So schlimmes Kopfweh hatte Göttervater Zeus, dass er einen Kollegen bat, ihm den Schädel zu zertrümmern. Heraus sprang seine Tochter Athene, die denn auch gleich ihren Job als Göttin des Wissens und der Weisheit aufnahm und fortan Intelligenz unter die Menschen brachte Arbeitete Zeus heute beim Finanzdienstleister MLP, müsste er sich vermutlich weniger Kopfzerbrechen machen.
MLP Expert Base nennt sich die neue Datenbank, in der rund 25.000 Dokumente ständig aktualisiert und bereitgestellt werden. Etwa 4.000 Mitarbeiter, darunter 2.600 Kundenberater, greifen vom Büro oder von unterwegs aus auf die Daten zu. Ihr Ziel: 724.000 Kunden mit den passenden Informationen zu versorgen. Umgesetzt wurde die Expert Base gemeinsam mit dem Anbieter Core Media.
Immer mehr Compliance
Trotz der Kundenzahl ist die Zielgruppe elitär: Hatte MLP bei der Gründung 1971 ausschließlich Juristen im Visier, wurde der Kundenkreis nach und nach auf Ingenieure und andere Akademiker ausgeweitet. Mit der Vereinigung der Bereiche Finanzdienstleistungen und MLP Bank AG hat sich das Unternehmen 2007 zur Vollbank mit einer entsprechenden Lizenz entwickelt. Nach eigener Darstellung berät das Wieslocher Unternehmen die Kunden als Makler unabhängig in sämtlichen Finanz-, Vorsorge- und Vermögensfragen.
Im ersten Quartal 2008 erwirtschaftete das Unternehmen rund 158 Millionen Euro und damit neun Prozent mehr als in der Vorjahresperiode. Analysten gehen davon aus, dass MLP insbesondere von der Riester-Rente profitieren konnte.
Hauptsitz |
Wiesloch |
Produkte |
Finanzdienstleistungen für Juristen, Ingenieure und andere Akademiker |
Mitarbeiter |
4.000, darunter 2.600 Kundenberater |
Umsatz |
637,1 Millionen Euro (2007) |
IT-Kennzahlen | |
CIO |
Klaus Strumberger |
IT-Mitarbeiter |
65* |
IT-Ausgaben |
41 Millionen Euro* |
Produkt |
Datenbank |
Nicht nur davon. Mit seinem Geschäftsmodell ist der Finanzdienstleister auf ein effizientes Wissens-Management angewiesen. Das heißt vonseiten der Kundenberater: Sie müssen wissen, wer ihre Zielgruppen sind und was diese bewegt. Sie brauchen Daten von guter Qualität und müssen immer auf dem neuesten Stand sein. Und das bedeutet für die IT-Verantwortlichen: Sie müssen dafür sorgen, dass diese Informationen nutzwertig, verfügbar und aktuell sind. Das war der Ausgangspunkt für die heutige MLP Expert Base.
Bis etwa 2006 hatten IT-Manager Christoph Jünger und sein Team mit IBM Lotus Notes gearbeitet. "Das ist aber kein Content-Management-System", sagt Jünger. Vor dem Hintergrund steigender Compliance - aktuelles Beispiel ist das Versicherungsvertrags-Gesetz, das zu Beginn 2008 in Kraft getreten ist und für die gesamte Branche einen erheblichen Schulungsaufwand mit sich bringt - musste eine neue Lösung her.
"Wir wollten eine Art Google für das Firmenwissen", erklärt der MLP-Manager. Dabei standen Faktoren wie ein gut strukturierter Content und eine gute Durchsuchbarkeit im Vordergrund. Es sollte möglich sein, assoziativ oder themenbezogen nach Informationen suchen zu können.
Außerdem legte Jünger Wert auf Versionierung und Historierung der Daten. Dass Daten veraltet, doppelt oder in verschiedenen Versionen im Unternehmen kursierten, musste ausgeschlossen werden. Nach gründlicher Evaluierung der Top 20 unter den entsprechenden Anbietern entschied sich MLP für Core Media. Insgesamt hat das neue Content-Management-System Christoph Jünger und sein Team anderthalb Jahre lang beschäftigt, im Schnitt waren zwei bis drei Vollzeitkräfte von MLP damit betraut. Vom Dienstleister kamen acht bis neun Fachleute hinzu.
MLP Expert Base funktioniert wie folgt: 50 Autoren, die meisten davon Produktexperten für die Finanzdienstleistungsbranche, erstellen Dokumente, in denen es um Märkte und Zielgruppen, um Versicherungsfachfragen und rechtliche Neuerungen oder Produktbeschreibungen und Fact Sheets geht. Diese Texte werden von Entscheidern freigegeben und danach von zehn Redakteuren in die verschiedenen Kanäle gespeist, zum Beispiel den Life Server für die Berater oder die Homepage für die Endkunden.
Knackpunkt ist für das Unternehmen heute die Frage Offline oder Online. "Wir wollten eigentlich eine Off-line-Lösung, haben aber festgestellt, dass die von den Herstellern ein bisschen stiefkindlich behandelt wird", so der IT-Manager. Derzeit bekommen die Berater die Informationen offline auf den Laptop gepusht. "Das werden wir aber ändern", sagt Jünger, der nun doch auf Online umschwenken will.
Nur kein Hype um Enterprise 2.0
Nicht umschwenken wird der IT-Fachmann in der Frage der Sicherheit. Mit dem Wissen der Versicherungsfachleute und der Erfahrung der Berater verdient MLP sein Geld, daher wird IT-Security großgeschrieben. "Ohne Berechtigung kriegt keiner unsere Notebooks gestartet", versichert Jünger. Ein detailliertes Berechtigungssystem soll garantieren, dass jeder Berater und jeder Mitarbeiter nur die Daten bekommt, die er für seine Aufgaben braucht - für einen Finanzdienstleister mit Vollbanklizenz unabdingbar.
Jüngers Ziel ist eigentlich ein Single Sign-On. Das klappt noch nicht ganz: Zwei bis drei Passwörter müsse sich der Durchschnittsmitarbeiter schon merken. Nicht nur Festplatten sind verschlüsselt, sondern auch Anwendungen. Eine IT-Sicherheitsrichtlinie, die regelmäßig aktualisiert wird, und Awareness-Trainings sollen MLP schützen.
Insgesamt betrachtet Christoph Jünger die Entscheidung für Core Media als eine gute Wahl. Dabei könne man IBM Lotus Notes eigentlich nicht mit dem jetzigen Content-Management-System vergleichen, sagt er. Das seien einfach zu unterschiedliche Produkte. Der MLP-Manager ist froh darüber, jetzt eine Standardsoftware implementiert zu haben, weil das zu den IT-Strategien von Unternehmens-CIO Klaus Strumberger gehört. "Um Lotus Notes herum hatten sich einfach zu viele kleinere individuelle Anwendungen entwickelt", sagt Jünger. Von Standardisierung konnte bis dato also keine Rede sein.
Dabei kann seine Software eigentlich noch viel mehr, findet Willms Buhse aus der Geschäftsleitung von Core Media. Er schwärmt von der lernenden Organisation, von Enterprise 2.0, von Kundenberatern, die ihr Feedback an die Redaktion zurückgeben und sich untereinander vernetzen. "Mit unserer Technologie können sich die Berater schnell untereinander austauschen und gegenseitig Tipps geben, zum Beispiel darüber, welche Argumente besonders gut ziehen oder wo es noch Informationsbedarf gibt", sagt er.
Da bleibt Jünger ganz gelassen. Für ihn steht weniger das Hype-Wort Enterprise 2.0 im Mittelpunkt als vielmehr die Tatsache, dass er jetzt endlich einen gut strukturierten, leicht durchsuchbaren Content hat. Was die Suchfunktionen angeht, hat Core Media mit dem skandinavischen Spezialisten Fast Search & Transfer zusammengearbeitet, der seit April dieses Jahres nach einer Übernahme als Microsoft-Tochter weiterläuft.
Ungewisse Fragen
Mit seinem pragmatischen Ansatz umgeht MLP ein ungeklärtes rechtliches Problem, das zum Ursprung des Wissens-Managements zurückführt. Dieser Begriff, 1995 von den Japanern Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeuchi in ihrem Buch "The knowledge creating company" eingeführt, ist nicht in allen Dimensionen geklärt. Nonaka und Takeuchi unterscheiden explizites Wissen, das in Dokumenten festgehalten werden kann, und implizites Wissen, das von Mensch zu Mensch ausgetauscht wird und nicht kodifizierbar ist. Laut den Japanern soll derartiges implizites Wissen in einem Prozess der Externalisierung explizit gemacht werden. Durch das Kombinieren von expliziten Informationen soll Wissen von den Mitarbeitern internalisiert und im Zuge einer Sozialisation innerhalb des Unternehmens weitergegeben werden. Nonaka/Takeuchi stellen sich das Ganze wie eine Spirale vor, in deren Verlauf Wissen von Individuen auf höhere Organisationsstufen wie Personengruppen und ganze Unternehmen gehoben werden kann.
Praxis contra Elfenbeinturm
Allerdings: Die rechtliche Frage, inwieweit ein Unternehmen einen Verwertungsanspruch auf das individuelle Wissen der Mitarbeiter geltend machen darf, ist bisher noch nicht geklärt. Christoph Jünger bleibt trotzdem entspannt. "Das betrifft uns nicht, wir betreiben die MLP Expert Base ja nicht als Wiki", stellt er klar. Bis die Fachwelt die akademische Diskussion um den Verwertungsanspruch geklärt hat, wird man wohl auf eine göttliche Eingebung durch Athene warten müssen.