Michael Jost: Herr Professor Fischer, wie groß ist der Bereich E-Commerce, B2B und B2C, in Deutschland und mit welchem Wachstum ist zu rechnen?
Professor Fischer: 2007 wird der Umsatz wohl bei etwas über 18 Milliarden Euro gelegen haben. Die jährlichen Wachstumsraten werden nun langsam kleiner, was aber völlig normal ist. Spannend sind aber nicht die aggregierten Umsätze, sondern die, die ein einzelnes Unternehmen machen kann. Der Löwenanteil wird noch immer von den großen Multi-Channel-Versendern gemacht. Bei mittel-ständischen und kleineren Unternehmen ist noch viel zu holen. Für 2010 rechnet der Branchenverband des Deutschen Versandhandels damit, dass bereits die Hälfte des gesamten Versandhandelsvolumens via Online erzielt werden wird.
Jost: Haben denn die kleineren Anbieter überhaupt eine Chance gegen die „Big Player“ anzukommen?
Fischer: Warum denn nicht? Im Web einzukaufen ist schneller, bequemer, oft günstiger und letztlich durch das Rückgaberecht für Konsumenten sogar „sicherer“. Hinzu kommt, dass eine optimierte Webseite, die gut in Suchmaschinen gefunden wird, auch dem Offline-Umsatz hilft. Das gilt für einen Frisör genauso wie für einen Nischenanbieter von Schlafanzügen für Zwerghamster. 14.000 Suchanfragen werden im Google-Netzwerk jede Sekunden gestartet, etwa ein Drittel davon hat einen lokalen Bezug. Die Menschen suchen zum Teil verzweifelt Produkte und Dienstleistungen – nur werden sie noch immer nicht oft fündig. Unternehmen nehmen häufig zu Unrecht an, eine eigene Webseite wäre ein lästiges Must-have und man könne damit kein Geld verdienen. Da bleibt unvorstellbar viel Geld auf der Straße liegen. Jacob Nielsen hat erst vor kurzem eine große Studie abgeschlossen, die besagt, dass im Schnitt 83 Prozent Umsatzsteigerungen durch Verbesserungen der Nutzung und Bedienbarkeit erreicht werden können.
Jost: Das ist aber doch branchenabhängig! Was nützt ein optimierter Web-Auftritt einem Unternehmen, was nur konventionelle Geschäfte macht?
Fischer: Das trifft auf alle Branchen zu. Gegenfrage: Wem würde ein „problemlos gefunden werden“ denn nicht nützen? Wie sollen Neukunden ein Unternehmen finden, dessen Namen, Standort und Produktbezeichnungen sie noch nicht kennen? Das geht am einfachsten über eine vernünftig gestaltete und für Suchmaschinen optimierte Website.
Jost: Wieviel Geld muss man in die Hand nehmen, um diese Chancen wahrzunehmen und wie lange dauert es, bis sich ein Erfolg einstellt?
Fischer: Konzentriert man sich zunächst auf bezahlte Anzeigen in Google & Co. kann man oft schon mit wenigen Euro pro Tag mit einem Besucherzuwachs rechnen. Vorausgesetzt man geht mit dem Budget effizient um. Die Rechnung ist hier noch ganz einfach: Steckt man mehr Geld hinein, kommen mehr Kunden raus. Die Frage der Budgethöhe stellt sich so eigentlich gar nicht. Gewinne ich mit fünf Euro einen neuen Kunden pro Tag, sind es zwei bei zehn Euro. Solange ich mehr als die investierte Summe an einem Neukunden verdiene, stocke ich vernünftigerweise das Budget so lange auf, bis das volle Potenzial abgeschöpft ist. Anders als bei allen anderen Werbeformen muss man hier ja tatsächlich erst bezahlen, wenn auch wirklich Kunden auf die Website kommen, also auf Anzeigen klicken. Allerdings muss man eine nutzerfreundliche Seite für den Erstbesucher vorhalten. Das, was spleenige Agenturen oder selbstdarstellerische Chefs da oft publizieren, ist davon allerdings weit entfernt. Der potenzielle Kunde verschwindet schneller wieder, als er gekommen ist. Leider wird hier teils gar nicht oder teils falsch gemessen. Robuste und aussagekräftige Kennzahlen liegen so gut wie nie vor. Ein reiner Blindflug ist das, was die meisten Unternehmen hier machen.
Jost: Was sind denn die Kardinalsünden im E-Commerce?
Fischer: Als größte Sünden identifizieren wir bei unseren Tests und Analysen oft eine nicht intuitiv verständliche Navigation, lieblose Produktbeschreibungen und –bilder sowie komplizierte Bestellprozesse. Das Problem dabei ist, dass die Menschen im Unternehmen sich selbst oft gar nicht mehr vorstellen können, dass ein Außenstehender Produktbezeichnungen oder Fachbegriffe nicht kennt. Hier spielt oft die Betriebsbrille einen Streich. Nicht selten finden wir bei Tests aber auch gravierende Fehler in der Programmierung. Selbst die einfachsten Fehlersimulationen, wie in ein Eingabefeld einen unerwarteten Wert einzugeben, bringen viele Shopsysteme noch immer zum Abbruch. Etwa zehn Prozent erstellen bei einer Stückzahleingabe mit einem Minuszeichen vor der Zahl eine Gutschrift. Oder man drückt unbedarft den Zurück-Knopf im Browser und alle Formulareingaben sind futsch. Wer dann „Diese Seite ist nicht mehr gültig“ zu lesen bekommt – der überlegt sich dreimal, ob er hier einen neuen Anlauf nimmt oder lieber gleich bei der Konkurrenz einkauft. Da geht definitiv Geld verloren.
Jost: Warum nutzen Unternehmen denn dann die sich bietenden Chancen nicht und geben sich mit mäßigen Webseiten und durchschnittlichen Shops zufrieden?
Fischer: Weil sie die vielen, teilweise verzweifelten Menschen, die mit dem Unternehmen Kontakt aufnehmen möchten, nicht sehen. Sie sind allesamt anonyme Aufschläge auf einer Festplatte des Webserver. Aussagekräftige Kennzahlen werden nicht ermittelt und eine Auswertung der Bewegungsmuster der Besucher über die Webseiten unterbleibt bei den meisten Betreibern. Im Vergleich zur Offline-Welt wird das Internetgeschäft oft nur mit dem halben Engagement betrieben. In einem realen Ladengeschäft würden die Werksfeuerwehr, die Beratungsfirma Mac Ypsilon und der Chef höchstpersönlich anrücken, man würde sich auf die Lauer legen und beobachten, warum die Kunden so viele volle Einkaufswägen vor der Kasse stehen lassen. Warum so viele nur den Eingangsbereich betreten und auf dem Absatz wieder kehrt machen. Man würde die Gründe analysieren, abstellen und testen, ob nun wieder jeder neun von zehn etwas kaufen. Im Web wird das komischerweise wortlos akzeptiert. Das ist halt „irgendwie so“. Natürlich wird man keine Umwandlungsraten von 80 Prozent erzielen können. Die Unternehmen müssen ihre Einstellung ändern. Sie müssen umgekehrt denken! 98 Prozent der Besucher kaufen nicht? Woran könnte das liegen? Das Schöne ist ja, dass man viele Fehler, die Menschen vom Kauf abhalten, meist schnell findet.
Jost: Gefunden werden ist ja eine wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Web-Auftritt, Ist es sinnvoll, sich auf eine optimierte Platzierung bei den dominanten Suchmaschinen in zu konzentrieren?
Fischer: Nach unserer Erfahrung unbedingt! Auf das erste Ergebnis bei Google klicken etwa 46 Prozent aller Suchenden. Auf Platz sechs noch durchschnittlich 4,5 Prozent. Das macht eine Besuchersteigerung von 1000 Prozent, wenn man es von Platz sechs auf eins schaffen sollte. Hat man einen funktionierenden Shop dahinter und alle Randbedingungen bleiben gleich, steigt auch der Umsatz um diese Dimension. Wer kaufmännisch ausgebildet ist, wird gleich erkennen, dass der Gewinn hier überproportional zum Umsatz steigern muss. Mit anderen Worten: Einige wenige, gute Platzierungen ganz vorne bringen deutlich mehr, als hunderte von Begriffen auf den Folgeseiten der Suchergebnisseiten von Suchmaschinen. Im deutschsprachigen Raum ist wohl derzeit eine Konzentration auf Google anzuraten. Hier tummeln sich mit allen Partnersites etwa 90 bis 95 Prozent des gesamten Suchvolumens.
Jost: Wodurch versäumen Unternehmen denn typischerweise TOP-Platzierungen bei Suchmaschinen?
Fischer: Oft lassen sie sich von Agenturen Technologien einsetzen, die Suchmaschinen den Weg zur Inhaltserkennung der Seiten verwehren. Das ist ein großes Problem, denn woher soll ein Unternehmen, das Bremsklötze herstellt, wissen, welche Techniken Suchmaschinen nicht schmecken? Webagenturen verdienen aber mit sogenannten Flash-Animationen viel mehr Geld als mit einfachen Webseiten. Dazu kommt, dass selbst auf das Web spezialisierte Agenturen oft noch immer nicht wissen, wie eine Seite optimal für Suchmaschinen gestaltet werden muss. Oft ist es gar kein böser Wille oder die Maxime, möglichst viel Umsatz aus einem Auftrag zu generieren. Es ist schlicht Unkenntnis.
Jost: Der potentielle Kunde hat mich gefunden, wie bekomme ich ihn jetzt dazu, etwas bei mir kaufen?
Fischer: Sie haben eine Sekunde Zeit! Gerade wenn Besucher über Suchmaschinen kommen, geben sie einer Webseite wenig Zeit. Tatsächlich hat man etwa eine Sekunde, um zu visualisieren, worum es hier geht. Tippt jemand einen Domainnamen von einer Visitenkarte ein, verhält er sich dagegen völlig anders – und toleranter. Beim unserem „First-Impression“ Test stellen wir fest, dass man auf vielen Webseiten beim besten Willen nicht auf den ersten Blick erkennen kann, was der Betreiber anbietet. Man darf das Umfeld eines Suchmaschinennutzers nicht vergessen: Er kommt von einer Seite mit zehn Alternativen, d. h. er hat nach dem Klick auf den Zurück-Button noch weitere, vielversprechende Möglichkeiten. Warum soll er sich mit einer kompliziert wirkenden Seite rumschlagen? Warum soll er den „Unternehmensvisions-Film“ mit „Skip intro“ überspringen, wenn er nicht mal weiß, was das bedeutet? Das Design bestimmt zum großen Teil mit, ob es den Besuchern Spaß macht. Wir sehen zum Beispiel gerne andere Menschen auf Webseiten – eine Augenpartie kann schon reichen, um eine Webseite sympathischer zu machen. Oder: Wir klicken gerne auf dreidimensionale Buttons. Viel lieber als auf flache Rechtecke mit „kaufen.
Jost: Können Sie ein paar Beispiele und Beispielunternehmen für schlechte Benutzerfreundlichkeit (Usability) nennen?
Fischer: Das Web ist voll davon. Dell zum Beispiel verlangt seinen Käufern schon ein hohes Maß an Leidensfähigkeit ab, wenn diese online einen PC oder ein Notebook zusammen stel-len möchten. Dort wird seit Jahren fast alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Aus meiner Sicht ist es kein Wunder, dass Dell - die übrigens hervorragende Produkte herstellen! - immer weiter abrutscht. Aber auch Unternehmen wie BMW muten ihren Besuchern einiges zu. Deren Webauftritt wurde vor kurzem komplett in Flash umgestellt. Man kann dort nun die Fahrzeuge um 360 Grad drehen. Eine hübsche Spielerei, die den Vorstand sicher begeistert hat. Und der Kunde? Welches denkbare Kundenproblem löst es, einen 3er BMW in Matchboxautogröße drehen zu können? Mir fällt keines ein, denn jeder sieht diese Autos jeden Tag im Original auf jeder Straße. Umgekehrt war das Budget mit diesen Spielereien wohl aufgezehrt. Was die potenziellen Käufer interessiert, finden sie bei BMW nicht – zumindest nicht auf den ersten Blick. Preise? Verbrauch? Beschleunigung? Fehlanzeige. Man muss sich ein oder zwei mehrere Megabyte große PDF-Dokumente downloaden. Eben die Prospekte und Preislisten – diesmal in Originalgröße und auch mit allen leeren (Rück-)Seiten des Originalprospekts. Das wirkt nicht gerade kundenfreundlich. Der Link für eine neue Farbpatrone nach dem Selbstausdruck fehlt allerdings noch. Was ich damit meine ist, dass noch immer nicht nachgedacht wird, was den Besucher nützt und welche Informationen ihm helfen. Stattdessen versucht man ihn wie im Kaufhaus zu „emotionalisieren“. Klassischer Zitronenstaub aus der Marketingwelt zur Kaufverführung funktioniert im Web aber nur bedingt. Dort gelten eben andere Gesetze.