Es klingt ein bisschen wie das erste Betriebssystem, MS DOS von Microsoft, und es ist auch etwa in dieser Zeit entstanden. HOS hieß lange Zeit das Handelssystem der Ölhandelstochter von Marquard & Bahls, Mabanaft. HOS steht für das mehr als 25 Jahre alte Handels-Operations-System, und bis vor zwei Jahren störte das für die IT fast biblische Alter kaum jemanden, denn es funktionierte tadellos. Allerdings bahnte sich an, dass die selbst gebaute Software bald nicht mehr anpassbar sein würde. Nicht etwa die IT-Zentrale in Hamburg, sondern eine dezentrale Sektion in Belgien guckte sich elf Lösungen an und entschied sich für "White Angel" - so der Name der neuen Standard-Software, die derzeit die Belgier in ihrem Profit Center als Pilotprojekt für den Konzern ausrollen.
Damit betritt das mit zwölf Milliarden Euro Umsatz 2006 neuntgrößte nicht börsennotierte Familienunternehmen Deutschlands Neuland. Vor fünf Jahren einigten sich die IT-Macher bei Marquard & Bahls auf eine IT-Strategie, die global ausgerichtet sein sollte. Die Komplexität etwas herausnehmen und Synergien nutzen war jetzt der Ansatz. Und dazu gehörte auch der Einsatz von zentralen Standards, sofern sie Sinn machen. Denn nach Ansicht des heutigen IT-Direktors Stefan Kaiser bietet das die Vorteile, schneller auf neue Anforderungen zu reagieren, das Rad nicht zweimal zu erfinden, Komplexität zu verringern und auf zentrale Ressourcen zurückgreifen zu können. Argumente, die bekannt sind - für Marquard & Bahls jedoch relativ neu.
Anders als in DAX-Konzernen muss Marquard & Bahls keine Aktionäre zufriedenstellen, die ständig darauf aus sind, mit allen Mitteln die Gewinnmargen nach oben zu treiben. Unter wirtschaftlicher Not litt Marquard und Bahls ohnehin nicht. Der Umsatz verdreifachte sich innerhalb der vergangenen vier Jahre. Das Betriebsergebnis verbesserte sich von 61 Millionen Euro im Jahr 2005 auf 150 Millionen in 2006.
Lokale Flexibilität erhalten
Trotzdem greift jetzt die neue Struktur: Die aus 40 Mitarbeitern bestehende zentrale IT war ab sofort für die strategische Planung, die übergreifende Koordination des IT-Teams und das IT-Budget zuständig. Drei verschiedene Gremien waren für künftige Entscheidungen da: der Ausschuss für IT-Strategien, der IT-Lenkungsausschuss für die Bereiche Oiltanking und Mabanaft sowie der IT-Infrastruktur-Council, der sich um die Vereinbarung künftiger Standards kümmert.
Trotz der neuen Entscheidungswege und Organisationsstruktur war der Spagat offensichtlich: Zum einen einigten sich die Manager darauf, die lokale Flexibilität und Geschwindigkeit erhalten zu wollen und damit die Tradition des Familienunternehmens fortzusetzen, zum anderen sollte sich die lokale IT mit einem zentralen Team synchronisieren. Jedes Profit Center dürfe sich jetzt aus "Warenkörben" bedienen, so die Devise von Marquard & Bahls.
IT-Manager Kaiser lobt die lokale Vielfalt des Unternehmens neben der konzernweiten Effizienz. Und wenn nun ein Standard bei den Hamburgern erwogen wird, dann vereinfacht es die Sache, wenn die Ideen aus einem der weltweit verteilten dezentralen Profit Centern kommen - wie bei "White Angel". Dann kann er sich einen Teil der Überzeugungsarbeit sparen.
Zu gut kennt der CIO die Meinung der lokalen IT zu globalen Standards: langweilig, nicht innovativ, wollen besser sein als Standard - heißt es fern der Zentrale. Und: Standards bringen keine Anerkennung. Kaiser tut nicht so, als ob es ihn nichts anginge, und argumentiert nicht umgehend mit dem Totschlag-Argument Kosten, sondern sagt: "Vorbehalte sind schmerzhaft, und sie müssen berücksichtigt werden." Als Gründe für den behutsamen Umgang mit diesem Thema gibt er an, die Diskussionen "lieber vorher als nachher" führen zu wollen. "Wir vereinbaren die Standards, verordnen sie nicht", sagt IT-Manager Kaiser. "Die Diskussionen sind ergebnisoffen, und die Profit-Center können sie mitgestalten. Die Menschen sind nämlich nicht immer so unvernünftig." Kaiser: "Trotzdem haben wir keine Basisdemokratie."
Neben globalen Standards wie etwa dem Office-Paket von Microsoft oder einer Mail- und Collaboration-Plattform, die jeder nutzt, sind das auch Lösungen aus einzelnen Geschäftsbereichen:
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Der Bereich Oiltanking, der weltweit 75 Tanklager in 21 Ländern betreut, setzt seit Kurzem auf einen Standard für das Reporting - und zwar in der Basis auf die Oracle-E-Business-Plattform. Drei verschiedene Systeme in Europa, ein anderes in den USA und eins in Deutschland verkomplizierten die Logistik des Öltankgeschäfts. Oscar heißt das Produkt, für Oil System Competence and Reporting, das zu 80 Prozent individuell angepasst werden musste.
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Wie "White Angel" von den Fachbereichen getrieben, ist der Einsatz von Outlook Soft. Inzwischen wurde die Firma von SAP übernommen und in die SAP-Suite als Business-Planning-Consolidation (BPC)-Tool integriert. In mehr als 30 Profit Centern im Oil-Tanking-Bereich ist dieser Standard heute im Einsatz. Und auch Mabanaft überlegt einen Umstieg auf den Standard aus dem Marquard & Bahls-Warenkorb.
Technische Grundlage ist ein globales Netzwerk, das Marquard & Bahls im Einsatz hat, um die IT-Standards in die dezentralen Profit Center verteilen zu können (Kaiser: "Gleise für die Standards"). Seit etwa einem halben Jahr betreut der Dienstleister Vanco das Netzwerk der Hamburger und gewährleistet zudem die Sicherheit im Netz. Als sich herausstellte, dass die neuen Prozesse mit dem vorherigen Anbieter aus den USA nicht mehr vereinbar gewesen sind, schwenkte man um. "Es ist schön, wenn die Probleme schon gelöst sind, bevor man sie merkt", beschreibt Kaiser diesen Idealfall des Auslagerns von Diensten. Doch auch was das Outsourcing angeht, ist Marquard & Bahls traditionell bodenständig. Erst mal abwarten, bevor das Thema zum zweifelhaften Hype erhoben wird.
Offshoring als vorsichtiger Test
Bestes Beispiel für den gesunden Menschenverstand bei Marquard & Bahls ist der Versuch, mit Programmierern in Indien zusammenzuarbeiten. "Da haben sich die Kostensenkungen schnell relativiert", meint Kaiser, der sich zurückhält, Schuldige dafür zu suchen. Zwar fiel eine Schlüsselfigur der indischen Dienstleister während des Projektes unerwartet aus. Das Resümee jedenfalls lautete so: "Das Projekt hätten wir auch nebenan programmieren lassen können."
Kostenargumente ziehen bei Kaiser sowieso nicht automatisch. Kommt etwa ein Vertriebler mit dem Argument zu ihm, mit der neuen Software etwa 20 Prozent der aktuellen Kosten senken zu können, muss er auf den Konter von Kaiser gefasst sein. Für ihn sind die Kosten zwar ein Aspekt, "aber es ist keineswegs so, dass Kosteneinsparungen bei jedem Thema oder Projekt das alles entscheidende Argument sind". Und da ist es wieder, das Bewusstsein, in einem Familienunternehmen CIO zu sein - und nicht in einem Börsenunternehmen.
Hauptsitz |
Hamburg, 90 Standorte in 30 Ländern |
Umsatz |
10,8 Milliarden Euro (2006) |
Mitarbeiter |
3798 |
Geschäfts-felder |
Mabanaft (Handelsorganisation für Öl, Importeur und Großhändler); Oiltanking (Betreiber von Tanklägern in 21 Ländern); Oil (Tankstellen in Deutschland, Österreich und der Schweiz); Skytanking (Dienstleistungen für das Betanken von Flugzeugen); Proenergy (Energieversorger mit Serie aus Gas, Fernwärme, Öl, Sonne und Biomasse); GMA (Mineralölanalytik, Qualitätsmanagement); GEE (Holz- und Rindenbriketts, auch Biomasse) |
IT-Kennzahlen | |
IT-Direktor |
Stefan Kaiser |
IT-Benutzer |
rund 1700 |
Dienstleister |
Vanco, Opitz, IBM |