Irgendwie war es in den letzten Jahren ruhig geworden um RFID, jene Hochfrequenzchips, mit denen Supply-Chain-, Handels- und Verkaufsprozesse revolutioniert werden sollten. Inzwischen spricht kaum jemand noch von den früheren Vorzeigeprojekten wie dem Future Store von Metro oder anderen Anwendungen, und die totgesagten Bar Codes dominieren noch immer die Szene. NXP Semiconductors und Siemens IT Solutions & Services wollen das nun ändern, zumindest für medizinische und pharmazeutische Unternehmen.
NXP ist ein Halbleiterunternehmen, das vor etwa 50 Jahren von Philips gegründet wurde. Weltweit beschäftigt der niederländische Konzern mittlerweile 28.000 Mitarbeiter in über 30 Ländern und produziert mehr im Verborgenen Halbleiter, Systemlösungen und Software. Haupteinsatzgebiete sind Chips für Fernseher, Set-Top-Boxen, Handys, Auto-Elektronik und weitere chip- oder software-gesteuerte Geräte. Zusammen mit Siemens arbeitet man jetzt an einem RFID-Projekt, das die Prozesse in der pharmazeutischen Lieferkette dramatisch beschleunigen soll.
Müssen bisher Packungen einzeln an Barcode-Scannern vorbeigeführt werden und dafür teilweise aus großen Transportkisten herausgenommen werden, hat sich NXP auf Funkchips spezialisiert, die drahtlos auch über bestimmte Distanzen hinweg funktionieren. RFID (Radio Frequency Identification) wird heute bei NXP gegen kontaktlose Wegfahrsperren in Autos oder kontaktlose Zutrittskontrollen in Gebäuden oder bei Massenverkehrsmitteln – wie zum Beispiel in der Londoner U-Bahn – abgegrenzt: Während es hier um kurze Distanzen bis zu Zentimetern oder Millimetern geht, fokussiert man sich bei RFID jetzt mehr um das Lesen von Produktinformationen, die über größere Entfernungen bis hin zu 8 Metern geht.
Im pharmazeutischen Bereich geht es laut Dirk Morgenroth, Marketing Manager bei NXP, darum, soviel Waren wie möglich auf einmal zu identifizieren – und das so genau wie möglich. Angestrebt sind Erkennungsraten von möglichst 100 Prozent, was sich aber nur in Abhängigkeit von bestimmten Applikationen und je nach Branchenbesonderheiten umsetzen lässt. Unterstützt werden diese Anstrengungen von einem neuen RFID-Standard namens HF Gen2, der auf Basis der ICODE-Hochfrequenz-Technologie entwickelt wurde und zur Zeit abschließend geprüft wird.
Vorteile von RFID gegenüber Barcodes
Der Standard soll bei NXP in eine Applikation für die pharmazeutische Industrie umgesetzt werden. Ziel ist es, große Stückzahlen von Packungen, die mit RFID-Etiketten versehen sind, zeitsparend auf einen Rutsch zu erkennen. Unternehmen sollen damit imstande sein, an jedem Punkt der Lieferkette einen präzisen Überblick über die Warenwege und den Lagerbestand zu erhalten.
Wie Morgenroth im Gespräch mit CIO Healthcare-IT erläutert, geht es nun darum, die erhöhten Lesegeschwindigkeiten in Applikationen und Chips umzusetzen und so die Lesegeschwindigkeiten weiter zu verbessern. Je nach Anwendung und Stufe in der Lieferkette sollen mit so wenig Arbeitsaufwand wie möglich die Produkte auf einer Palette oder in einer Kiste identifiziert werden.
Bisher wurde das mit Barcodes gemacht, was aber das Aus- und Einpacken der einzelnen Produkte erforderte. RFID-gestützt soll es ohne manuelle Arbeit gehen, indem über den Austausch von Funksignalen gescannt oder durchleuchtet wird. Im pharmazeutischen Bereich geht es besonders um die schnelle Produktidentifizierung auf Förderbändern.
Beim Lesen der Inhalte oder auch Stückzahlen spielt die Anti-Kollisionsrate eine Rolle: Sie entscheidet darüber, wieviel RFID-Labels pro Sekunde gelesen werden können. Die Anti-Kollision verhindert, dass sich alle Labels gleichzeitig beim Lesegerät melden, und sorgt für ein geordnetes Nacheinander – ähnlich wie in der menschlichen Kommunikation, wo in der Regel auch nicht alle durcheinander reden. Technisch betrachtet, sendet der Reader bestimmte Befehle an die Labels, die das sequentielle Erkennen ermöglichen.
NXP und Siemens bemühen sich jetzt darum, den neuen Standard HF Gen2 in Sachen Schnelligkeit für die Pharmabranche und weitere medizinische Anwendungen in die Praxis umzusetzen. Während vor ein paar Jahren noch 50 bis 60 Labels pro Sekunde gelesen werden konnten, erlaubt die neue Frequenz von HF Gen 2 (13,5 MHertz) mehr als 500 Labels pro Sekunde. Die maximale Rate kann bis zu 800 Stück gehen, muss aber noch getestet beziehungsweise verifiziert werden.
RFID gibt es nicht als Plug and Play
RFID ist noch immer keine Plug-and-Play-Lösung. Im Einzelfall bedarf es einer Menge an Entwicklungsarbeit. NXP hat zu diesem Zweck ein Application and System Center (ASC, früher RFID Reference Design Center) in Graz eingerichtet, um RFID-Anwendungen unter realen Bedingungen zu testen und weiter zu entwickeln. So entstand auch in Kooperation mit dem Bereich IT Solutions & Services von Siemens eine Applikation für die Pharmabranche.
Auftretende Probleme bei RFID haben mit der Trefferquote zu tun, also damit, eine Rate von wirklich 100 Prozent zu erreichen, oder mit einer Art Faraday-Effekt, der auftritt, wenn ein Stück Metall bei Verpackungskisten zwischen dem Reader und dem Label liegt – notwendige Signale kommen nicht durch oder werden abgelenkt. Auf der physikalischen Ebene geht es auch um die Größe der Etiketten, je nach Verpackungsformat sowie um die zu erreichenden Entfernungen. Wie Morgenroth ausführt, hängt die Lösung solcher Fragen vom jeweiligen Einsatzgebiet ab, generelle Lösungen gäbe es bei RFID nur selten. Hierin sei ein Faktor zu sehen, warum es mit RFID insgesamt so langsam vorangeht.