Die Justiz in Deutschland hat seit ein paar Monaten erweiterte Befugnisse, illegal erworbenes Vermögen einzuziehen. Verbrechen soll sich nicht lohnen dürfen, lautet der Grundgedanke. Bundesweit gibt es zu dem Thema bei Behörden jedoch Unsicherheiten und Beratungsbedarf. Hilfesuchende Blicke richten sich deshalb auch nach Nordrhein-Westfalen, das schon vor einem Jahr eine spezielle Anti-Geldwäschestelle eingerichtet hat.
Zentrale Organisationsstelle für Vermögensabschöpfung, kurz ZOV, heißt der Name der Einrichtung, die Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte in NRW bei Fragen zur Vermögensabschöpfung berät. 2017 kamen bereits rund 220 Anfragen und es werden immer mehr. "Uns erreichen mittlerweile auch Anfragen aus anderen Bundesländern", sagt der ZOV-Leiter, Oberstaatsanwalt José Andrés Asensio Pagan.
Millionen Euro in kleinen Scheinen versteckt im Reserverad oder im Handgepäck am Flughafen: Asensio Pagan kann viel darüber erzählen, wie Kriminelle ihre Gewinne transportieren und investieren. Er hat schon Jachten in Italien sichergestellt und Drogenhändlern Bitcoins abgenommen. "Man muss den Tätern so fest auf die Füße treten, dass die Bonbons aus den Taschen fallen", sagt er. Mancher nehme eine Gefängnisstrafe billigend in Kauf, wenn hinterher das aus einem Verbrechen gewonnene Vermögen auf einen warte. Wenn das aber auch weg sei, werde es für Kriminelle deutlich unangenehmer.
192 Millionen Euro illegales Vermögen
2017 wurden allein in NRW nach Angaben des Landes-Justizministeriums gut 192 Millionen Euro an illegalem Vermögen abgeschöpft. 2016 waren es 35,5 Millionen, 2015 gut 57 Millionen und 2014 rund 322 Millionen Euro, wobei der hohe Wert in 2014 auf den Ankauf von Steuer-CDs zurückzuführen ist. Die Einnahmen werden sich voraussichtlich auch aufgrund der ZOV auf hohem Niveau verstetigen, so der Sprecher.
Die Landesregierung verdoppelt jetzt das Personal der bundesweit einzigartigen Stelle ein Jahr nach deren Gründung. Die bei der Generalstaatsanwaltschaft Hamm angegliederte ZOV ist mit fünf Staatsanwälten gestartet. Der Landeshaushalt 2018 sieht eine Aufstockung auf elf Stellen vor.
Gewinne aus Verbrechen haben die Strafverfolgungsbehörden immer eingezogen, seit Juli 2017 sind ihre Befugnisse durch ein neues Bundesgesetz aber deutlich erweitert worden. Seitdem können die Strafverfolgungsbehörden nicht nur Erträge aus Straftaten abschöpfen, sie sind vielmehr per Gesetz dazu verpflichtet. Sie haben nun die Möglichkeit, Vermögen unter bestimmten Voraussetzungen auch dann einzuziehen, wenn sie nicht sicher wissen, aus welcher konkreten Straftat es stammt. Und das sind nur zwei Beispiele.
Überlastete Behörden
Die Reform ist für die Justiz weitreichend: "So eine weitreichende Reform gibt es nicht alle Tage", sagt Asensio Pagan, der seit mittlerweile mehr als 20 Jahren in der Justiz tätig ist. Häufig beträfen Reformen einen bestimmten Bereich des Strafrechts. Die Vermögensabschöpfung müsse nun aber zwingend in allen Verfahren gemacht werden. "Jeder Staatsanwalt ist damit befasst", sagt er.
Doch die Verunsicherung in der Justiz über die Reform ist bundesweit groß - rund läuft es noch nicht. "Die ersten Erfahrungen in der Praxis mit der neuen Reform sind leider negativ", sagt Peter Schneiderhan, Mitglied im Präsidium des Deutschen Richterbunds. In der Vergangenheit sei illegales Vermögen nicht immer ausreichend durch die Strafverfolgungsbehörden abgeschöpft worden. Doch das neue Recht sei keine Hilfe, sondern erschwere die Arbeit der Justiz. Schneiderhan geht davon aus, dass sich die Zahl der von den Beamten zu bearbeitenden Fälle nach der Reform verzehnfachen werde, die Behörden seien überlastet.
Kritik kommt auch von den Strafverteidigervereinigungen: "Was man feststellen kann, ist eine große Verunsicherung sowohl in der Justiz als auch bei den Verteidigern", erklärt Strafverteidiger Markus Meißner. Das liege auch daran, dass es bislang kaum Rechtsprechung gebe.
Trotzdem sei die Reform wichtig und richtig, findet der Leiter der Arbeitsgruppe Strafrecht bei Transparency International, Reiner Hüper. Verbrechen hätten sich in der Vergangenheit allzu oft für die Täter ausgezahlt. Ob die Reform zum Papiertiger werde, hänge nun vor allem davon ab, ob das Personal in der Justiz aufgestockt wird.
Auch Asensio Pagan sieht Unklarheiten im neuen Gesetz. Bestimmte Konstellationen habe der Gesetzgeber nicht bedacht. "Es besteht eigentlich unisono die Auffassung, dass der Gesetzgeber nachjustieren muss", erklärt er. Doch trotz aller Probleme ist er optimistisch. "Die Reform ist eine riesige Chance", sagt er. "Ich bin sicher, wenn die Strafverfolgungsbehörden das neue Instrumentarium konsequent anwenden, werden sich die Täter ganz schön umgucken." (dpa/rs)