Bis vor kurzem hatten deutsche Unternehmen beim Aufbau von Corporate Networks wenig Auswahl. Wollten sie ihr Equipment aus einer Hand kaufen, so kam nur Huawei als Vollausstatter in Frage. Der chinesische Großkonzern war als einziger Hersteller in der Lage, alles Equipment vom LAN, WLAN über Fixed Lines, RZ-Ausstattung bis hin zu Mobilfunknetzen zu liefern.
Seit dem 1. Januar ist der deutsche Markt um einen Player reicher: Zu diesem Termin nahm Nokias Enterprise Business Group hierzulande ihre Tätigkeit auf. Die Group soll neben reiner Netztechnik künftig auch Business Apps, etwa für Anwendungen wie Predictive Maintenance oder Asset Optimization liefern.
Nach eigenen Aussagen sind die Finnen damit neben Huawei der zweite Netz-Vollausstatter weltweit. Die Ausrichtung auf Großunternehmen und Industriekunden unterstreicht der Konzern mit seiner Nokia-for-Industries-Strategie. Um die industrielle Ausrichtung zu stärken, will das Unternehmen in Technologien wie Software Defined Networking (SDN) für Rechenzentren und SD-WAN-Anwendungen, Orchestrierung verteilter Cloud-Infrastrukturen, erweitertes Datenstreaming und Datenanalysen, Netzautomatisierung und Technologien für Funk-Campusnetze (Private LTE und 5G) investieren.
Skeptikern, die an der potenziellen Innovationskraft des Unternehmens im Vergleich zu Huawei zweifeln, halten die Finnen ihre Innovationsschmiede Nokia Bell Labs entgegen. Diese entstand, nachdem Nokia 2016 Alcatel-Lucent gekauft hatte und damit in den Besitz der renommierten Bell Labs kam. Aus der eigenen Organisation Nokia Future Works und den Bell Labs wurden dann die Nokia Bell Labs.
Zurück ins Enterprise-Business
Neben klassischer Netztechnik will Nokia die Enterprise-Kunden vor allem mit 5G-Technik für den Industrieeinsatz adressieren. Dabei propagieren die Finnen im Campus- und Unternehmensumfeld 5G als Ersatz für die klassischen WLAN-Netze, da die neue Mobilfunktechnik zuverlässiger sei. Bei dem Bemühen, 5G im Fertigungsumfeld zu etablieren, steht Nokia nicht allein da, sondern übt den Schulterschluss mit Partnern wie Bosch, Daimler, Trumpf und anderen. Denn mit IoT und Industrie 4.0 stehen diese Unternehmen fast alle vor ähnlichen Herausforderungen, wie:
in den Maschinen fallen immer größere Datenmengen an, die weitertransportiert werden müssen;
flexiblere Produktionsprozesse fördern den Trend zu Produktions-Spots mit mehreren Robotern;
mit der wachsenden Zahl an (IoT-)Sensoren entstehen Sensor Clouds mit neuen Kommunikationsanforderungen;
Smart Factories mit immer kleineren Losgrößen verlangen eine flexible durchgängige End-to-end-Kommunikation mit QoS-Mechanismen (Quality of Service).
Neue Möglichkeiten der Robotersteuerung
Dem Thema Robotersteuerung nehmen sich Bosch und Nokia mit ultra-reliable low latency communications (URLLC) und massive machine-type communications (mMTC) in Form eines "5G-Demonstrators" an. Ein Ziel ist es dabei, hochflexible Produktionsmodule zu entwickeln, die virtualisierte PLCs - also quasi Digital Twins - nutzen. Gleichzeitig wollen die Partner die Zahl der erforderlichen Maschinen-Steuerungspanels reduzieren.
Da diese in der Regel auch für Echtzeitfunktionen wie einen Not-Stopp genutzt werden, sind heute meist an jeder Maschine entsprechende Bedienpanels verbaut. Dies könnte sich künftig mit 5G und seiner Latenzzeit im Millisekunden-Bereich und einem Jitter im Mikrosekunden-Bereich ändern. Dann würde ein Tablet zur Steuerung mehrerer Maschinen ausreichen.
Oder man ersetzt das Tablet gleich durch eine VR-Lösung, um die virtuelle Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter zu ermöglichen. In der Praxis könnte der Mensch etwa in der Autoproduktion den Roboter beim Einbau schwerer Teile anleiten. Resultat wäre eine Win-Win-Situation für Mensch und Maschine: Während der Mensch vor Gesundheitsschäden durch zu schweren Lasten geschützt wäre, ließe sich der Roboter flexibler einsetzen, da er nicht jedes Mal bei einer neuen Modellvariante neue Bewegungsabläufe erlernen müsste.
5G-Use-Cases bei Mercedes
Dass es sich dabei nicht nur um theoretische Gedankenspiele handelt zeigt etwa Mercedes-Benz im Werk Sindelfingen mit der "Factory 56": Als Autofabrik der Zukunft soll diese durchgängig digital und flexibel sein. Dabei sind Maschinen und Anlagen miteinander vernetzt. Ausgewählte Montageanlagen und die Fördertechnik werden Internet of Things-fähig. Der Einsatz des leistungsstarken 5G-Mobilfunknetzes soll in der Factory 56 erstmals in Pilotanwendungen in der Montage getestet werden. Für die neue Funktechnik haben die Stuttgarter Autobauer dabei gleich eine Vielzahl an Use-Cases identifiziert (siehe Grafik).
Auf 5G in der Fertigung setzt künftig auch Maschinenbauer Trumpf. Das Unternehmen, das schon 20.000 connected machines zählt, will darüber einen virtuellen Online-Support via Tablet offerieren. Per 5G, so heißt es bei Trumpf, ließen sich Szenarien verwirklichen, bei denen ein sicherer Remote Service realisierbar ist, bei dem der Anwender die Hoheit über die Maschinen behält.
Apropos Maschinen und ihre Sensorik: Mit den 5G-Netzen und ihren neuen Features lässt sich auch die rasant steigende Zahl an IoT-Sensoren besser mit Connectivity versorgen. Zudem sieht Nokia hier ein neues Business-Feld, das die Finnen mit einem IoT Enablement Service unter der Bezeichnung Nokia Worldwide IoT Network Grid (WING) adressieren.
Um wie in der Anfangszeit von IoT im Industrieumfeld einen Hickhack um verschiedene Standards und Implementierung bei 5G zu vermeiden, bemühen sich Organisationen wie die IC4F (Industrial Communication for Factories) um eine Industrial Reference Architecture (iRefA), das in der 5G-Welt den Aufbau einer Distributed Industrial Cloud mit verschiedenen Architecture Building Blocks definiert.
Nokia streicht über 500 Stellen in Deutschland
Auch wenn Wolfgang Hackenberg, Geschäftsführer der Nokia Solutions and Networks GmbH 6 Co. KG, lobt, "wir machen gute Fortschritte bei der Umsetzung unserer Strategie, leistungsstarke End-to-End-Netze zu errichten, neue Branchen und Unternehmenssegmente zu erschließen und ein eigenständiges Softwaregeschäft aufzubauen", hat die Company nach wie vor ein Kostenproblem.
Um langfristig wettbewerbsfähige Kostenstrukturen zu etablieren, will das Unternehme bis Ende 2020 seine Kosten um 700 Millionen Euro reduzieren. Dazu sollen in Deutschland rund 520 Stellen gestrichen werden. Wie es heißt, betrifft der geplante Stellenabbau alle Nokia-Geschäftsbereiche, -Funktionen und -Standorte in Deutschland.