Sie ist die unscheinbare Schwester der eleganten Golden Gate Bridge. Doch nun stellt die Bay Bridge in San Francisco ihre berühmte Schwester allnächtlich in den Schatten. Seit Anfang März verwandelt der US-Künstler Leo Villareal die Brücke in ein riesiges Lichtkunstwerk.
25.000 Leuchtdioden an den Tragseilen machen sie zum größten Schwarz-Weiß-Display der Welt: Jetzt erstrahlen darauf Bilder und Videos von fast drei Kilometer Breite und bis zu 150 Meter Höhe. Nicht nur die Größe des Spektakels beeindruckt. Ebenso faszinierend ist, wie wenig Energie es braucht. Nur 30 Dollar Stromkosten verursacht das Lichtspiel pro Nacht.
Nutzte Villareal stattdessen Glühbirnen, läge der nächtliche Stromverbrauch 40 Mal höher: 7000 Kilowattstunden, der Energiebedarf von vier Brauereizelten an einem Oktoberfestabend. "Mit klassischen Leuchten hätten wir das Projekt weder finanzieren noch technisch realisieren können", sagte Villareal beim Start des Events.
Vom Nischenprodukt zum Allrounder
Kompakt, ausdauernd und extrem Strom sparend - damit haben die Lichtchips immer mehr Einsatzfelder erobert, von der Displaybeleuchtung im Handy bis zum markanten Tagesfahrlicht am Auto. Im Kern aber blieben LEDs Nischenprodukte. Als universelle Lichtquelle waren sie noch nicht leuchtstark genug - oder viel zu teuer.
Damit ist nun Schluss. Nach Jahren eher gemächlicher Entwicklungen durchläuft die LED-Technik jetzt Innovationsschübe, wie sie die Leuchtenindustrie nicht erlebt hat, seit Thomas Alva Edison vor gut 130 Jahren seine Glühbirne patentierte. Licht, so viel ist klar, wird gerade neu erfunden.
Vor allem, weil sich Intensität und Farbmix der stahlenden Dioden heute mit digitaler Präzision justieren lassen. Und so erschließen sie rasant neue, teils verblüffende Einsatzfelder, von denen lange niemand ahnte, dass sie je realisierbar würden: Sie werden zu Heilmitteln, die Muskelschmerz und Depressionen vertreiben, sie lindern Jetlag auf Reisen und stimulieren sogar die Konzentrationsfähigkeit. In Straßenlaternen mindern sie Lichtsmog in Städten, weil sie die Helligkeit absenken, wenn niemand unterwegs ist. Und versagt ein Schaltkreis, rufen sie selbst den Servicetechniker.
"Wir erleben den Sprung der letzten analogen Technologie aus der Industrieära ins digitale Zeitalter", sagt Fred Maxik, Gründer des US-LED-Spezialisten Lighting Science Group. Immer besser verstehen Forscher und Entwickler die Wirkweise des elektronischen Lichts. Und sie finden ständig neue, leistungsstärkere Rezepturen für den magischen Mix aus Kunststoff, Metall und Halbleitern, der die Chips zum Strahlen bringt, sobald Strom hindurchfließt.
Licht 2.0
Seit Beleuchtungstechnik und Informationstechnologie in LEDs verschmelzen, erlebt das Licht Innovationszyklen wie zuvor nur die Computerbranche. Moores Law, wonach sich die Leistung der Chips alle 18 Monate verdoppelt, oder sich ihr Preis bei gleicher Leistung halbiert, gilt nun auch für die smarten Strahler.
Mit der Folge, dass High-End-Systeme inzwischen einerseits Fußballplätze beleuchten, während andererseits erste LED-Lampen mit Schraubsockel und einer Lichtausbeute, die klassischen 40-Watt-Birnen entspricht, nicht einmal mehr zehn Euro kosten.
Update fürs Licht
Dabei sind die Leuchten so langlebig, dass Kunden kaum noch durchgebrannte Birnen ersetzen müssen. Die Hersteller setzen daher auf neue Geschäftsmodelle. Wie Philips mit seinem Hue-System: Das Set aus drei in Helligkeit und Farbe variablen LEDs ist funkvernetzt, lässt sich per Handy-App von jedem Ort der Erde via Internet steuern und ist updatefähig. Obwohl das Set fast 200 Euro kostet, konnte Philips nach dem Start 2012 monatelang nicht so schnell liefern, wie sich die Hue-Sets verkauften.
Experten der Unternehmensberatung McKinsey sagen voraus, dass der LED-Anteil am Beleuchtungsmarkt 2016 weltweit auf rund 45 Prozent und bis 2020 sogar auf 70 Prozent steigt. Bis dahin dürfte der Umsatz von heute rund elf Milliarden auf etwa 70 Milliarden Euro wachsen. "Auf mittlere Sicht", sagt denn auch Reinhard Baumgärtner, Produktmanager beim Leuchtmittelhersteller Osram, "gibt es kaum ein Nutzungsszenario für Licht, bei dem nicht LEDs zum Einsatz kommen werden."
Die spannendsten neuen Lichtkonzepte, Anwendungsszenarien und Forschungsprojekte präsentieren wir auf den nächsten Seiten.
Tuning für die Leuchten
Klassische Glühlampen als Lichtstrahler zu bezeichnen geht an der Realität völlig vorbei. Es sind vor allem Heizkörper, die bis zu 97 Prozent der aufgenommenen Leistung in Wärmestrahlung umwandeln. Das ergibt zwar "warmes" Licht, ist aber erschreckend ineffizient. Immerhin brauchen moderne Leuchtdioden - bei gleicher Lichtausbeute - rund 80 Prozent weniger Strom.
Dass sie herkömmliche Lampen trotzdem nicht längst aus dem Alltag verdrängt haben, lag vor allem an drei Nachteilen, mit denen die leuchtenden Chips lange zu kämpfen hatten: Sie waren entweder teuer, nicht lichtstark genug oder strahlten kaltes, ungemütliches Licht ab.
Angenehmere Farbbereiche, fallende Preise
Alle drei Punkte aber haben die Entwickler mittlerweile deutlich entschärft. Noch immer sind die meisten Dioden im bläulichen Farbspektrum besonders lichtstark. Doch inzwischen gelingt es immer besser, die tatsächlich abgestrahlte Lichtfarbe mithilfe spezieller Beschichtungen der Diode in für das menschliche Empfinden angenehmere Farbbereiche zu verschieben.
Zudem verfallen die Preise der LEDs rasant. "Das sind im Grunde Mikrochips, nur dass sie keine Rechenoperationen erledigen, sondern Lichtwellen abgeben", sagt Rene van Schooten, Chef der Leuchtensparte beim Elektronikriesen Philips. Und wie bei Prozessoren oder Speicherchips kenne der Preis auch bei LEDs nur eine Richtung: "abwärts!"
Während die einfachsten LED-Lampen schon um zehn Euro zu haben sind, liegen die Top-Modelle konstant bei um die 50 Euro. Dafür steigt deren Leistungsfähigkeit und Energieeffizienz kontinuierlich an. Inzwischen erreichen LED-Lampen für den Hausgebrauch die Lichtstärke klassischer 75- bis 100-Watt-Leuchten, brauchen aber nur rund 12 beziehungsweise 20 Watt.
Damit sparte eine solche LED bei 25 Cent Strompreis je Kilowattstunde und täglich fünf Stunden Betrieb gegenüber einer Haushaltsglühlampe etwa 23 Euro im Jahr. Der Kauf amortisierte sich also bereits im zweiten Jahr. "Und weil hochwertige LED-Leuchten bei langer Betriebsdauer allenfalls etwas an Lichtintensität abnehmen, aber kaum noch kaputtgehen", sagt Mario Hopp, Chef des Projektgeschäfts bei Toshiba Lighting Systems, "verteilt sich der Kaufpreis auf einen viel längeren Nutzungszeitraum."
Effiziente Strahler
Das gilt auch für den Einsatz von LEDs in der Straßenbeleuchtung - selbst wenn der Effizienzvorteil der Lichtchips zumindest gegenüber den etablierten, markant gelb leuchtenden Natriumdampflampen kleiner ist als bei klassischen Glühlampen.
Dafür strahlen die Chips ihr Licht stark gerichtet ab. So lässt sich genau definieren, wo Straßen und Plätze hell sind und wohin, etwa auf Häuserfronten, wenig Licht fallen soll. Das reduziert den Lichtsmog und lässt auch zur Straße gewandte Schlafzimmer bei Nacht im Dunkeln liegen.
Zum anderen lassen sich die Leuchten stufenlos dimmen. Gesteuert nach Uhrzeit oder über Bewegungssensoren, können die Lampen ihre Helligkeit - und damit den Energieverbrauch - senken, sofern niemand unterwegs ist. Weil sich die elektronischen Lampen digital vernetzen lassen, können sie sogar autonom den Wartungsdienst rufen, sobald ein Bauteil ausfällt.
Das Einsparpotenzial bedarfsgesteuerter LED-Beleuchtungen ist immens. Der Ölkonzern BP hat bei einer Tankstelle in Österreich ermittelt, dass sich so der Stromverbrauch, verglichen mit klassischen professionellen Außenleuchten, um bis zu 85 Prozent senken lässt.
Vor dem Sparen kommt die Umrüstung
Von derlei Sparpotenzial konnten Kämmerer vieler notorisch klammer deutscher Kommunen trotzdem lange nur träumen. Denn vor dem Sparen steht erst einmal die Umrüstung der Leuchten auf die neue LED-Technik. Und die kostet schnell Millionen von Euro. Geld, das oft fehlt.
Weshalb Hersteller wie Hella oder Osram nun neben dem Verkauf der Leuchten auch ein anderes Vertriebsmodell anbieten: Ein Dienstleister finanziert die Umrüstung vor und bekommt dafür über Jahre von den Kommunen einen Teil der eingesparten Stromkosten gutgeschrieben. Am Ende der Laufzeit gehen die Leuchten in den Besitz der Städte über. Das sei, sagt Nima Mehrdadi, verantwortlich für Strategie und Technologietransfer bei Hella Industries, eine Triple-win-Situation: "Die Stadt spart Geld, der Finanzier macht sein Geschäft, und wir verkaufen unsere Produkte."
Optischer Espresso
Gut 200 Jahre lang galt das menschliche Auge unter Wissenschaftlern als weitgehend erforscht - bis Forscher vor gut 20 Jahren auf der Netzhaut Unerwartetes fanden: Eine bis dato unbekannte Art lichtempfindlicher Zellen, die weder der Farb- noch der Helligkeitswahrnehmung diente.
Heute weiß man, dass die Zellen so etwas sind wie das Zeitsignal für die innere Uhr des Menschen. Sie hemmen, wenn Licht darauf fällt, die Ausschüttung des Hormons Melatonin. Die Folge: Körpertemperatur und Puls steigen, und selbst eingefleischte Morgenmuffel werden dynamischer. Parallel dazu bringt der Nervenimpuls - wie optischer Espresso - Hirnregionen in Schwung, die für die Gedächtnis- und Reaktionsfähigkeit wichtig sind.
Entscheidend ist dabei nicht die Quelle, sondern das Farbspektrum des Lichts. Die Wirkung ist umso stärker, je mehr blaue Anteile auf die Sensorzellen fallen. Das belegen Untersuchungen des Schlafforschers Christian Cajochen vom Zentrum für Chronobiologie an der Universität Basel, aber auch Studien an Schulen in Ulm sowie Hamburg. Die Probanden schnitten bei Denkversuchen und Konzentrationstests besser ab.
Doch auch umgekehrt sind die Ergebnisse aufschlussreich. Denn sie erklären, warum mancher, der abends im Bett auf dem Tablet-PC liest oder surft, anschließend kaum zur Ruhe findet. Auslöser ist dann oft der hohe Blauanteil im Licht der LED-Hintergrundbeleuchtung des Computers, der unbemerkt die Ausschüttung des schläfrig machenden Melatonins hemmt.
Zwar sind die Ergebnisse der Schulversuche mit Zurückhaltung zu genießen; in beiden Fällen wurden die Wissenschaftler von den Leuchtenherstellern Philips beziehungsweise Osram unterstützt. Doch die Erfahrungen aus Hamburg und Ulm decken sich mit Erkenntnissen unabhängiger Forschungsgruppen. Und sie lassen das Potenzial erahnen, das speziell in LED-Leuchten steckt, deren Farbtemperatur die Hersteller exakt steuern können. Das warme Licht der Glühbirnen von weniger als 3000 Kelvin ist dagegen von der biologisch wirksamen Farbe des Tageslichts jenseits 5000 Kelvin weit entfernt.
Heilsame Helligkeit
Selbst wenn die unmittelbare Wirksamkeit der LEDs als Intelligenz-Tuning noch nicht erwiesen sein mag, an der Wirkung des Lichts aufs allgemeine Wohlbefinden besteht kein Zweifel mehr. Längst setzen Psychiater bei Patienten, die im Winter über Niedergeschlagenheit klagen, zuerst auf die Wirkung tageslichtoptimierter Lichtduschen und erst dann auf Medikamente.
Auch der Flugzeugbauer Boeing wiederum nutzt die Erkenntnisse in der Kabinenbeleuchtung seines neuen Dreamliner-Langstreckenjets. Dort sorgen LEDs für einen der Tageslichtdynamik angepassten Lichtton. Noch bevor die Ruhephase im Fluge beginnt, verschiebt sich die Farbtemperatur ins Rötliche und wirkt unterschwellig beruhigend auf den Biorhythmus. Nähert sich der Nachtflug seinem Ende, beginnen die Lampen erst sanft zu glimmen, bevor der Ton wie an einem sonnigen Morgen stärker ins bläuliche Hellweiß wechselt, das Lebensgeister weckt.
Simulierte Schäfchenwolken
Wie sich diese Effekte auch im Büroalltag nutzen lassen, untersucht Oliver Stefani, Lichtforscher am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart. Dort hat er eine Leuchtenkonstruktion an die Decke eines Konferenzraumes montiert, mit der er im Haus die Helligkeit und den Farbwechsel des Lichts im Tagesverlauf simulieren kann.
Steuern kann Stefani das Himmelsspiel über eine App auf seinem Tablet-PC. Wenn er will, kann er selbst simulierte Schäfchenwolken über einen künstlichen, hell strahlenden Himmel ziehen lassen.
"In erster Linie aber", sagt Stefani, gehe es darum, "dass sich jene Menschen, die den größten Teil des Tages unter kargem Kunstlicht verbringen, unter dem realitätsnahen Himmel wieder wacher und wohler fühlen". Wenn sie, wie erhofft, dabei auch produktiver wären, könnte sich der Himmel sogar für die Arbeitgeber rechnen.
Thomas Tölle hat sogar noch weiter gehende Pläne mit der heilsamen Wirkung des Lichts. Gemeinsam mit dem Leuchtenhersteller Osram hat der Leiter des Zentrums für Interdisziplinäre Schmerzmedizin (ZIS) am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München ein neues Lichtkonzept für die neu bezogenen Räume des ZIS entwickelt. Im Empfangs- und Wartebereich sowie in den Physiotherapie- und Gruppenräumen sorgen spezielle LED-Systeme für hoch dosierte Helligkeit - 4000 Lux statt der sonst in Innenräumen üblichen 300 bis 800 Lux.
Die intensive und ebenfalls dem natürlichen Tageslichtverlauf angepasste biologische Stimulation der Netzhaut könnte seinen Patienten gleich in zweifacher Hinsicht helfen, sagt Tölle: Wer Schmerzen hat, schlafe oft schlecht und habe einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus. "Hier könnte angepasster Lichtverlauf ausgleichend wirken", so der Schmerzexperte.
Vor allem aber hofft er, dass seine Installation die Ergebnisse einer US-Studie bestätigt, wonach der Einsatz des dynamischen Lichts auch direkt Schmerzen lindern hilft: Die 2005 veröffentlichte Untersuchung hatte ergeben, dass Patienten, die nach Operationen in einem sonnendurchfluteten Raum lagen, rund ein Viertel weniger Schmerzmittel benötigten als Patienten ohne Lichtbehandlung.
Tölle jedenfalls ist optimistisch: "Wir stehen noch ganz am Anfang, wenn es darum geht, die Möglichkeiten der neuen, digitalen Lichtquellen zu verstehen." Das Potenzial aber sei immens, so der Mediziner: "Sowohl wissenschaftlich als auch ökonomisch, wird das eine ganz große Sache!"
(Quelle: Wirtschaftswoche)