Dubai ist eine der am schnellsten wachsenden Metropolen der Welt, und die Fluglinie Emirates Airlines wächst sogar noch schneller. Kein Zufall also, dass der weltgrößte und ebenfalls der Airline gehörende Flughafen mit sechs parallelen Start- und Landepisten und einer Kapazität von jährlich 120 Millionen Passagieren in den Vereinigten Arabischen Emiraten liegt. Doch die IT der Emirates drohte zum Bremsklotz der auf Expansion gepolten Airline zu werden.
Über Jahrzehnte war die Informationstechnologie der Fluglinie den ständig wachsenden Anforderungen hinterher geeilt. Entstanden war dabei ein fast unüberschaubares Sammelsurium von Insellösungen und Systemen, die mehr schlecht als recht die komplexen Aufgaben einer internationalen Airline erfüllten. "Es fehlte eigentlich an allem; es gab weder Governance-Strukturen noch einheitliche Standards und schon gar keine ausformulierte IT-Strategie", sagt Patrick Naef, der seit Anfang 2006 als Senior Vice President die IT-Geschicke der Emirates leitet.
Seine dringendste Aufgabe: die Reduzierung der Komplexität. Denn das Ergebnis der ersten Bestandsaufnahme war erschreckend: eine unglaublich unübersichtliche Systemlandkarte mit Hunderten verschiedener Systeme und Tausenden undokumentierter Schnittstellen. "Wir stießen bei der ersten Analyse nahezu auf jedes Hardware- und Software-System und alle Betriebs- und Datenbanksysteme, die auf dem Markt erhältlich sind", erinnert sich Naef.
Insgesamt zählte der neue IT-Leiter 106 Unix-Systeme von vier komplett verschiedenen Herstellern mit fast 20 Release-Ständen, 550 vollkommen uneinheitliche Netzwerkkomponenten, 650 Windows-Systeme mit 15 verschiedenen Betriebssystemvarianten, 447 Oracle-Datenbanken, 236 Middleware-Applications und 28 verschiedene Software-Development-Tools. Kein Wunder, dass seinerzeit Betrieb und Wartung der Systemlandschaft äußert komplex waren und an den Rand des Möglichen stießen.
Dabei war die IT-Landschaft eigentlich aus lauteren Motiven entstanden: Wann immer die Airline Bedarf
an neuen IT-Services anmeldete, beantwortete die IT-Abteilung die Anfrage mit dem Aufbau eines neuen
Systems, das dann via Middleware oder über selbst geschriebene Schnittstellen mit den vorhandenen Applikationen verknüpft wurde. "Ein wesentlicher Grund für das Chaos war, dass sich die IT als reiner Dienstleister und nicht als Business-Partner verstand. Aber es fehlte halt eine zentrale Sicht auf die gesamte IT-Architektur und vor allem eine ordnende Hand", beschreibt Naef die Vergangenheit.
Der Wildwuchs von IT-Systemen ist indes nicht auf die arabische Halbinsel beschränkt: Alle Unternehmen
haben - in unterschiedlichem Umfang - mit ihrer historisch gewachsenen Infrastruktur zu kämpfen. Dennoch gibt es in Dubai eine Reihe von Faktoren, die das Ausufern der Infrastruktur begünstigen: In der dynamisch wachsenden Region ist keiner der weltweit tätigen IT-Dienstleister vertreten - der Gedanke an
Outsourcing kommt hier niemandem in den Sinn.
Außerdem hat der Faktor Kostensenkung - ein wichtiges Motiv hierzulande für die Vergabe von IT-Dienstleistungen - in den Vereinigten Arabischen Emiraten keinen so hohen Stellenwert. Denn abgesehen davon, dass Kosten eine untergeordnete Rolle spielen, liegen die IT-Gehälter in Dubai in der Größenordnung des Offshore-Mekkas Indien. Mehr als 90 Prozent der 1.600 IT-Mitarbeiter bei Emirates sind Inder - zudem unterhält die Airline mehrere Entwicklungszentren in Indien. Und es gibt einen weiteren Grund für den IT-Wildwuchs: "Hier herrscht eine unglaubliche Aufbruchstimmung und eine "Alles ist möglich"-Mentalität. Eine Facette davon ist der Grundsatz, möglichst alles selbst zu machen", hat Naef beobachtet.
50 Fluglinien nutzen Emirates-IT
Für alle IT-Aufgaben haben die Emirates 1996 den IT-Dienstleister Mercator gegründet, der für die Airline wie auch IT-Services für alle Unternehmen der Emirates-Gruppe zuständig ist. Aber die Fluglinie ist mit Abstand der größte Kunde: Für sie entwickelt und betreibt Mercator IT-Lösungen für Passagier- und Frachtabwicklung sowie kommerzielle Lösungen für die Airline- und Airport-Industrie. Mehr als 50 Fluglinien weltweit setzen Systeme von Emirates Airline ein.
Doch gerade für die Fluglinie der Emirates drohte die IT zur Bremse auf ihrem steilen Wachstumskurs zu
werden. Die Airline, die im Jahre 1985 mit gerade mal drei Flugzeugen und den drei Destinationen Karatschi, Delhi und Mumbai gestartet war, hat sich zur Drehscheibe für den Luftverkehr zwischen Europa, Nahost und Asien entwickelt. Sie verfügt heute über eine der weltweit modernsten Flotten und bedient mit 102 Flugzeugen 89 Zielflughäfen. Bis 2012 sollen weitere 110 Flugzeuge in den Dienst gestellt werden, und die Flotte soll auf 212 Maschinen anwachsen. Und die Anforderungen an die IT der Fluglinie nehmen ständig zu: Immer mehr Geschäftsvorfälle - sowohl B2B als auch B2C - werden online abgewickelt. Immer mehr Systeme werden zu geschäftskritischen Erfolgsfaktoren - und innovative Geschäfts- und Preismodelle lassen sich nur mit Hilfe einer flexiblen und agilen IT schnell umsetzen.
"Nach ersten Bestandsaufnahmen haben wir eine Übersicht der Kernprobleme und künftigen Herausforderungen zusammengestellt", sagt IT-Leiter Naef. Die Liste ist lang geworden: Sie reichte von der Ausrichtung der IT auf Geschäftsziele, System-Verfügbarkeit und -Performance über Skalierbarkeit von Infrastruktur und IT-Strategie, Architektur und Standards bis hin zu Personalentwicklung, IT-Governance sowie Priorisierung von IT-Investitionen.
Neue Struktur mit Bordmitteln
Zusammen mit der Unternehmensleitung wurden die Prinzipien der künftigen strategischen Ausrichtung
festgelegt:
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Standardisierung: Synergien fördern, Redundanzen beseitigen, Skalierbarkeit verbessern.
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Zentralisierung: Zentral gesteuerte IT-Strategie, -Architektur und -Infrastruktur; Reduzierung von Komplexität und Risiken, Verbesserung der Verfügbarkeit.
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Integration: Verringerung von Schnittstellen und redundanten Systemen/Daten, verbesserte Kollaboration, Kostenreduzierung.
Dabei fiel die grundsätzliche Entscheidung, Probleme mit eigenen Mitteln zu lösen und beim Umbau der
IT-Architektur und bei Neuentwicklungen auf eigene IT-Kapazitäten zu setzen. "Angesichts der vorhandenen
Ressourcen und Personalkapazitäten ist das der vielversprechendste Ansatz, um eine kohärente IT-Architektur zu schaffen", sagt Naef. "Mit dem Kauf von Standardlösungen und deren Integration nach dem Motto buy and integrate‘ in die vorhandene Landschaft besteht die Gefahr, dass wiederum ein Flickenteppich aus eingekauften und eigenen Lösungen entsteht."
Auf eine Service-orientierte Architektur will er dennoch nicht verzichten. "Gerade bei SOA ist es doch so, dass jeder Anbieter etwas anderes darunter versteht und die verschiedenen Ansätze nicht vollkommen
kompatibel sind. Wir haben aber die Chance, mit einer zentral gesteuerten Entwicklung und effizienter Governance eine SOA-Architektur zu entwickeln, die wirklich aus einem Guss ist", sagt der IT-Chef. "Insofern trägt die komplette Inhouse-Entwicklung auch zu geringerer Komplexität bei, und wir können Synergien zwischen den Systemen in viel höherem Maße nutzen."
Im September vergangenen Jahres begann das Change-Projekt mit einer kompletten Neudefinition aller Kernprozesse. Die Ziele: Die IT enger am Business ausrichten, End-to-end-Services für die Kunden schaffen, von den Geschäftszielen getriebene Governance-Regeln etablieren, IT- und Architekturstandards festlegen sowie ein verbindliches Sourcing-Modell etablieren und die Rolle der IT in der Emirates-Gruppe neu definieren.
Als wichtigstes Lenkungsinstrument gründete Naef das "IT-Steering Board“(ITSB), das für die Ausrichtung der IT an den Geschäftsanforderungen der Emirates Group zuständig ist. Unter seinem Vorsitz treffen sich jetzt regelmäßig die IT-Verantwortlichen mit den Business-Managern der verschiedenen Unternehmen der Emirates Group. Wichtigste Aufgaben: die Formulierung der IT-Strategie der gesamten Unternehmensgruppe, die Definition von Prioritäten und das Abstecken des IT-Kostenrahmens.
"Oft scheitern Change-Projekte an der fehlenden Akzeptanz, besonders wenn sie dem Unternehmen von
externen Beratern von außen verordnet werden", sagt Naef. Daher entschied er sich anders. Es automatisierte nicht einfach vorhandene Abläufe, sondern definierte die Prozesse neu. "Wir haben 20 unserer besten Leute aus den verschiedenen Teams der IT praktisch fulltime aus dem Tagesgeschäft geholt, mit ihnen die bisherigen Abläufe analysiert und ihnen den Auftrag gegeben, die Kernprozesse neu zu definieren und daraus eine neue Organisationsstruktur für die IT vorzuschlagen", so Naef. "Diese Leute haben dann die Pläne und Veränderungen in die Organisation getragen - dadurch war die Akzeptanz für die Umstellung sehr hoch, obwohl kein Stein auf dem anderen blieb." Entscheidend für die erfolgreiche Neuausrichtung war die konsequente Inhouse-Philosophie: "Viele Airlines haben die Abwicklungsprozesse
als Commodity outgesourct. Wir können Prozess-Innovation in diesem Umfang implementieren, weil wir die komplette Entwicklung im Hause haben", freut sich der IT-Manager.
PCs und Laptops von zwei Herstellern
Und seine Anstrengungen haben längst erste Ergebnisse gebracht: Statt einer Vielzahl von PC-Lieferanten bezieht die gesamte Emirates Group ihre PCs und Laptops von nur noch zwei Herstellern - mit globalem Einkauf und Service. Anstelle der verschiedensten Unix-Varianten mit unterschiedlichen Release-Ständen kommen in der konzernweiten IT-Landschaft nur noch die zwei Systeme AIX und Linux zum Einsatz. Statt der Riesenmenge verteilter Application Server sind sämtliche Hardware-Ressourcen in einem zentralen Rechenzentrum am Airport in Dubai konzentriert, mit zuverlässigen Backup- und Hochverfügbarkeitsmechanismen in einem zweitem Rechenzentrum. Die gesamte Emirates Group setzt jetzt ein einziges ERP-System ein, eine einheitliche HR-Lösung verwaltet alle Mitarbeiter der Unternehmensgruppe. Unterschiedliche Dokumenten-Management- und Scanning-Systeme wurden durch
eine konzernweite ECM-Lösung (Enterprise-Content-Management) ersetzt.
SkyChain ersetzt 23 Legacy-Systeme
Besonders stolz ist Naef aber auf das neue Frachtabwicklungssystem SkyChain. Denn im Luftfrachtbereich
wächst die Emirates Airline besonderes stark. Schon jetzt betreibt die Fluglinie zehn Boeing-Jumbo-Frachtmaschinen - 20 weitere sind bestellt. Das neue SkyChain-System ersetzt die Funktionen von 23 Legacy-Systemen, die alle abgeschaltet werden konnten. "Das ist ein riesiger Schritt zur Vereinfachung von Geschäftsprozessen mit gleichzeitiger Komplexitätsreduktion der IT-Infrastruktur", fügt Naef hinzu. Mit dem
System "Paradise" für das Crew-Management, das alle Funktionen der Mitarbeiterverwaltung ("hire and retire cycle") vom Recruitment bis zur Planung und Zusammenstellung der fliegenden Crews zusammenfasst, ist schon eine weitere integrierte Lösung im Betrieb. Bereits im Einsatz ist auch das neu entwickelte CRMSystem "KIS" für die Vielflieger, das den mobilen Zugang zu Passagier-Informationen ermöglicht.
Naef und seine Auftraggeber können also zufrieden sein mit den Fortschritten. Gelegentlich stieß er allerdings auf Unverständnis bei den Managern der Konzernunternehmen, erzählt der IT-Leiter der Emirates Group augenzwinkernd. Denn als er die ersten Früchte des IT-Umbaus in Form geringerer Verrechnungssätze für IT-Dienstleistungen ankündigte, hieß es: Da müsse wohl etwas schief laufen in der IT-Organisation, schließlich gehe es um dem Aufbau einer möglichst leistungsfähigen IT; und deshalb wolle man gerne mehr - und keinesfalls weniger - Geld für IT-Dienstleistungen ausgeben.