Vor rund einem Jahr berichtete die Computerwoche das erste Mal über das Potenzial von NFC. Viele Kollegen und Leser, die damals die Technik mit Argumenten wie "Zu wenig Endgeräte im Markt" oder "Keine Chance, da nicht von Apple unterstützt" noch als Sciene Fiction abtaten, müssen sich mittlerweile eines Besseren belehren lassen. Winston Yeo, Vice President Mobile Financial Services bei Gemalto, spricht inzwischen von "einem wahren Kickstart, den NFC hingelegt hat", und stellt fest, dass seit etwa sechs Monaten sogar die bis dato eher zurückhaltenden Banken verstärkt das Thema NFC nachfragen.
Apple verschläft den NFC-Trend
Selbst etliche Analysten unterschätzten die Dynamik des Marktes. Entgegen ihren eher vorsichtigen Erhebungen wurden 2012 zwischen 110 und 115 Millionen NFC-fähige Handys verkauft. Und für 2013 wird erwartet, dass um die 285 Millionen neue Handsets mit NFC ihren Käufer finden. Laut ABI Research sind derzeit rund 180 verschiedene NFC-Smartphones im Handel erhältlich, was etwa 90 Prozent der angebotenen Modelle entspricht. Damit, so das Marktforschungsunternehmen weiter, unterstützen jetzt alle wichtigen Handy-Hersteller - von Apple abgesehen - den berührungslosen Kurzstreckenfunk. Nur der sich gerne als Innovationsschmiede darstellende Konzern aus Cupertino hat den Trend verschlafen.
NFC auf dem Desktop
Da die Hersteller in der Regel vor allem ihre höherwertigen Modelle mit NC ausstatten, können die Anbieter damit eine zahlungskräftigere Klientel ansprechen, was die Technik wiederum für neue Business-Modelle im B2B- und B2C-Umfeld interessant macht. Und selbst in Geräten, bei denen man nicht unbedingt sofort an NFC denken würde, ist die Technik mittlerweile zu finden: Headsets, Mäuse, Lautsprecher, Monitore und selbst WLAN-Access-Points werden mittlerweile mit der Technik ausgestattet. Unter dem Schlagwort "Tap to share" soll der Anwender so seine Geräte auf einfache Weise koppeln können.
Während der Vorteil bei einer PC-Maus oder einem Headset auf den ersten Blick nicht deutlich wird, zeigt sich dies am Beispiel WLAN schnell. Mit Tap to share könnten die Zeiten vorbei sein, in denen der Anwender umständlich lange und schwer zu merkende WLAN-Schlüssel für den Netzzugang eingeben muss. Stattdessen muss er beispielsweise in Hotels sein Endgerät nur noch gegen einen NFC-Tag halten, und der WLAN-Zugang inklusive Schlüssel wird automatisch eingerichtet - analog könnten Unternehmen mit einem WLAN-Gastzugang in ihren Gebäuden verfahren. Im Gegensatz zum Wifi Protected Setup (WPS), das bei vielen Implementierungen Sicherheitslücken aufweist, hat diese Methode zudem den Vorteil, dass NFC aufgrund seiner geringen Reichweite (um die zehn Zentimeter) nicht ohne weiteres aus der Ferne angegriffen werden kann.
Die einfache und sichere Gerätekoppelung ist aber nur ein Aspekt der NFC-Einsatzmöglichkeiten. Was heute mit NFC bereits alles im Alltag möglich ist, demonstrierte die Branche während der Mobilfunkmesse Mobile World Congress in Barcelona im Rahmen des Projekts "NFC Experience". Dazu hatten sich Restaurants, Boutiquen, Museen, Banken, Hotels und die Messe selbst zu einem riesigen Showcase zusammengeschlossen, um den Besuchern das Business-Potenzial der neuen Technik in Verbindung mit Smartphones zu demonstrieren.
Großer Showcase in Barcelona
Die NFC-Experience begann für die Besucher etwa mit einem virtuellen NFC-Messeausweis. Mussten die Besucher sonst beim Betreten des Messegeländes relativ rigide Einlasskontrollen (Vorzeigen des Personalausweises und Abgleich mit dem Namen auf dem Messeausweis) über sich ergehen lassen, brauchten die NFC-User lediglich ihre Handy auf ein Lesegerät zu legen, und ihre Bilder erschienen auf einem Display für die Kontrolleure. Leicht abgewandelt könnte dieses Szenario im Unternehmen klassische Zugangssysteme ersetzen. Oder wie im Messehotel als Zimmerschlüssel für das Hotelzimmer dienen.
Bezahlen als Killer-App?
Und in den Messerestaurants hatte für die NFC-Benutzer das Bargeld ausgedient. Sie konnten per elektronische Geldbörse auf dem Handy via NFC bezahlen. In der virtuellen Börse steckte eine Prepaid-Visa-Kreditkarte als "MoneyToPay". Eine Einsatzmöglichkeit, die nicht auf die Messe beschränkt blieb. Auch in der City von Barcelona waren beim Shoppen zahlreiche Akzeptanzstellen zu finden. Insgesamt wurden unter dem Motto "Barcelona Contactless" rund 15.000 PoS-Terminals installiert. Experten wie Gemalto-Vice-President Yeo schätzen, dass es bereits über 100.000 NFC-Akzeptanzstellen in Europa gibt.
Eine andere Anwendung war das sogenannte Couponing, eine Voucher-Applikation, mit der es in Geschäften einen Discount gab. Im Gegensatz zu den klassischen Rabattheftchen hat die elektronische Version für den Handel entscheidende Vorteile: Die Verteilung der Coupons kann etwa over the air erfolgen, und im Laden lässt sich beim Einlösen per NFC gleich prüfen, aus welcher Aktion der jeweilige Coupon stammt und wer ihn einlöst. Wer diesen Ansatz mit Location based Services, etwa Google Maps, kombiniert, kann potenzielle Kunden gezielt in das eigene Geschäft lotsen.
Dabei stellt in Sachen NFC weniger die technische Seite als vielmehr das logistische Zusammenspiel der beteiligten Unternehmen eine Herausforderung dar. So ist das Secure Element, eine Art virtueller Tresor auf dem Smartphone, das die Sicherheit gewährleisten soll, in mehreren Varianten verfügbar. Gemalto favorisiert etwa einen SIM-basierten Ansatz, bei dem das Secure Element direkt auf der Mobilfunkkarte sitzt. Bei NXP, das Unternehmen stellt auch zahlreiche NFC-Tags her, setzt man dagegen auf einen Chip, der direkt in die Hardware des Smartphones integriert ist.
Das Secure Element
Und dieser ist, worauf NXP-Pressesprecher Michael Maader besonders stolz ist, klonsicher, kann also nicht kopiert werden. "Damit entspricht unser Secure Element den Schutzklassen 5 beziehungsweise 6", so Maader weiter. Giesecke & Devrient fährt dagegen zweigleisig und setzt sowohl auf die SIM-Karte als auch ein Embedded Element. Für Michael Kuemmerle, Member oft the Management Board und Group Executive Mobile Security bei Giesecke & Devrient, hängt dies vom Anwendungsfall ab: "Im Smartphone könnte das etwa die SIM-Karte sein, während in einer Telematik-Box im Auto eher ein Embedded Element die erste Wahl sein dürfte."
Schwieriger zu lösen ist dagegen die Frage, wer Zugriff auf das Secure Element hat und damit bestimmt, welche Applikationen zum Einsatz kommen. Per se ist das Secure Element zwar Multi-Application-fähig, doch um die Sicherheit zu gewährleisten, hat ein Anbieter die Oberhand über das Element. Das können die Carrier sein, aber auch Banken oder Kreditkartenorganisationen.
Wer entscheidet über Apps?
Im Fall eines Zugangssystems auf NFC-Basis könnte dies für den Anbieter bedeuten, dass er, je nachdem, wem das Secure Element gehört, mit verschiedenen Unternehmen wie Banken, Carriern oder anderen sprechen muss, um seine Anwendung aufspielen zu können. Im Rahmen der NFC Experience arbeiteten beispielsweise Sony als Smartphone-Hersteller, Telefónica als Netzbetreiber, Visa, die CaixaBank, Gemalto, Accenture und andere eng zusammen, um dieses Problem zu lösen.
Praxisbeispiele
Sieht man von dieser Frage einmal ab, setzt heute lediglich die Phantasie der Unternehmen, neue Business-Szenarien zu finden, dem NFC-Einsatz Grenzen. Einsatzfelder könnten etwa das bekannte Mobile Ticketing im öffentlichen Transportwesen sein, wie es bereits in Asien, aber auch in Dubai praktiziert wird.
In aufstrebenden Märkten wie Mexiko übernimmt NFC bereits die Rolle eines Bezahlmittels, wenn zwei Handys im Peer-to-Peer-Verfahren Guthaben austauschen. In Nordamerika nutzen Konzerne wie Kraft, Sony oder Coca-Cola NFC zum Location-based Marketing. Eine interessante Idee hatte in Frankreich die Einzelhandelskette Casino. Sie stattete die Preisschilder an den Ladenregalen mit NFC-Tags aus. Hält der Kunde hier sein Smartphone dagegen, bekommt er Rezeptvorschläge oder Informationen über die Inhaltsstoffe, darunter auch Hinweise für Allergiker oder Diabetiker. In Deutschland, so wurde auf dem MWC gemunkelt, ist im Mai oder Juni mit einem großen NFC-Announcement der Telekom zu rechnen. (Computerwoche)