Grid Computing für die Industrie

Mit vereinten Kräften

07.04.2003 von Lars Reppesgaard
Um George W. Bush in seinem Kampf gegen den Terrorismus beizustehen, kann ungenutzte PC-Leistung neuerdings im "Patriot Grid" bereitgestellt werden - etwa zur Simulation von Pockenimpfstoffen. In der Forschungswelt schon etabliert, könnte das Bündeln von Rechenpower auch für die Industrie wegweisend sein.

Das technische Prinzip des Grid Computing verknüpft die Idee der Peer-to-Peer-Netzwerke, bei denen Computer ohne Hilfe von Zentralrechnern untereinander verbunden sind, mit dem so genannten Load Balancing. Eine Vielzahl billiger, über Internet oder Intranet vernetzter Standardcomputer ersetzt teure Großrechner; so werden die Kapazitäten optimal ausgenutzt. "Grid Computing bedient sich weltweiter Ressourcen. Ungenutzte Hardware lässt sich ortsunabhängig einsetzen, um große Aufgaben zu lösen", erklärt Wolfgang Kocher, Produktmanager Highend-Server bei Hewlett-Packard.

Grids sind Netze der Superlative, die DistributedComputing-Projekte wie Seti (Search for Extraterrestrial Intelligence) wegen ihrer riesigen Datenvolumina in den Schatten stellen. Vor allem US-amerikanische Unis können dank Grid über Breitbandleitungen Daten rechenintensiver Projekte in gigantischen Tauschgeschäften von einem Rechnerverbund zum anderen verschieben.

Große IT-Unternehmen wie Hewlett-Packard, IBM oder Sun Microsystems arbeiten daran, Grids industriereif zu machen. Sun beschäftigt derzeit 2000 Programmierer, um Grid-Software zu entwickeln. Unterstützt durch das Gratis-Tool Grid Engine, bündeln mittlerweile Administratoren an rund 5000 Standorten weltweit brachliegende Rechenkraft. "Mit diesem Werkzeug sorgt das Netz selbst dafür, dass die Aufgaben bei optimaler Auslastung abgearbeitet werden", so Robert Zwickenpflug aus dem Sun-Produktbereich Linux-Server.

HP bietet mit dem Utility Data Center (UDC) eine aus Services, Hard- und Software bestehende Infrastrukturlösung an, die mithilfe einer virtuellen Verkabelung die flexible Ausnutzung von Ressourcen in Rechenzentren ermöglicht. Das Unternehmen hat bislang rund zehn UDC-Systeme weltweit installiert und Anfang des Jahres damit begonnen, erste Großrechenzentren zu Grids zu verbinden; den Auftakt machten zwei HP-eigene UDC in England und den USA.

Flugzeugbau und Erdöl-Exploration

Mithilfe dieser und ähnlicher Werkzeuge verlassen die Grids die akademische Sphäre, um in der Wirtschaft Fuß zu fassen. Anwendungsbereiche gibt es genug, ist Rudolf Bauer, Europachef von IBM Global Services, überzeugt: "Erdölfirmen wie Esso oder Exxon könnten Geodaten gründlicher und schneller analysieren. Weitere Felder sind Klimasimulationen oder die Erdbebenforschung. Oder denken Sie an den Flugzeugbau: Airbus muss zwischen Hamburg und Toulouse enorm viele Daten austauschen; allein dafür würde sich ein Grid lohnen." Als ersten Kunden kann IBM auf das Erdöl-Explorationsunternehmen "Petroleum Geo-Services" aus den USA verweisen. Es setzt die Rechenleistung aus der Steckdose zur Lokalisierung und Erforschung von Erdölfeldern ein, indem es seismische Daten im Tiefwasser des Golfs von Mexiko simuliert.

"Beim Grid Computing geht es nicht nur um Technologie, sondern um ein Konzept", betont Bauer. "Die Frage lautet: Wer hat welchen Rechenleistungsbedarf, und wie kann man den flexibel befriedigen?" Rechenleistung wird zum Verbrauchsgut wie Wasser oder Strom - bei Bedarf abgerufen und verbrauchsabhängig abgerechnet. "Wo man hohe Kosten scheut, kann es eine Lösung sein, IT-Leistung aus der Steckdose zu beziehen", sagt Bauer.

Potenzielle Auftraggeber aus der Wirtschaft zögern allerdings noch, vertrauliche Entwicklungsdaten oder Simulationen über das Internet zu schicken und auf den Computern einer anderen Firma oder einer Universität zu Ende rechnen zu lassen, weil sie Wirtschaftsspionage fürchten. Sie setzen - wenn überhaupt - bei GridLösungen auf ihre Intranets. Blaupunkt betreibt ein Elektronic Design Grid aus 200 Prozessoren. BASF verteilt Forschungsberechnungen der Abteilung Polymerphysik mit Software der US-Firma Platform Solutions auf Server und 300 Arbeitsplatz-PCs. Dank der Automatisierung fallen 20 Prozent weniger Mitarbeiterstunden für die Berechungen an. Der Automobilrennstall Williams-BMW nutzt parallel geschaltete HP-Rechner, um für seine Formel-1-Rennwagen Luftwiderstände und Motorenleistungen zu simulieren. Und McLaren setzt auf Suns Grid Engine, um 3-D-Modelle von Rennwagen zu erstellen oder Crashtests auszuwerten.

Schon gibt es erste kommerzielle Grids im Internet. Wer im Multiplayer-Game "Cryptids" mit HightechWaffen Magier jagt, tut das mithilfe eines Grid. Das kalifornische Start-up Butterfly.net hat dafür auf der Grundlage von Linux-Software und IBM-Computern ein Supernetz für Online-Spiele entwickelt; sie gehören zu den rechenintensivsten Internet-Anwendungen. Das Spiele-Grid soll jedem Ansturm gewachsen sein und mehr als eine Million Spieler gleichzeitig verkraften.