Wenn sich Erzrivalen wie Google und Microsoft in einem Team wiederfinden, muss die Lage ernst sein. Die beiden Unternehmen, die sonst kaum eine Gelegenheit für Seitenhiebe auslassen, haben inmitten des NSA-Skandals eine Koalition der Internet-Branche für eine Reform des staatlichen Überwachungssystems geschmiedet. Mit an Bord sind auch Facebook, Apple, Yahoo, AOL sowie die Online-Netzwerke Twitter und LinkedIn. Die Unternehmen kämpfen darum, das Vertrauen der Nutzer wiederzugewinnen, das durch die aufgedeckten Schnüffeleien der US-Geheimdienste erschüttert wurde.
Die Aktion zeigt, wie aufgebracht die Unternehmen inzwischen über die Spionage in ihren Systemen und gegen ihre Nutzer sind. Bislang standen die US-Regierung, das Militär und die Geheimdienste im Zweifelsfall an der Seite der amerikanischen Hightech-Industrie. Der Staat gehörte zu den Geburtshelfern des Silicon Valley. Rüstungskonzerne wie Lockheed Martin brachten Produktion und Ingenieure nach Kalifornien. Im Kalten Krieg war der Rüstungs-Wettlauf ein zentraler Antrieb für Investitionen in die Elektronik-Forschung. Auch die Keimzelle des Internets entstand seit den 60er Jahren mit massiver staatlicher Unterstützung.
In der Internet-Ära blieb das Verhältnis zwischen der Branche und dem Staat lange Zeit weitgehend ungetrübt. Als Google Ziel eines groß angelegten Hacker-Angriffs aus China wurde, wandte Google-Mitgründer Larry Page sich laut Medienberichten an ranghohe US-Ermittler. Allem Anschein nach standen damals vor allem Google-Nutzerkonten chinesischer Dissidenten im Visier. Der Fall belastete auch die Beziehungen zwischen Peking und Washington. Die Internet-Branche konnte sich im Zweifel auf die Politiker in Washington verlassen.
Doch mit immer neuen Enthüllungen im Zuge des NSA-Skandals wurde das Vertrauensverhältnis auf die Probe gestellt. Nach den ersten Berichten über das Überwachungsprogramm Prism im Juni wiederholten die Unternehmen noch standhaft die praktisch wortgleiche Formulierung, dass sie Behörden keinen direkten Zugang zu ihren Servern gewährten. Google verlangte schon damals, die exakte Zahl der Geheimdienst-Anfragen nach Nutzerdaten nennen zu dürfen - eine Forderung, die bis heute nicht erfüllt wurde.
In den vergangenen Woche wurde die Distanz jedoch größer, der Ton kühler. Die Regierung habe es "vergeigt", erklärte Facebook-Chef Mark Zuckerberg in eher jugendlicher Wortwahl. Der Geduldsfaden riss endgültig, nachdem die "Washington Post" schrieb, dass die NSA Nutzerdaten systematisch zwischen den Rechenzentren von Google und Yahoo sowie möglicherweise auch Microsoft abgreift. Microsoft-Chefjustitiar Brad Smith sprach von einem "Erdbeben". Bei Google erklärte Verwaltungsratschef Eric Schmidt, ein solches Vorgehen wäre illegal gewesen. Die Internet-Konzerne wollen sich jetzt mit Rundum-Verschlüsselung schützen.
Man kann ihnen durchaus wirtschaftliche Motive für ihren Protest unterstellen: Sollten die Anwender das Vertrauen in die Dienste "Made in USA" verlieren, wird sich dies früher oder später auch in den Bilanzen von Google, Microsoft Facebook & Co. niederschlagen. "Spionieren ist schlecht für das Internet. Und was schlecht für das Internet ist, ist schlecht für das Silicon Valley", argumentiert US-Profressor Jeff Jarvis. "Und was schlecht für das Silcon Valley ist, (..) ist auch schlecht für Amerika."
Es lohnt ein Blick auf die Liste der Teilnehmer an der Initiative. Interessant ist, wer fehlt. So beteiligt sich kein Telekom-Konzern wie AT&T und Verizon oder Level 3, ein Anbieter von Datenpipelines, an der Protestaktion. Dabei sollen sich die Schnittstellen für die NSA-Datensauger gerade in diesem Netzen befinden.
Auch der weltgrößte Online-Händler Amazon ist nicht darunter, der eine gewaltige Cloud-Infrastruktur für viele Internet-Firmen betreibt. Der Name von Amazon tauchte in den bisher veröffentlichten NSA-Papieren nicht auf. Macht die Datensammelwut der NSA vor Amazon halt? Das Unternehmen bemüht sich zugleich um einen Auftrag für den Betrieb der internen Daten-Cloud des US-Geheimdienstes CIA.
Die Koalition der Internet-Riesen scheint nicht aus einem Guss zu sein: Apple unterzeichnete zwar den offenen Brief an das Weiße Haus und den US-Kongress. Unter dem Aufruf zu einer weltweiten Neuordnung der Geheimdienste fehlt dagegen das Logo mit dem angebissenen Apfel. Im Vergleich zu Google und Facebook versucht Apple sich als Unternehmen zu positionieren, das nicht darauf angewiesen ist, massive Datenbestände über seine Anwender anzuhäufen. (dpa/rs)