Nach Angaben des Hauptverbandes Deutscher Einzelhandel (HDE) wurden im Jahr 2005 382,3 Milliarden Euro umgesetzt, gegenüber 380 Milliarden Euro in 2004. Dieses leichte Plus markiert gleichwohl keine generelle Trendwende, sondern resultiert vorwiegend aus dem guten Weihnachtsgeschäft 2005 sowie der Fußball-Weltmeisterschaft, die bereits im Vorfeld für sanfte Umsatzbelebung sorgte. Der Handel bleibt deshalb vorsichtig. Keine andere Branche bereitet ihre Investitionen und den Einstieg in neue Technologien so intensiv vor. Investitionszyklen von bis zu zehn Jahren und Projektvorlaufzeiten von bis zu drei Jahren sind keine Seltenheit.Mit der Folge, dass der IT-Innovationsgrad im Retail-Markt vergleichsweise niedrig ist. Die unbefriedigende wirtschaftliche Situation der Unternehmen und die traditionell wenig ausgeprägte IT-Affinität der Top-Entscheider verstärken diese Tendenz.
„Sehr lange wird an ältlicher, aber bewährter Hardund Software festgehalten, neuen IT-Konzepten und -Lösungen begegnet man mit Skepsis“, sagt Stefan Lüschow, Geschäftsführer des Marktanalysten MB Medien aus Krefeld. „Das Ergebnis sind zum Großteil hinderliche, weil manuell und intern gepflegte Schnittstellen für den Datenaustausch zwischen den teils gekauften und teils selbst entwickelten Systemen.“ Die von den Systemen und Kassen generierten Daten werden an verschiedenen Stellen abgelegt und vorgehalten, aufgrund fehlender Datenintegration kommt es zu inkonsistenten Datenansichten.
Stefan Lüschow, Gf. MB Medien:
„Sehr lange wird an ältlicher, aber bewährter Hard- und Software festgehalten.“
Ein 2006er-IT-Jahresbudget zwischen 100000 und 500000 Euro ist für deutlich die meisten der Marktteilnehmer Stand der realen Dinge. Das ergab im Herbst 2005 die Befragung von 376 Unternehmen (58 Prozent Fast Moving Consumer Goods, FMCG; 42 Prozent Slow Moving Consumer Goods, SMCG) im Rahmen der MBMedien-Retail-IT-Studie. Über 40 Prozent der Befragten haben 2006 ein bis um 15 Prozent höheres IT-Budget zur Verfügung als 2005. Dabei liegt die Steigerung meistens zwischen fünf und zehn Prozent. Auf das größte Investitionsinteresse stoßen laut MB Medien Rechner und EDV-Peripherie. Visionäre Themen interessieren die Branche nur wenig, obwohl es davon genügend gäbe.
Vision 1: Hybride Kiosk-Systeme
Multifunktionale Kiosk-Systeme mit integrierter Ansprache von Unternehmenspersonal, Endkunden und Geschäftspartnern sind eindeutig auf dem Vormarsch und beinhalten üblicherweise Funktionen wie Kundeninformationen, Self Checkout, Internet-Zugang, Mitarbeiter-Selbstbedienung, Personalsuche sowie Lösungen wie etwa Photokiosk. Das nunmehr hohe Nutzungspotenzial hat den Kiosk-Systemen erstärkten Einsatz in Theatern, Kinos, Freizeitparks, Krankenhäusern, Veranstaltungen, Messen und in Industriehallen beschert. Dieses Anwendungsszenario ergänzt fortschreitend die bislang etablierten Applikationen im Handel, in Restaurants, Hotels, Einkaufszentren, öffentlichen Einrichtungen und Flughäfen.
Bereits heute lassen sich Kiosk-Computer per Funk oder Infrarot mit mobilen Komponenten wie Handhelds oder Smartphones wireless vernetzen. So werden die Systeme zu Download-Stationen in der Fläche. PDAs, Kameras und Notebooks wird es damit ermöglicht, Content und Bilder an Kiosk-Systeme, Projektoren und Drucker zu schicken. Dergestalt werden die in Datenbanken und auf Webseiten residierenden Informationen miteinander gekoppelt und überall zu jeder Zeit an jedem Gerät verfügbar.
Im „Future Store“ der Metro Group – ein seit 2003 betriebenes Pilotprojekt zur Integration moderner ITRetail-Lösungen – können Kunden an Kiosk-Systemen alle Web-Anwendungen des Future Stores abrufen, zum Beispiel Produktinformationen und Wegweiser. Auf großflächigen Advertising Displays laufen Werbespots und werden aktuelle Aktionshinweise übermittelt. In den Detailauswertungen nach rund sechs Monaten Pilotbetrieb und im weiteren Projektverlauf wurde festgestellt, dass 48 Prozent der Kunden die Kiosksysteme genutzt haben oder nutzen. Die Intensität der Inanspruchnahme steige mit der Größe des Warenkorbs. Bei den Kiosksystemen loben die Kunden die angebotenen Hilfen zur Orientierung und Produktsuche sowie die Möglichkeit, sich über Preise zu informieren. Besonders intensiv werde auf den Rezeptdienst zugegriffen.
Vision 2: Mobile Info-Terminals
Mobile Info-Terminals – auch „Mobile Store Assistants“ genannt – sind kompakte Plattformen für den Einsatz in den Bereichen Kundenservice und Store-/Filial-Management insbesondere in Supermärkten und weiteren Verkaufszentren der Handelsbranche. Dank integrierter Wireless-LAN-Technologie ermöglichen sie Kunden und Personal direkten Zugriff auf Informationen unabhängig von Zeit und Ort. Diese portablen Geräte im handlichen Format sollen mittelfristig ein bislang unerreichtes Niveau an Kundenansprache und -betreuung etablieren. Außerdem bieten sie gute Voraussetzungen, Leistungsprozesse vor Ort in die Prozesskette von Handelsunternehmen einzubinden.
Aus Kundenperspektive zählen die kleine und leichte Gestaltung sowie die ausgeprägte Bedienerfreundlichkeit zu den wichtigen Kriterien des mobilen Info-Terminals, das sich einfach am Einkaufswagen befestigen lassen muss und passend zu diesem Einsatzszenario dann auch „mobiler persönlicher Einkaufsberater“ oder „Personal Shopping Assistant“ (PSA) genannt wird. In der Anwendung dieser Komponenten erhält der Kunde über einen wireless übertragenen Einkaufs- oder Filialführer aktuelle Produkt-, Sonderangebots- oder weitere serviceorientierte Informationen, die ihm sein Shopping erleichtern und attraktiver gestalten. Mit tagesindividuellen Werbeeinblendungen lässt sich seine Aufmerksamkeit gezielt auf spezielle Waren lenken. Der in das mobile Terminal integrierte Scanner unterstützt den Kunden beim Self Scanning seiner Einkäufe. An der Kasse schließlich wird das Portable vom Einkaufswagen abgenommen, die Einkaufsdaten werden aus dem Gerät ausgelesen. Das Waren-Scanning durch das Kassenpersonal wird obsolet, der Kunde spart auf diese Weise Zeit und hat während des Einkaufs jederzeit den Überblick über seinen Warenkorb und die Kosten.
Unterm Strich stehen folgende Kernkriterien des mobilen Info-Terminal-Einsatzes für die Handelsunternehmen auf der Vorteilsseite: Erhöhung der Mitarbeiterproduktivität, Unterstützung des kontinuierlichen Information und Working Process, Online-Verfügbarkeit von Produkt- und Preisinformationen, gesteigerter Beratungs- und Kundenservice durch das Personal, Steigerung der Kundenzufriedenheit und -bindung, Ausschöpfen von zusätzlichem Umsatzpotenzial durch personalisierte Kundenansprache und verbesserte Möglichkeiten zum Cross Selling.
Vision 3: Self-Checkout
Für den Handel ist der Checkout-Bereich ein entscheidender Gradmesser dafür, ob der Kunde zu seiner Zufriedenheit bedient wird. Dabei spielt die Optimierung der Prozesse an der Kasse eine wesentliche Rolle. Im Rahmen dessen sollen moderne Self-Checkout-Systeme (künftig) einen wichtigen Beitrag zum Vorteil der Unternehmen leisten: verbesserte Einsatzplanung des Kassierpersonals, Reduzierung von Personalkosten, höhere Sicherheit beim Cash Handling, gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit. Die meistens verlautbarten Benefits auf Seiten der Verbraucher: Ausweitung der Privatsphäre und Kontrolle beim Kassieren, Erhöhung der Kundenzufriedenheit und Loyalität, kürzere Warteschlangen.
Tatsache ist, dass sich immer mehr Verbraucher aufgeschlossen gegenüber modernen Kassen- und Kassier-Lösungen in Supermärkten oder Kaufhäusern zeigen. Nicht nur technikinteressierte Kunden wissen die Vorteile von Self Checkout – also die Warenbegleichung mittels Selbstzahlerkasse ohne direkten Personaleinsatz – zu schätzen, wenn auch noch in überschaubarer Zahl. Indem sie die Produkte am Kassenautomaten eigenhändig scannen und bezahlen, erledigen sie ihre Einkäufe schneller und können das lästige Anstehen an der Kasse vermeiden – Stichwort: Queue Busting. Obendrein haben die Verbraucher durch das selbstständige Scannen der einzelnen Artikel weitaus mehr Kontrolle über ihre Einkäufe. Mit solch benutzerfreundlichen Self-Checkout-Kassenlösungen können Unternehmen nicht nur die Zufriedenheit ihrer Kunden steigern, sondern auch durch flexibleren Personaleinsatz Kosten sparen, wird argumentiert. Außerdem trage ein vermindertes Schwundrisiko zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit bei.
In der Regel wird heute ein Self-Checkout-System aus folgenden zentralen PoS- und Banken-Komponenten zusammengefügt: Scanner, Bedienfeld, Bildschirm, Bondrucker, Technik zum Electronic Payment. Letztere gestattet üblicherweise das Bezahlen mit Bargeld, nimmt Noten und Münzen an, prüft sie, erstattet das Rückgeld und kann um eine Cash-Recycling-Funktion erweitert werden. Weitere undenindividuelle Module enthalten etwa spezielle (Coupon-) Drucker und besondere Leseeinrichtungen wie zum Beispiel Belegleser. Eigene Analysen der Metro Group nach sechsmonatigem Betrieb ihres „Future Store“ förderten zutage, dass etwa 40 Prozent aller Kunden die Self Checkouts regelmäßig benutzen, ein Drittel der bislang Zögerlichen will künftig von dieser Selbstbedienungsofferte Gebrauch machen, und über 80 Prozent sehen in dieser Technik eine sinnvolle Ergänzung des angebotenen Dienstleistungsspektrums.
Dass die Nutzung von Self-Checkout-Systemen Stand heute nur für wenige Big Player im FMCG-Bereich in Frage kommt, zeigt auch die MB-Medien-Retail-IT-Studie: 0,5 Prozent der Befragten haben Self-Checkout-Kassen im Einsatz, und sieben Prozent haben derzeit entsprechende Planungen. Ein fast identisches Bild zeigt sich im Übrigen hinsichtlich des Einsatzes intelligenter Waagen (0,6 Prozent „Ja“, 7,1 Prozent „in Planung“).
Durchbruch RFID: zwei bis vier Jahre
Als neue Verbindung zwischen physikalischer und virtueller Welt wird die Radiofrequenz-Identifikationstechnologie (RFID) das betriebliche Management tiefgreifend verändern. Ihr Einsatz entlang der gesamten Wertschöpfungskette zur automatischen Produktidentifikation – von der Warenherstellung über die Transportund Lagerlogistik bis hin zum Verkauf. Außerdem sorgt sie für verbesserte Speicherung und Abrufmöglichkeit wichtiger Produktinformationen wie Preis, Haltbarkeitsdatum oder Herstellerkennung. Das beschert den Unternehmen einen Effizienzgewinn beim Waren- und Markt-Management: Waren werden auf ihrem Transportweg genau verfolgt, die Bevorratung in den Lagern und Verkaufsregalen wird exakter und übersichtlicher, obendrein lässt sich das Absatz-Controlling verbessern. „Dies ist der wesentliche Grund, warum die RFID-Technik mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten zwei bis vier Jahre zum breiten Einsatz gelangen wird“, so Lüschow von MB Medien.
Bereits heute rechnet sich RFID vor allem dort, wo aufgrund der Nachweispflicht höchste Prozesssicherheit notwendig ist und ein geschlossener Logistikkreislauf (Closed-Loop-Systeme) für eine Wiederverwendbarkeit der noch teuren Smart-Chips sorgt – wie insbesondere in der Kfz-Industrie. Bei offenen Systemen (Open-Loop-Systeme) wie zum Beispiel im Handel und in der Konsumgüterindustrie hingegen lässt sich derzeit ein kaufmännisches Positiv-Ergebnis unter pragmatischer Kosten-Nutzen-Sicht lediglich in Einzelfällen erreichen. RFID wird im Übrigen im Verbund mit anderen mobilen Technologien markanten Stellenwert für effizientes Supply-Chain-Management der Zukunft haben.
Für die Handelsbranche sind Optimierung und Effizienzsteigerung der Business-Prozesse sowie Verbesserungen im Bereich Kundenservice wesentliche Kriterien für einen strategischen IT-Einsatz. Die Kombination aus moderner Netzwerktechnologie, leistungsstarker Serverlandschaft, mächtigen datenbankbasierten Applikationen und „fütternden“ Kassen- bzw. EPoS-Systemen bietet bereits heute eine integrierte Sicht auf die anfallenden Geschäftsdaten und kann Handelsunternehmen helfen, diese zur Gewinnung erfolgskritischer Informationen einzusetzen – vorausgesetzt, es wird verstanden, besagte Daten professionell auszuwerten und zu interpretieren.
IT-Budgets werden stark steigen
Handelsunternehmen, besonders die Filialen, sind Produzenten riesiger Datenmengen, die, unabhängig vom Datenschutz der Privatpersonen, vielfältige Auswertungs- und Ableitungsmöglichkeiten bieten. Typische Fragen wie „Wer kauft was,wann und in welcher Niederlassung?“, „Welches Produkt verkauft sich im internen Vergleich wo schlechter oder besser?“ oder „Welche Produkte sollten wie positioniert und mit welchen Produkten kombiniert präsentiert werden?“ und viele weitere Fragen können bei einer durchgehenden und übergreifenden Datenerhebung respektive -analyse beantwortet werden – zeitnah und proaktiv, sodass die Konzerne frühzeitig reagieren und eingreifen können.
„In den nächsten drei bis sechs Jahren wird die Bedeutung der IT im Handel weiter zunehmen, und die ITBudgets und damit die Investitionen in Technologien werden signifikant steigen. Und das auf breiter Front. Vorreiter wie die Metro AG mit ihrer Future-Store-Initiative werden keine Inseln des technologischen Fortschritts bleiben, da die Player im Retail Market heute immer mehr erkennen, dass eine moderne und übergreifende IT-Infrastruktur einer der wichtigsten Wettbewerbsfaktoren ist“, so MB-Medien-Geschäftsführer Lüschow.