Der Philosoph Platon forderte bekanntlich, dass entweder die Könige Philosophen werden sollten oder die Philosophen Könige. Heute würde er vermutlich Philosophen in den Vorständen fordern. Hätte er damit Recht.
Helmut Geiselhart: Ich glaube, dass es wirklich kein Schaden wäre, wenn mehr Topmanager Philosophie, Literatur oder Geschichte studiert hätten. Aber Philosophen an der Spitze von Unternehmen wären nicht die Lösung für alle Probleme. Denn Platons Frage "Wer soll herrschen?" ist nicht die entscheidende. Es geht, wie Karl Popper sagt, nicht darum, dass der Weiseste an der Spitze steht, sondern darum, dass die Systeme so beschaffen sind, dass es darauf nicht ankommt, wer an der Spitze steht. Dass das Zusammenwirken so gestaltet ist, dass der einzelne, der den höchsten Ansprüchen ohnehin nie gerecht wird, zumindest nicht viel Schaden anrichten kann. Wir haben ja auch in Deutschland ein solches System. Wir haben nicht die überragende Führungsgestalt, nach der die Franzosen immer Ausschau halten. Angela Merkel ist eine ganz gewöhnliche Frau, auch Gerhard Schröder und Helmut Kohl, und sie leisten doch Ungewöhnliches.
Philosophieren heißt zunächst einmal, existentielle Fragen zu stellen, absolute Wahrheiten in Zweifel zu ziehen, selber zu denken. Ist solch eine Lebenseinstellung beim Führen nicht eher hinderlich?
Helmut Geiselhart: Ich glaube das nicht. Rechthaberei, Machtansprüche und Ideologien, die im Besitz der Wahrheit zu sein behaupten, sind doch fatal.
Fatal für die Geführten. Der Führende überzeugt doch vor allem durch seine Entschlossenheit und dadurch, dass er zumindest nach außen demonstriert, dass er überhaupt keinen Zweifel an der Richtigkeit seiner Entscheidungen hat.
Helmut Geiselhart: Er kann ja entschlossen sein, dass er mit anderen zusammen nach der besseren Lösung sucht. Der Anspruch, Recht zu haben und es durchzusetzen, hat heute verheerende Folgen. Das sieht man immer wieder. Bei ThyssenKrupp, bei Siemens, bei der Deutschen Bank. Eine Erklärung unter vielen dafür ist, dass die Positionen der Führenden zu wenig überprüft wurden. Was fehlte war also die Falsifikation, wie das Karl Popper nennt, das kritische Überprüfen von Überzeugungen.
In Ihrem Buch beschreiben Sie auch Grenzsituationen, also vor allem die Begegnung mit dem Tod, die Menschen zum Philosophieren bringen, zur Suche nach einem Sinn. Welche Situationen im Geschäftsleben werfen philosophische Fragen auf?
Helmut Geiselhart: Wenn zum Beispiel eine Geschäftsbeziehung, eine große internationale Kooperation, in die man große Hoffnungen gesetzt hat, nicht gelingt. Wenn klar wird, dass der andere nicht der ist, für den man ihn gehalten hat. Oder wenn klar wird, dass eine technische Lösung, von der alle überzeugt waren, sich als untauglich entpuppt. Solche Situationen machen viele Manager sehr nachdenklich. Das habe ich in meiner Tätigkeit als Berater nicht selten erlebt. Genau dann, in unüblichen Situationen, sind wir ja gefragt.
"In der Ausbildung der wirtschaftlichen Elite fehlt die Philosophie"
Kann man von der Beschäftigung mit Philosophie auch ganz profan profitieren? Gewinnt ein Manager, der Kant oder Derrida gelesen hat, gegenüber seinen Konkurrenten einen intellektuellen Vorteil?
Helmut Geiselhart: Ich glaube schon, dass jemand, der über sich selbst nachdenkt und Klarheit gewinnt, jemand, der Situationen differenzierter reflektieren kann, auch geschäftlich erfolgreicher wird. Ein denkender Mensch kann auch andere Menschen besser verstehen, weil er sich vorstellen kann, was andere Menschen denken. Wer Kant oder die Erkenntnistheoretiker gelesen hat, wird sich auf jeden Fall nicht so leicht durch das Herrschaftsgebaren anderer beeindrucken lassen. Er weiß, dass der andere nicht im Besitz der Wahrheit ist. Er weiß, wenn er mit Machtansprüchen konfrontiert ist, zu unterscheiden zwischen Blockiermacht und Gestaltungsmacht, zwischen Organisationsmacht und persönlicher Macht.
Wie sieht es um die philosophische Bildung unserer wirtschaftlichen Eliten aus? Können Sie bei den Leuten, die bei Ihnen Seminare buchen, Kenntnisse voraussetzen?
Helmut Geiselhart: Nur wenige haben eine gewisse philosophische Vorbildung. Aber was ich feststellen kann ist ein großes Interesse.
Fehlt die Philosophie in der akademischen Ausbildung der wirtschaftlichen Elite?
Helmut Geiselhart: Ja, sehr. Denken Sie an die aktuelle Krise. Die ganze Finanzbranche ist total rationalisiert und durchmathematisiert. Und das liegt auch an der Ausbildung der Ökonomen, die viel zu einseitig ist. Da wird einfach zu viel verdrängt. Und das schlägt dann völlig unkontrolliert zurück. Kein Wunder, dass sich ausgerechnet in dieser Branche die ungebremste Gier durchgesetzt hat.
Sie widmen dem Philosophen Emmanuel Levinas ein Kapitel, der die radikale Hinwendung zur Sorge um andere forderte. Gibt es Manager, die so handeln?
Helmut Geiselhart: Es gibt sie immer mal wieder. Denken Sie an den Film "Schindlers Liste". Jener Schindler war ein Manager, der sich von völliger Selbstbezogenheit zur entschiedenen Hingabe an andere Menschen verändert hat. Es gibt auch heute Manager, die sich richtig für andere einsetzen, die sich nicht schonen und denen es auch nicht mehr nur um Geld oder Macht geht. Klaus Liesen, der frühere Vorstandschef der Ruhrgas AG, ist für mich so jemand. Eine eindrucksvolle Führungspersönlichkeit. Während des Kalten Krieges leitete er das Erdgas-Röhren-Geschäft mit der damaligen Sowjetunion in die Wege, die er dadurch an den Westen band. Liesen musste das in Washington persönlich verantworten. Das war riskant und erforderte persönlichen Einsatz.
Gibt es Philosophen, die Sie jungen Managern als persönliches Vorbild empfehlen würden?
Helmut Geiselhart: Vielleicht Karl Popper. Seine Maxime war es, sich zeitlebens auf neue Erfahrungen einzulassen. Er hat das auch praktiziert. Mit über 80 Jahren hat er noch einen Segelfliegerschein gemacht. Und er ist nicht abgestürzt. Seine Maximen waren: Nicht rechthaben wollen, sondern nach der besseren Lösung suchen. Nicht andere dominieren wollen, sondern kritikfähig bleiben. Nicht alles umkrempeln mit radikalen Maßnahmen, sondern in kleinen, überschaubaren Schritten verändern und bescheiden bleiben, weil wir ja alle nicht im Besitz der Wahrheit sind.
"Autonome, geistreiche und kreative Mitarbeiter"
Ihr Buch orientiert sich an den vier Fragen, die sich Kant zufolge die Philosophie zu stellen habe: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Und daraus folgernd: Was ist der Mensch? Welche dieser Fragen ist für Unternehmen die wichtigste?
Helmut Geiselhart: Die letzte. Ich glaube, dass da in sehr vielen Unternehmen sehr vieles besser gemacht werden könnte. Zum Beispiel die Art und Weise der Personalauswahl und Weiterbildung, die oft auf einem unreflektierten Menschenbild beruht. Was wird da heute ein Aufwand betrieben mit 360-Grad-Beurteilung, Assessment-Center, Gutachten und Coaching!
Aber das alles erlaubt uns nicht zu sehen, wie die Menschen sind - was aber immer behauptet wird. Wir Menschen sind vielfältiger als diese Methoden unterstellen. Die Neurologie als die modernste Wissenschaft vom Menschen beweist, dass kein Gehirn dem anderen gleicht, Basis einer unendlichen Vielfalt. Die Psychoanalyse mit ihrer intimsten Kenntnis von Menschen weiß um Bereiche, die unserem Bewusstsein nicht zugänglich oder verfügbar sind, aber von ungeheurer Energie geladen, die uns gelegentlich zu ungewöhnlichen Leistungen befähigt, die wir dann nutzen aber nicht domestizieren können.
Und was wäre die Alternative?
Helmut Geiselhart: Zum Beispiel sollten bei einem Assessment die Beurteiler selber Gegenstand der Beurteilung werden. Meine Vorstellung ist, dass Vorgesetzte und Mitarbeiter gemeinsam und immer wieder anhand der Unternehmensstrategie und -vision vereinbaren, in welcher Weise sich der Mitarbeiter weiterbilden kann. So dass das persönliche Bemühen des Mitarbeiters im Zusammenhang steht mit dem Unternehmensziel und in Absprache mit dem Vorgesetzten.
Der mündige Mitarbeiter als Ziel.
Helmut Geiselhart: Ja, ein autonomer, nicht in den Griff zu bekommender, geistreicher, kreativer Mitarbeiter.
Quelle: Wirtschaftswoche