19 Jahre lang war Dietrich Spauser (Name von der Red. geändert) Abteilungsleiter in einem mittelständischen Chemie-Unternehmen. Er trug Verantwortung, Vorgesetzte und Kollegen schätzten ihn. Ende 2000 wechselte dann der Vorstand. Spauser erlebte das nicht zum ersten Mal; er fuhr wie geplant in den Urlaub. Doch als er nach zwei Wochen wiederkam, fehlte einer seiner Mitarbeiter. Der werde woanders gebraucht; die Geschäftsführung habe schnell entscheiden müssen, hieß es. Zwei Wochen später konnte Spauser seine E-Mails nicht mehr abrufen. Nein, so der Systemadministrator, heute habe er beim besten Willen keine Zeit dafür; frühestens morgen. Solche Probleme häuften sich. Auf die Idee, hinter all dem könne Methode stecken, kam der 57-Jährige erst, als er eines montags auf das Firmengelände fuhr, und sein Parkplatz besetzt war. Ihm habe man gesagt, so der Hausmeister, der Platz solle künftig Gästen zur Verfügung stehen. Vielleicht ist alles nur ein Missverständnis, dachte Spauser auch diesmal. Seine Idee: ein offenes Wort reden mit dem Chef. Das war leichter gesagt als getan: Es tue ihr Leid, erklärte die Sekretärin, aber in dieser und der nächsten Woche könne sie keinen Termin mehr anbieten.
Spauser machte weiter seine Arbeit. Doch etwas stimmte nicht. Es war Zeit fürs Mittagessen, aber niemand forderte ihn auf mitzukommen. Dabei hörte er die anderen auf dem Flur laut über den neuen Kollegen aus Indien reden. Jetzt erst fiel dem Gemobbten auf, dass es an den Tagen zuvor genauso gewesen war; nur hatte er sich da noch keine Gedanken gemacht.
Drei Monate lang ließ Spauser die Demütigungen über sich ergehen; dann wandte er sich an die FairnessStiftung. "Wer beim Chef in Ungnade fällt, der wird nicht nur vom Flurfunk abgeschnitten, sondern gemieden wie ein Aussätziger", weiß Norbert Copray. "Schließlich will sich niemand mit dem Unglück infizieren." Der Theologe und Sozialwissenschaftler ist Direktor der FairnessStiftung, die sich um die Opfer solcher Zermürbungsschlachten kümmert. Die meisten Kandidaten brauchen seiner Erfahrung nach sehr viel länger als Dietrich Spauser, bevor sie Hilfe suchen. "Sie zögern durchschnittlich ein Jahr, bevor sie etwas unternehmen." Inzwischen würden die Telefone der Fairness-Stiftung zirka 50-mal pro Woche klingeln, 10-mal mehr als noch vor eineinhalb Jahren. Die Gemobbten stammten aus allen möglichen Branchen, etwa zwei von dreien aus der Finanzwelt, dem Handel oder dem öffentlichen Dienst. Rund 2500 Fälle hätten seine Mitarbeiter innerhalb von zwei Jahren betreut; die Beratung ist kostenlos und anonym.
Die Fairness-Betreuer beobachten, dass die Methoden, Menschen fertig zu machen, brutal sind: Da werden Kollegen angeschrien, bedroht, vor anderen heruntergeputzt. Beliebt sei auch, Gerüchte über Details aus dem Privatleben zu streuen, sagt Copray. Meistens sei der Anruf bei der Stiftung der Endpunkt einer jahrelangen Leidensgeschichte täglicher Verdrängungen und nächtlicher Schlaflosigkeit. "Die Leute sind in einem regelrechten Wahrnehmungstunnel", so Copray. Viele glaubten sogar, ein Teil des hohen Gehalts diene als üblicher Schadenersatz dafür, dass sie sich schlecht behandeln lassen. Und vielerorts sei die Unternehmenskultur so schlecht, dass Mobbing einfach dazugehöre.
Erschütternde Chronik des Übels
Bei dem geschilderten Beispiel lag der Fall etwas anders: Man wollte den Abteilungsleiter schlicht loswerden und hoffte, die Abfindung sparen zu können, wenn der Gemobbte schließlich entnervt von sich aus kündigt. Doch der fertigte zusammen mit der Stiftung eine Chronik der Ereignisse an, sammelte Belege für die Diskriminierung. Schließlich nahm sich das Opfer einen Anwalt und setzte sich zur Wehr. Das Verfahren vor dem Arbeitsgericht läuft.
"Als Sieger geht dabei allerdings keiner der Beteiligten vom Platz", sagt Copray. Mobbing richte in den Unternehmen viel mehr Schaden an, als allgemein vermutet. "Ich habe schon den Exodus ganzer Abteilungen gesehen. Am Ende versammelt der unerträgliche Chef dann nur noch schwache Jasager um sich." Um solche Desaster zu vermeiden, schulen die Mitarbeiter der Fairness-Stiftung Firmen im Konfliktmanagement. Wichtig sei, so der Leiter, Konflikte rechtzeitig und gezielt anzusprechen, ohne persönlich zu werden. "Das haben die wenigsten gelernt." Falsch verstandene Siegermentalität führe dazu, dass der Betroffene zurückmobbe - oder das Leiden verdränge. "Die Diskriminierten machen das Martyrium einfach zu lange mit. Das Ergebnis sind massive psychosomatische Probleme", weiß Copray, "denn die gesundheitlichen Folgen werden maßlos unterschätzt."