Was lange währte, war nicht mehr gut: Die Ressortorganisation der Düsseldorfer DKV Euroservice konnte ihre Services unter den Bedingungen des weitgehend gesättigten Marktes für das Kerngeschäft in Deutschland und eines immer schärfer werdenden Wettbewerbs in Europa nicht mehr effizient an den Markt bringen. Bis Mai dieses Jahres war das Unternehmen an den Einkaufsprozessen ausgerichtet, also aus der Sicht, wie der DKV mit den Lieferanten zusammenarbeitet, berichtet CIO Alexander Trautmann. "Der eigentliche Einkauf war das Dieselressort, der Bereich Extra Services hat alle anderen Produkte wie Reifen und Maut beschafft. Wir haben die Organisation jetzt um 90 Grad gedreht."
Als Trautmann Anfang 2003 seine neue Arbeit aufnahm, trat er in eine lange Historie ein: 1934 war die Deutscher Kraftverkehr GmbH mit Hol- und Bringdiensten im Auftrag der Deutschen Reichsbahn gestartet. Bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs etablierte das Düsseldorfer Unternehmen, jetzt unter dem Namen DKV Euroservice GmbH, einen Dienst, der bis heute seine Marktstellung prägt: Seit 1966 versorgt die DKV in ganz Europa rund 800 000 Fahrer von 80 000 Fuhrunternehmen mit Servicekarten.
Das heutige Geschäft geht über die übliche Servicekarte freilich deutlich hinaus. DKV versteht sich als "integrierter Dienstleister, der die gesamte Wertschöpfungskette entlang der Strecke abbildet: Reifen-, Pannen-, Versicherungs-, Kühltransport- und Begleitservice sowie Grenzabfertigungen und mehr", zählt Trautmann auf. Er ist als einer von zwei gleichberechtigten Geschäftsführern für Finanzen, Personalverwaltung und für die IT zuständig.
"Wir sind eine IT-Organisation mit angeschlossenem Vertrieb - strukturell gesehen", sagt Trautmann. Das zeigt nicht zuletzt die Personalstruktur: Trotz Stellenabbaus in den letzten zwei Jahren gehören von den 350 Mitarbeitern noch immer rund 60 zur IT. Die reine Handelstätigkeit führt zwar zu Umsätzen von zwei Milliarden Euro, sodass das IT-Budget mit weniger als einem Prozent vom Umsatz finanziell sehr schlank anmutet. Doch Trautmann stellt klar: "Wir entsprechen einem Mittelständler mit 250 Millionen Euro Umsatz."
Zur Kundschaft von DKV Euroservice zählen Speditionen und Busunternehmen, die meisten aus dem Mittelstand mit durchschnittlich zehn Fahrzeugen. Sie führen Plastikkarten mit sich, die es ihnen unter anderem ermöglichen, an 20000 Stationen in ganz Europa bargeldlos zu tanken, Reifen zu wechseln oder Pannen beheben zu lassen. Im Lauf der Zeit kamen als zweites Standbein streckenbezogene Extraservices hinzu, vor allem im Zusammenhang mit mautpflichtigen Straßen, Brücken und Tunnels in Europa. Den dritten Teil der DKV-Leistungen stellen Services für das Speditionsmanagement dar: von einem online verfügbaren Maut-Routenplaner bis hin zum "Net Invoicing Program" für vereinfachte Auslandsabrechnungen.
Der neue DKV ist in drei als Profit Center operierende, kundenorientierte Geschäftseinheiten aufgeteilt: Kraftstoffe, Maut und Business Solutions. "Die drei Bereiche sind operativ autonom", erläutert Trautmann die Restrukturierung. Je sechs bis zehn Fachleute arbeiten in diesen Einheiten; quer dazu stehen der zentrale Vertrieb mit rund 200 Kräften und die - Trautmann unterstehenden - Servicebereiche Personal, Finanzen und IT.
Schulungen für 250 000 Euro
Die IT war und ist die größte Baustelle in der Neuorganisation. Geschäftsführer Trautmann wird wohl noch eine Weile einen erklecklichen Teil seiner Zeit mit IT-Management verbringen: "Wir wollen den Prozessgedanken in den Vordergrund stellen und uns vom Entwicklungsgedanken verabschieden." Konsequent hat er deshalb zwei Entwicklungsabteilungen, in Rumänien und Deutschland, bereits aufgelöst; vorher hatte sich der Headcount in der IT auf rund 100 Kräfte belaufen. Dieser starke Technikfokus der DKV-EDV machte für Trautmann keinen Sinn mehr. "Die Mitarbeiter sollen betriebswirtschaftliches Know-how in den Vordergrund stellen." Dafür nimmt er gewaltige Schulungskosten in Kauf: 250 000 Euro gibt der DKV aus, um sein Personal mit SAP R/3 vertraut zu machen; die Standardlösung soll bis Mitte 2006 alle Prozesse abdecken.
Schon jetzt habe man den EDV-Bereich "aus dem Mittelalter in die Neuzeit übertragen", so Trautmanns Zwischenfazit. Die mehr als 20 Jahre alten Großrechner wurden an die Oetker-Tochter Oediv in Bielefeld outgesourct, ein Projektmanagement für die Pflege und die Ablösung der Host-Anwendungen wurde eingeführt. Im Januar 2005 wurde nach viermonatiger Arbeit SAP R/3 im Finanzbereich implementiert, die dazu erforderlichen Unix-Systeme migrierte man ebenfalls nach Bielefeld. Sämtliche Systeme sind doppelt ausgelegt, und die Prozesse auf dem Großrechner wurden "immens verjüngt", so Trautmann.
Zudem verfügt der DKV seit kurzem über ein neues EDI-System (Electronic Data Interchange), um die Rechnungen von 7000 Lieferanten aus ganz Europa automatisch einzulesen und zur Weiterfakturierung an die Kunden auf den Host-Rechner zu übertragen. Bevor diese "Datendrehscheibe" auf der Basis einer Seeburger-Standardlösung die 1600 verschiedenen Datenformate beherrschte, musste ihr Repertoire kräftig aufgebohrt werden; kommen durch neue Lieferanten weitere Formate hinzu, lassen sie sich nun meist ohne Entwicklerhilfe interaktiv erstellen. "Für die Heterogenität unserer Anforderungen gibt es am ganzen Markt keinen Standard", so Trautmann.
Der Umbau von Firma und IT ist noch nicht beendet: Mitte 2006 werden die Bielefelder Outsourcer den DKV-Mainframe verschrotten. Dann muss die SAP-R/3Lösung, die außer den Produktionsanwendungen alle Module enthält, in eine Client/Server-Architektur umgezogen sein. "Wir implementieren eine komplette SAP-Integratinsplattform, die alle neuen Prozesse im Unternehmen abbildet", berichtet Trautmann. "Wir drehen einmal ganz groß am Rad, um dann verjüngte Prozesse und kürzere Durchläufe zu haben." Dazu dient vor allem ein Modul, das den DKV in seiner Funktion als Handelsagentur unterstützt und die Abrechnung mit den 7000 Lieferanten und Kunden - ein riesiges Transaktionsvolumen - erleichtern soll. Das Agenturmodul entwickeln die Düsseldorfer, in Teilen federführend, gemeinsam mit SAP.
Kein Vorteil durch Eigenentwicklungen
"Ich möchte möglichst viel Standard und möglichst wenig Eigenentwicklung im SAP haben", begründet Trautmann die starke SAP-Ausrichtung. "Man kann sich nicht durch einen hohen Eigenanteil in der Entwicklung vom Wettbewerb unterscheiden, sondern durch Prozesse." Die sollen künftig durchgängig sein, über alle Geschäftsfelder. Trautmann: "Jedes Produkt - Kraftstoff, Reifen, Maut, Business Solutions - kann dann auch finanztechnisch bewertet werden."
Last but not least: Der Vertrieb, der seine Kundendaten in Ermangelung einer CRM-Lösung heute noch mit Excel verwaltet, soll sich bis Mitte nächsten Jahres umfassend im ERP wiederfinden. Die Kundenbeziehungen, so Trautmann, existieren zum Teil über 50 Jahre oder drei Generationen, entsprechend umfangreich sind die Informationen über die Kunden.
Das soll sich nun ändern: "Künftig können wir die historischen Daten - welches Unternehmen hat wie viele Fahrer und wie viele Lkw, welche Produkte fährt welcher Kunde auf welchen Strecken - aufbereiten, korrelieren und danach unsere Services ausrichten."