointierte Aussage hat mich sehr gefreut, weil ich es als großes Lob für Qualität und Niveau der Inhalte und natürlich für unsere Teilnehmer betrachte." Schweichhart, ergänzte: "Es gab hier so viele interessante Impulse, dass jeder diese Konferenz bereichert verlässt." Die nächste EAM-Konferenz des Cross-Business-Architecture Lab findet am 15. und 16. Mai 2019 in Berlin statt.
Interview mit Johannes Helbig: Enterprise-Architekten sind die Lotsen in der digitalen Transformation