Zwei Millionen Menschen in mehr als 1000 Städten und Gemeinden Schleswig-Holsteins werden von der Schleswag mit Strom, Erdgas, Fernwärme und Wasser versorgt. Die Kunden stellen viele Fragen: Stimmt meine Jahresabrechnung? Wann wird die Leitung repariert? Im Callcenter der Eon-Tochter in Itzehoe bei Hamburg laufen die Telefone heiß; 85 Mitarbeiter des Centerbetreibers D+S Online nehmen Anrufe an, bearbeiten Post und Faxe. Das Ziel: 85 Prozent aller Anfragen sollen beim Erstkontakt abschließend beantwortet werden.
Fast kein Unternehmen kommt heute ohne Callcenter aus; 1500 davon hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Deutschland gezählt. Doch nicht alle arbeiten erfolgreich - mit Folgen für das Kerngeschäft: Nachdem die Hotline der Deutschen Bahn wochenlang nicht in der Lage war, Anfragen zum neuen Tarifsystem korrekt zu beantworten, nahm dessen Akzeptanz rapide ab. Im Konzern bemerkte man das erst, als Medienberichte die Qual mit den Calls zutage brachten. Zum Gegensteuern war es da zu spät.
Die so genannte Quality Scorecard ist ein Software-kennzahlensystem, das solche Katastrophen verhindern soll. Schleswag gehört zu den ersten Unternehmen, das auf diese Weise misst, ob ein Callcenter gut arbeitet. Bislang scheint das der Fall zu sein: So schnell wie beim Rendsburger Energieversorger würden Kundenanfragen bisher nirgendwo im Mutterkonzern Eon beantwortet, so Servicecenter-Leiterin Andrea Cammann. "Im Unternehmensvergleich sind wir Spitze." Dass D+S die Software selbst entwickelt hat, die die eigenen Leistungen dokumentieren soll, sieht sie nicht als Problem: "Für mich geht es um Transparenz, und die ist vorhanden."
Allein das wäre ein Fortschritt: Bislang müssen sich Entscheider auf ihr Bauchgefühl oder zeitaufwendige, unrepräsentative Testanrufe verlassen, um zu erfahren, wie gut die Telefonabteilung arbeitet. Die bisher einzigen Kennzahlen stammten aus den automatischen Anrufumleitungssystemen (Automatic Call Distribution), die jedes Callcenter einsetzt. Anrufzeiten und Gesprächsdauer lassen sich so auswerten; warum Kunden dann womöglich scharenweise fliehen, darüber verraten sie jedoch nichts. Nicht akzeptabel für Servicemanagerin Cammann: "Wir wollten uns über alle Kommunikationskanäle eine Sicht auf den permanenten Projektverlauf verschaffen; und zwar nicht allein auf Basis quantitativer Daten, sondern mit echten Qualitätskriterien."
Alle Serviceparameter auf einen Blick
Was gemessen werden soll, entscheiden die Auftraggeber. Da Kundenzufriedenheit eine Rechnung mit vielen Unbekannten ist, müssen Schleswag-Manager und D+S-Softwareexperten gemeinsam definieren, welche Variable im Kennzahlensystem welchen Wert erhalten soll. Sie legen etwa fest, wie wichtig ihnen die Erstlösungsquote bei Problemfällen im Verhältnis zur Dokumentationsqualität ist und welche Aufgaben Vorrang genießen. "Wir haben Bemessungskriterien entwickelt, die auch für weiche Faktoren ein objektives Urteil erlauben", so Cammann. "Auch die Mitarbeiterfluktuation fließt dabei ein." Hintergrund: Mitarbeiter mit Erfahrung beraten besser als Anfänger. Die Schleswag-Entscheider nutzen das neue Werkzeug ausgiebig. "Wir rufen die Daten der Quality Scorecard mindestens einmal täglich auf", sagt Cammann. "Meist am Nachmittag, weil wir dann bereits den maßgeblichen Verlauf des Tages überblicken können." "Wichtig ist auch die aktive Nutzung im Callcenter-Betrieb. Dort werden die Daten jede halbe Stunde ausgewertet und Konsequenzen für die Projektsteuerung gezogen."
Investition in Kommunikationsqualität
Neben der Schleswag nutzen auch der Hamburger Verlag Gruner+Jahr aus der Bertelsmann-Gruppe und Loyalty Partner das Scorecard-System; Loyalty Partner gibt die Payback-Chipkarten aus, mit denen Kunden im Tausch gegen Informationen über ihre Einkaufsgewohnheiten Bonuspunkte sammeln können. Hier müssen die Angestellten im Callcenter das richtige Maß zwischen Telefon-, Mail- und Faxkommunikation finden; sonst bleiben etwa Anrufe unbeantwortet, weil zu viele Agenten E-Mails bearbeiten. "Optimaler Kundenservice ist ein Erfolgsfaktor von Payback. Mit 23 Millionen Karten im Markt haben wir auf allen Kommunikationskanälen sehr viel Traffic, den wir schnell und effizient kanalisieren müssen. Die Scorecard soll Qualität und Geschwindigkeit der Kommunikation verbessern", so Geschäftsleitungsmitglied Tobias Hartmann.
Kundenzufriedenheit ist indes kein Selbstzweck. Bei der Schleswag hat der Aufbau des Systems rund ein viertel Jahr gedauert. "Die Kosten lassen sich schwer beziffern", räumt Cammann ein. Grund: Die Scorecard sei parallel zur Weiterentwicklung des CRM-Systems implementiert und integriert worden. Die Managerin geht jedoch davon aus, dass die Ressourcen im Callcenter durch verbesserte Abläufe künftig effektiver genutzt werden können.
"Die Quality Scorecard hat den Service bei der Schleswag messbar verbessert", lautet Cammanns Zwischenfazit. Nun hofft sie darauf, dass die Telefone künftig durch Bestell- statt durch Beschwerdeanrufe heiß laufen.