Blicken Sie noch durch im Diesel-Chaos? Blaue Plakette ja oder nein, mögliche Fahrverbote als Lösung oder als Problem - und über all dem die Frage, ob moderne Motoren wirklich so viel sauberer sind als alte Dreckschleudern. Falls nach Stuttgart auch München einen Teil der Selbstzünder aus seinem Zentrum verbannen sollte, könnte dies Autofahrer und Autobauer gleichermaßen schwer treffen. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen im Diesel-Komplex:
1. Pro und contra Fahrverbote
Es begann in Stuttgart. Das grün-schwarze Landeskabinett von Baden-Württemberg beschloss im Februar grundsätzlich die Möglichkeit von Fahrverboten. Nun schwappte die Debatte nach München über, wo Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wegen hoher Werte von Stickoxid (NOx) Zufahrtsbeschränkungen für Diesel erwägt. Bis zum Jahresende muss Bayern laut dem Verwaltungsgerichtshof ein Konzept entwickelt haben, damit die Schadstoff-Grenzwerte eingehalten werden können.
Der Autoverband VDA ist gegen Einschränkungen für ältere Dieselwagen etwa der Abgasnorm Euro-5: "Um die Luftqualität in den Städten zu verbessern, gibt es intelligentere Maßnahmen als Fahrverbote." Initiativen für besseren Verkehrsfluss könnten den Ausstoß von NOx schon um ein Drittel drücken. Auch BMW und Daimler sehen das so. VW plädiert für "klare, bundeseinheitliche Regelungen" - steht aber der vom Bundesverkehrsministerium abgelehnten blauen Plakette für besonders hohe Umweltzonen-Auflagen im Prinzip "positiv gegenüber".
2. Auch neue Euro-6-Diesel sind nicht immer echte Saubermänner
Der Streit dreht sich vor allem darum, wie mit alten Dieselmotoren umgegangen werden soll - nicht nur in den bundesweit 54 städtischen Umweltzonen. Jedoch sind auch Antriebe der jüngeren Euro-6-Generation oft alles andere als schadstoffarm: Kürzlich fand das Umweltbundesamt heraus, dass viele der modernen Varianten ebenfalls deutlich mehr NOx ausstoßen, als sie sollten. Einem Labor-Grenzwert von 80 Milligramm pro Kilometer standen Alltagsmessungen von 507 Milligramm gegenüber.
Verkehrs-Staatssekretär Norbert Barthle (CDU) beklagt indes eine "Diffamierungskampagne" gegen den Diesel. Nötig sei stattdessen mehr Unterstützung für E-Mobilität auch im Nahverkehr - "aber eben nicht durch Fahrverbote", sagte er der "Heilbronner Stimme". Die von ihm kritisierte Deutsche Umwelthilfe (DUH) weist die Vorwürfe zurück.
3. Gefahren für die Gesundheit, aber Klimaschutz nur mit dem Diesel?
NOx ist in hohen Dosen ein Atemgift und fördert die Feinstaubbildung. Laut einigen Studien gibt es auch Zusammenhänge zwischen vorzeitigen Todesfällen und hoher Stickoxid-Belastung. Die Autobranche betont, dass Diesel vergleichbarer Leistung geringere Mengen des Klimakillers CO2 freisetzen als Benziner. Daher seien sie wichtig, um von 2020 an den EU-Flottengrenzwert von 95 Gramm CO2 je Kilometer einhalten zu können. Das will aber nicht jeder gelten lassen - so etwa die DUH.
4. Autobauer wollen auf "Brückentechnologie" Diesel nicht verzichten
Deutsche kaufen nach wie vor gerne Dieselautos, für die Sprit dank Steuervergünstigungen billiger ist. Nicht nur bei den Herstellern, auch in den Zulieferbetrieben hängen Zehntausende Jobs am Verbrenner. E-Autos brauchen ganz andere Bauteile. Zudem geht der Ausbau der Infrastruktur, etwa von Ladestationen, nicht von heute auf morgen. In Sachen Reichweite und Ladedauer tut sich in der Forschung viel, doch bis zur Serienreife ist es weit. Der VDA argumentiert, dass der Verkauf der Verbrenner den Konzernen erst ermöglicht, in abgasfreie Technologien zu investieren. Die "Verkehrswende" ist eine zähe Sache.
5. Streit über alternative Konzepte
Vor allem die Grünen machen im Wahlkampf Vorschläge für sauberere Luft. Spitzenkandidat Cem Özdemir will den Abschied vom Diesel über höhere Steuern für schmutzige Autos beschleunigen. Im Gegenzug schlägt er Gutschriften bei der Kfz-Steuer für abgasfreie Autos vor, wie er der "Wirtschaftswoche" sagte. Auch fordern die Grünen, dass von 2030 an keine Autos mit Verbrennern mehr neu zugelassen werden - bei der Formulierung gibt es noch Unklarheiten. Das Umweltbundesamt will Dieselkraftstoff verteuern. Die SPD-Ministerinnen Brigitte Zypries (Wirtschaft) und Barbara Hendricks (Umwelt) regten an, zu "überlegen, wie wir Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität machen".
6. Graustufen im Abgas-Regelwerk
Kritiker sagen, die EU-Regeln zu sogenannten Abschalteinrichtungen seien nicht eindeutig. Zwar steht in der relevanten Verordnung: "Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig." Allerdings gibt es eine Reihe von Ausnahmen. So darf die Technik eben doch genutzt werden, um Motorschäden zu verhindern oder den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Umstrittene Folge: Die Hersteller nutzen "Thermofenster", bei denen in bestimmten Temperaturbereichen die Abgasnachbereitung heruntergeregelt wird.
7. Die Sicht des Bundesverkehrsministers
Alexander Dobrindt muss seit dem Beginn der Diesel-Affäre viel Kritik einstecken. Der CSU-Politiker schütze die Branche, lautet der Vorwurf von Opposition und Umweltschützern. Allerdings wirft auch Brüssel der Bundesrepublik vor, sie habe VW nicht bestraft und halte Daten zurück. Es läuft ein Vertragsverletzungsverfahren. Dobrindt sieht das anders: 2,4 Millionen VW-Diesel müssen im Pflicht-Rückruf umgerüstet, 630 000 weitere Wagen mehrerer Marken in puncto Abgastechnik "freiwillig" nachgebessert werden. Er unterstützt verschärfte Regeln und neue Tests. Ausnahmen bei der Reinigung für den Motorschutz seien an den "Einsatz der besten verfügbaren Technologien" zu koppeln.
8. Neue Testverfahren ab September - wird dann alles besser?
Das Problem unrealistischer Abgastests ist erkannt. Für NOx soll deshalb ab September schrittweise das sogenannte RDE-Prüfverfahren mit Messungen auf der Straße eingeführt werden. Jedoch sollen noch jahrelang großzügige Abweichungen von geltenden Grenzwerten erlaubt bleiben. Auch für die Messung von CO2 gelten bald neue Auflagen. Ab September ist das realistischere WLTP-Verfahren für neue Modelle verpflichtend. Ein Jahr später wird es für alle Neuwagen zwingend. (dpa/rs)