Siemens, General Electric, Philips, Agfa und SAP: Finanzielle Schwergewichte sind auf dem Markt für Krankenhausinformationssysteme unterwegs. Entsprechend viele V-Männer sondieren für die Milliardenunternehmen den Markt nach kleinen Software-Anbietern, aus denen sich was machen lässt. So beschränkt sich Siemens schon längst nicht mehr auf sein Produkt Soarian, das vor allem auf dem US-amerikanischen Markt zu Hause ist. So kann der Münchener Konzern inzwischen auf das Wissen der Firmen Dataplan und der GSD zurückgreifen, die nun zum Konzernverbund gehören. Das Produkt von Dataplan "medico“ gilt als etwas veraltet, aber etabliert. Die GSD ist mit dem Walldorfer Software-Giganten SAP je zu 50 Prozent am Produkt "i.s.h. med“ beteiligt. "Vielen Beobachtern ist nicht klar, wo das hingehen soll“, sagt die KIS-Beraterin Cornelia Vosseler, die zuvor bereits auf Klinik- wie auf Herstellerseite beruflich unterwegs gewesen ist. Und die Insiderin fügt hinzu: "Auch andere wie etwa der finnische Anbieter Tieto Enator (TE) haben inzwischen einen Bauchladen an Systemen in ihrem Portfolio, den sie erst einmal bereinigen müssen".
Siemens und Tieto Enator kaufen ein
So kaufte TE2005 das Frechener Unternehmen ITB und dessen Produkt "IMedOne“. TE wiederum gibt sich damit nicht zufrieden, kauft die Firmen Waldbrenner mit "KISMed“ und Symed dazu. Der für Filme bekannt gewordene Konzern Agfa verstärkte seinen Healthcare-Zweig mit der GWI, die heute mit Orbis das meistverbreitete Produkt auf dem deutschen Klinikmarkt haben. Nach eigenen Angaben ist Orbis in Kontinentaleuropa über 700 Mal installiert, bei mehr als 200 Installationen in den etwa 2.100 Kliniken in Deutschland. Hinzu kommen Unternehmen, die derzeit auf anderen Märkten unterwegs sind, aber Anschluss auf dem deutschen oder europäischen Markt suchen. Beispiel General Electric: Bereits mit dem Unternehmen IDX verstärkt, suchen die US-Amerikaner händeringend nach einem Partner, der das Europa-Geschäft nach vorne bringen kann.
Der sich seit Jahren konsolidierende Markt macht CIOs die Auswahl des Klinikinformationssystems schwer. Otto Rienhoff von der Uniklinik Göttingen hat die KIS-Entscheidung deshalb erst einmal vertagt. Gunther Nolte aus dem kommunalen Krankenhauskonzern Vivantes in Berlin hat sich vor allem deshalb sofort entschlossen, weil den Direktor IT und TK "der Gemischtwarenladen in den neun Kliniken unendlich viel Geld kostete. Da war die Abbildung von Geschäftsprozessen über komplexe Schnittstellen ohne Perspektive". 2003 stand Vivantes kurz vor der Insolvenz. Nolte: "Aufgrund des hohen wirtschaftlichen Drucks bestand kein Raum für ein Probieren oder Entwicklungspartnerschaften. Gefragt waren schnell umzusetzende Lösungen.“
Ganz so dramatisch war die Situation von Andreas Gütersloh nicht. Der IT-Chef des neu formierten Universitätsklinikums Schleswig-Holstein hat sich lange und ausgiebig im Markt umgesehen, ehe die Entscheidung nach einer europaweiten Ausschreibung für das KIS-Produkt Orbis von Agfa fiel. Wie übrigens auch bei Vivantes, wo man allerdings bereits Ende 2007 die wichtigsten Bausteine für die Radiologie, Gastroenterologie und Kardiologie eingeführt haben will.
Zuschlag für 16-Millionen-KIS-Projekt
Damit ist er ein gutes Stück weiter als Gütersloh, der die KIS-Suche noch gut vor Augen hat. Mit den nötigen Spezifikationen im Gepäck reiste Gütersloh 2005 von Uniklinik zu Uniklinik - von Aachen (Produkt Lorenzo von iSoft) nach Erlangen (Soarian von Siemens) und nach Marburg (Orbis von Agfa), ließ sich die Systeme vorführen - und stand damit vor der Frage, eine Entwicklungspartnerschaft nach dem Vorbild der Aachener und Erlangener anzugehen oder auf ein etabliertes Produkt zu setzen. "Wir entschieden uns nach Auswertung der Ausschreibungsergebnisse für das wirtschaftlichste Angebot“, erläutert der IT-Chef der Unikliniken Lübeck und Kiel die Entscheidung für Orbis.
Damit steht nun die Ablösung der bestehenden KIS-Systeme kurz bevor. Lübeck hat medico von Siemens im Einsatz, Kiel sowohl i.s.h. med als auch die Software c.a.r.u.s.. Die wichtigsten Funktionen soll das GWI-Produkt Orbis bald abdecken. 16 Millionen Euro gibt Gütersloh für das neue System aus, wozu auch ein Bildarchiv (PACS) und ein Radiologie-Informations-System (RIS) gehören. Für die nächsten vier bis fünf Jahre hat Gütersloh einen Investitionsbedarf von 45 bis 50 Millionen Euro ermittelt. Bis 2008 will er RIS und PACS an den Start bringen sowie ein einheitliches Abrechnungssystem an beiden Campi. Bis 2010 soll die "voll integrierte“ Lösung dann komplett und für Zukunftsvisionen gerüstet sein. Die Einbindung von niedergelassenen Ärzten, die Verbesserung der Prozesse und Verringerung der Verweildauer in beiden Krankenhäusern sowie die Einbindung von klinischen Behandlungspfaden gehört nach Ansicht von Gütersloh zu den wichtigen Anforderungen, die Orbis abdecken soll.
Anders die Rhön Klinikum AG. Unter der Leitung des IT-Verantwortlichen Kurt Marquardt entschieden sich die Bad Neustädter in einer Entwicklungspartnerschaft für IMedOne von Tieto Enator, der das Produkt zusammen mit der Haus-IT zu Ende entwickelt. Vor fünf Jahren stellten sich KIS-Anbieter auf einer Hausmesse vor. Bei Rhön Klinikum gilt Orbis derzeit als am weitesten entwickelt; damals hatte es jedoch noch keine Schnittstelle zu SAP, woraus die Partnerschaft mit der damaligen ITB entstand. IMedOne ist das strategische Produkt der Rhön-Kliniken, die sich als Ideengeber in die Weiterentwicklung einbringen. Entwicklungspartnerschaften sind für die Auftraggeber in der Regel günstiger, da der Software-Produzent und der Anwender gleichermaßen davon profitieren. Über ein Kompetenz-Center führt die Rhön-IT das System in den Kliniken ein, die neben IMedOne auch Orbis und Medico bestehen lässt. Für einen Konzern, der stetig neue Kliniken akquiriert, stellt sich dann die Frage nach der durchgängigen Verwertung von medizinischen Daten der Patienten. Hier liegt die Hoffnung auf der Rhön-Epa, der hauseigenen Patientenakte, aber auch auf der elektronischen Fallakte, die Fraunhofer derzeit federführend in einem Konsortium unter anderem mit den Rhön-Kliniken entwickelt.
Die Wahl zwischen Pest und Cholera
Den Königsweg zwischen KIS-Standard und Entwicklungspartnerschaft gibt es nach Ansicht von Cornelia Vosseler nicht. "Zwischen Pest und Cholera" würden sich die Klinik-CIOs entscheiden müssen. Der Grund: Basisfunktionen seien in KIS-Systemen in der Regel da. "Trotzdem werden nur 30 Prozent der Funktionalitäten tatsächlich von einem Krankenhaus genutzt." Doch Hersteller müssten ständig dazuentwickeln und sich gesetzgeberischen Novellen anpassen. "CIOs wollen abteilungsübergreifende Terminplanungen und Arztbriefschreibung. Sie wollen Behandlungspfade in den Systemen erfassen und so Liegezeiten reduzieren, Doppeluntersuchungen vermeiden, die durch verschlampte Befunde nötig werden", sagt Vosseler. Doch fügt sie hinzu: "Das können fast alle KIS-Systeme." Nach Ansicht der Medizininformatikerin liegt die Herausforderung ganz woanders: "Es ist weitaus schwerer, die Pflege- und Ärzteschaft für einen übergreifenden KISStandard zu überzeugen, als ihn einzuführen - ohne Mentoren aus der Pflege- und Ärzteschaft lässt sich ein solches Projekt kaum bewältigen." Da mag draußen eine noch so große "KIS-senschlacht" toben, wie die Financial Times Deutschland kürzlich den Markt plastisch umschrieb.