Privatleben leidet

Nicht mehr Krankheitstage durch Digitalisierung

15.11.2016 von Christiane Pütter
Wer ein gutes Verhältnis zum Vorgesetzten hat, meistert die Digitalisierung besser. Das belegt eine Studie der Barmer GEK und der Uni St. Gallen.
  • 65 Prozent der Befragten müssen jederzeit am regulären Arbeitsplatz sitzen
  • Der Krankenstand steigt nicht durch Digitalisierung
  • Insgesamt jeder Vierte (25 Prozent) sagt, die heutigen Arbeitsanforderungen beeinträchtigten sein Privat- und Familienleben
Eine schlechte Beziehung zum Chef steigert den Stress durch Digitalisierung, so eine Studie der Barmer GEK.
Foto: bikeriderlondon - shutterstock.com

Unter dem Titel "Auswirkungen der Digitalisierung der Arbeit auf die Gesundheit von Beschäftigen" hat die Krankenkasse Barmer GEK mehr als 8000 Bundesbürger befragt. Die Ergebnisse sind widersprüchlich: So schätzen die Befragten die Freiheit mobilen Arbeitens, sprechen aber auch von negativen Auswirkungen auf ihr Familienleben.

Zu den Studienteilnehmern zählen Angestellte ebenso wie Freiberufler und Beamte. Studienleiter ist Professor Stephan Böhm von der Universität St. Gallen, Unterstützer sind die Telekom sowie die Bild-Zeitung.

Home Office noch nicht durchgesetzt

Demnach hat sich das sogenannte Home Office noch nicht etabliert. Fast zwei von drei Befragten (65 Prozent) erklären, nicht außerhalb des regulären Arbeitsplatzes arbeiten zu dürfen. Die anderen müssen sich zumindest teilweise an Einschränkungen halten: Nur 17 Prozent können den Arbeitsort an bis zu 20 Stunden im Monat frei wählen.

Gleichzeitig ist mehr als jeder Zweite (55 Prozent) davon überzeugt, dass "Technologie dem Menschen mehr Freiheit gibt, dort zu leben und zu arbeiten, wo sie wollen". 53 Prozent unterschreiben auch, dass die Technologie sie in ihrem persönlichen Leben produktiver macht. In beiden Fragen zeigen sich jüngere Studienteilnehmer (bis 39 Jahre) optimistischer.

Junge Mitarbeiter sorgen sich stärker

Allerdings äußern jüngere Befragte häufiger Sorgen. Gut jeder Fünfte (21 Prozent) von ihnen sieht sich durch die Digitalisierung gezwungen, schneller zu arbeiten. Unter den Älteren (über 50 Jahre) sagen das nur neun Prozent. 16 Prozent der Jüngeren klagen, sie müssten mehr Arbeit verrichten, als sie können. Von den Älteren sagen das nur sechs Prozent.

Christian Bremer: Das Prinzip Achtsamkeit
Christian Bremer
Der Pädagoge Christian Bremer arbeitet seit rund 20 Jahren als Coach. Er plädiert für mehr Gelassenheit.
Das Prinzip Achtsamkeit
In seinem Buch "Das Prinzip Achtsamkeit" empfiehlt Bremer zu kleinen täglichen Meditations-Übungen.
Meditation ist überall möglich
Ein guter Einstieg sei es, sich einfach an einen ruhigen Ort zu setzen und die Augen zu schließen. Das kann übrigens auch im Zug passieren oder am Flughafen beim Warten auf das Boarding. Wichtig ist eine entspannte Körperhaltung – nicht zwingend ein akrobatischer Lotussitz.
Bewusst Schmecken und Kauen
Auch bewusstes Schmecken und Kauen schult die Achtsamkeit, so Bremer.
Raus ins Grüne
Ein kurzer Spaziergang für sich allein hilft, zur Ruhe zu kommen.
Bewusst Atmen
"Konzentrieren sie sich täglich bewusst auf ihre Atmung. Es reicht bereits eine Minute", sagt Bremer.
Die andere Hand
Tipp für Rechtshänder: Es schult die Aufmerksamkeit, Dinge mit der linken Hand zu machen - und umgekehrt.
Einfach mal lächeln
Ein weiterer Tipp: Öfter mal Lächeln
Klare Kommunikation
Wer Füllwörter wie "eventuell", "vielleicht" oder "ähm" weglässt, schafft Klarheit.
Wertschätzung
Bremer rät auch, Mitarbeitern und Kollegen immer mal wieder ehrliche Komplimente auszusprechen.

Noch ein Datum zu den ganz Jungen: Elf Prozent der 18- bis 29-Jährigen fühlen sich bedroht, wenn Kollegen technologisch besser versiert sind als sie selbst. Unter den Älteren erklären das lediglich drei Prozent.

Digitalisierung führt nicht zu mehr Krankheitsausfällen

Ein weiteres Ergebnis: Die Digitalisierung führt nicht zu mehr Krankheitsausfällen. "Zwischen der Anzahl der Krankentage und dem Grad der Digitalisierung von Unternehmen besteht nur ein geringer Zusammenhang", schreiben die Studienautoren.

Gleichzeitig sieht Stephan Böhm Führungskräfte in der Verantwortung. "Eine gute Beziehung zur Führungskraft gibt Mitarbeitern mehr Sicherheit im Umgang mit der Digitalisierung", erklärt der Studienleiter. Er belegt das anhand von zwei Punkten.

Insgesamt aber erklären fast sieben von zehn Studienteilnehmern (69 Prozent), sie kämen mit ihrem Vorgesetzen gut aus. 64 Prozent fühlen sich insgesamt in ihrer Arbeitsumgebung wohl.

Digitalisierung beeinträchtigt Privatleben

Zu den negativen Auswirkungen der Digitalisierung: Insgesamt jeder Vierte (25 Prozent) sagt, die heutigen Arbeitsanforderungen beeinträchtigten sein Privat- und Familienleben. Dieser Anteil steigt auf 39 Prozent, wenn man die betrachtet, die nach eigenen Worten unter der Digitalisierung leiden.

Außerdem beklagen ebenfalls 25 Prozent, aufgrund der Arbeitsanforderungen würden zu Hause Dinge liegen bleiben. 22 Prozent fällt es schwer, "familiäre Pflichten zu erfüllen".

9 Tipps gegen Stress
Treiben Sie Sport ...
... und ziehen Sie Yoga und weitere Meditationsübungen in Betracht. Diese Übungen sind die besten Mittel gegen Stress und tragen dazu bei, Stressgefühle abzubauen. Ganz abgesehen vom gesundheitlichen Nutzen dienen die Trainings auch dazu, den Stress besser zu managen.
Lernen Sie gut zu atmen
Obwohl wir natürlich seit unserer Geburt atmen, wissen die meisten von uns nicht, wie man richtig atmet. Viele atmen in einer oberflächlichen Art und Weise - besonders in stressbetonten oder unruhigen Zeiten. Tiefes Atmen durch den Bauch kann zur inneren Ruhe beitragen. Und es hilft, in unbequemen und angespannten Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren.
Bringen Sie ihre Mitarbeiter an einen Tisch, um über jetzige schwere Zeiten zu sprechen
Wer sich die Zeit nimmt um darüber zu sprechen, wie die vielen Veränderungen und Schwierigkeiten am Arbeitsplatz die einzelnen Mitarbeiter bewegen, kann die Arbeitsmoral heben. Es ist ein Fehler zu glauben, Menschen seien nicht verängstigt und besorgt und der Arbeitsplatz sei davon nicht betroffen.
Fordern Sie zu positiven, lösungs-orientierten Antworten auf
Die Zeiten sind angespannt und schwierige Veränderungen in Organisationen sind die Regel. Daher sind Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit und Offenheit so wichtig. Heute ist es mehr als je zuvor entscheidend, eine positive Einstellung in der Belegschaft auszulösen. Stellen Sie Fragen, die zu Lösungen ermuntern wie "Was läuft heute gut, was sind unsere Stärken, wie möchten wir, dass dieses Unternehmen aussieht?"
Seien Sie mit den Gedanken und mit dem Herzen bei der Sache.
Leute arbeiten intensiver für das, woran sie glauben und was sie zur Schaffung beigetragen haben. Das ist ein entscheidender Punkt, der während einer tiefgreifenden Umgestaltung am Arbeitsplatz geprüft werden muss. Was das mögliche Ausmaß des Arbeitsplatz-Wandels betrifft, sollten Mitarbeiter frühzeitig in die Entwicklung einbezogen werden.
Lernen Sie Ihre eigenen Gefühle zu erkennen
Bücher, Gruppen, Familie und enge Freunde sowie Trainer können wichtige Quellen sein, um sich den eigenen Gefühlen bewusster zu werden. Auch kann man dadurch leichter lernen, mit diesen Gefühlen umzugehen, um sich über sein Verhalten im Klaren zu werden. Besonders sollte man darauf achten, wie man andere Menschen anspricht.
Geben Sie als Führungskraft ein gutes Beispiel
Was man tut oder lässt, hat direkten Einfluss darauf, was Mitarbeiter glauben, was akzeptabel ist. Seien Sie ein überzeugendes Beispiel dafür, dass ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Beruf und Privatleben von Bedeutung ist. Essen Sie mit anderen zu Mittag und motivieren Sie Kollegen dazu mitzukommen. Auch Spaß und Lachen am Arbeitsplatz sind erwünscht, da dies Stress reduzierende Faktoren sind.
Nehmen Sie sich Zeit für gute Nachrichten
Wer sich immer nur auf das Negative konzentriert, tut weder seiner Gesundheit noch seiner Denkweise einen Gefallen. Und seien wir ehrlich: Der Anteil an positiven und erbaulichen Geschichten in den Nachrichten fällt eindeutig spärlich aus. Es ist extrem wichtig, sich so gut wie möglich von jeglichem Trübsal abzukapseln und wieder mit Leuten Kontakt aufnehmen bzw. Dinge zu tun, die Spaß machen.
Halten Sie sich von überflüssigen Dingen frei
Konzentrieren Sie sich auf den Kern Ihrer Arbeit. Jetzt ist Zeit, mit den Mitarbeitern Prioritäten zu setzen und sich darüber Gedanken zu machen, welche Projekte einen perfekten Lösungsansatz erfordern. Nicht jedes Projekt kann an oberster Stelle stehen. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten sind Brainstorming-Sitzungen wichtiger denn je.

Die Studie sieht hier einen Zusammenhang zum Thema der ständigen Erreichbarkeit. Fast jeder zweite Befragte (46 Prozent) setzt sich auch in der Freizeit an den Computer oder nimmt das Telefon zur Hand, um Dienstliches zu erledigen. Unter ihnen sind es nur 38 Prozent, die die Zeit für solche Tätigkeiten bewusst begrenzen. Hier seien die Erwerbstätigen selbst gefordert, so Böhm.

Stressprävention oder Ernährungsberatung fördern

Gleichzeitig appelliert der Studienleiter an Unternehmen, mehr für die Gesundheitsförderung ihrer Mitarbeiter zu tun. Kurse zur Stressprävention oder Ernährungsberatung böten solche Möglichkeiten. Andererseits: Nur jeder zweite Befragte nutzt solche Angebote.

Mehr Technik-Schulungen gewünscht

In Sachen Technik-Wissen melden deutsche Arbeitnehmer Bedarf an: Knapp jeder Fünfte (18 Prozent) wünscht sich Schulungen für neue Technologien oder IT-Systeme. Unter den Befragten aus Industrie und Handwerk sind es mit 24 Prozent überdurchschnittlich viele.