Management

Nur schlechte Manager nehmen sich allzu wichtig

22.10.2013 von Ferdinand Knauß
Rechthaberei und Machtansprüche von Führungskräften sind fatal für Unternehmen, glaubt der Philosoph und Berater Helmut Geiselhart. Er empfiehlt, Derrida oder Popper zu lesen - und die wichtigste aller Fragen zu stellen: Was ist der Mensch?
Helmut Geiselhart, Management-Berater, Buchautor und Leiter von "Geiselhart Seminare"
Foto: Dr. Helmut Geiselhart

Der Philosoph Platon forderte bekanntlich, dass entweder die Könige Philosophen werden sollten oder die Philosophen Könige. Heute würde er vermutlich Philosophen in den Vorständen fordern. Hätte er damit Recht.

Helmut Geiselhart: Ich glaube, dass es wirklich kein Schaden wäre, wenn mehr Topmanager Philosophie, Literatur oder Geschichte studiert hätten. Aber Philosophen an der Spitze von Unternehmen wären nicht die Lösung für alle Probleme. Denn Platons Frage "Wer soll herrschen?" ist nicht die entscheidende. Es geht, wie Karl Popper sagt, nicht darum, dass der Weiseste an der Spitze steht, sondern darum, dass die Systeme so beschaffen sind, dass es darauf nicht ankommt, wer an der Spitze steht. Dass das Zusammenwirken so gestaltet ist, dass der einzelne, der den höchsten Ansprüchen ohnehin nie gerecht wird, zumindest nicht viel Schaden anrichten kann. Wir haben ja auch in Deutschland ein solches System. Wir haben nicht die überragende Führungsgestalt, nach der die Franzosen immer Ausschau halten. Angela Merkel ist eine ganz gewöhnliche Frau, auch Gerhard Schröder und Helmut Kohl, und sie leisten doch Ungewöhnliches.

10 Tipps für den perfekten Chef
Ein perfekter Chef ist offen für andere Wirklichkeiten
Meistens halten wir unsere Meinung für die Wahrheit, basierend auf der Wirklichkeit, wie wir sie empfinden. Häufig entspricht unsere Wirklichkeit jedoch nicht der Realität. Der "perfekte" Chef setzt sich auf den Stuhl des anderen. Wer durch die Augen anderer sieht, entdeckt eine Fülle von Wirklichkeiten.

Quelle: Perspektive Mittelstand

Ein perfekter Chef ist wirksam
Letztlich geht es um das wesentliche: Der "perfekte" Chef bewirkt, dass Menschen Ziele erreichen. Das Wesen guter Führung ist Wirksamkeit.
Ein perfekter Chef verkörpert Werte
Grundvoraussetzung eines "perfekten" Chefs sind gelebte Werte, die von allen Mitarbeitern als Führungsgrundsätze empfunden werden. Nur so entsteht das viel geforderte Vertrauen.
Ein perfekter Chef ist fachlich selten der Beste
Von dem Gedanken, stets der Beste in allen Bereichen sein zu wollen, müssen sich Führungspersönlichkeiten trennen. Der "perfekte" Chef konzentriert sich auf seine Stärken und seine Hauptaufgaben.
Ein perfekter Chef fordert Menschen
Der "perfekte" Chef fordert Menschen heraus. Er will Leistung erleben und regt Menschen an, sie zu erbringen. Dabei orientiert er sich nur ungern am Durchschnitt, sondern an Spitzenleistungen. Der "perfekte" Chef gibt sich nicht mit dem zweitbesten Ergebnis zufrieden.
Ein perfekter Chef ist Teamplayer
Der "perfekte" Chef sagt und meint "Wir!" und nicht "Ich!" Er ist ein Teamspieler. Im 21. Jahrhundert werden nur Teams gewinnen und nicht Einzelspieler. Die Mondlandung beispielsweise war auch nicht das Werk eines einzelnen Menschen, sondern das mehrerer tausend Ingenieure, auch wenn die visionäre Kraft eines Wernher von Brauns dahinter stand. Aber er hätte es niemals alleine geschafft.
Ein perfekter Chef ist Menschenfreund
Eine wesentliche Eigenschaft von "perfekten" Chefs ist, dass sie Menschen mögen. Viele so genannte Führungskräfte mögen aber nicht einmal sich selbst, geschweige denn andere Menschen. Unter solchen Umständen wird Führung nur schwer möglich sein. Um exzellent zu sein, muss man das, was man tut, lieben. Und um exzellent zu führen, muss man Menschen lieben.
Ein perfekter Chef verbessert sich ständig
Darin liegt die Größe eines wirklich "perfekten" Chefs. Er verwendet die Kenntnis seiner Fehler für die persönliche Weiterentwicklung. Gute Führungspersönlichkeiten meinen nicht, "jemand zu sein", sondern verstehen sich als "jemand, der wird" und zwar jeden Tag ein wenig mehr.
Ein perfekter Chef ist nicht perfekt
Es ist daher verwunderlich, warum immer noch so viele Chefs meinen, dass sie perfekt sind. Eine solch grobe Selbstüberschätzung führt letztlich zu Arroganz und einem Stillstand an Wachstum (sowohl persönlich als auch unternehmerisch).
Ein perfekter Chef macht Fehler
Jeder Mensch macht Fehler, denn Menschen sind nicht perfekt. Durch diese Eigenschaft werden Menschen überhaupt erst liebenswert. Wichtig ist jedoch, dass wir um unsere Fehler wissen und Wege finden, wie diese Fehler behoben werden können. Fehler, richtig verstanden, führen zu einer Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit und des Unternehmens.

Philosophieren heißt zunächst einmal, existentielle Fragen zu stellen, absolute Wahrheiten in Zweifel zu ziehen, selber zu denken. Ist solch eine Lebenseinstellung beim Führen nicht eher hinderlich?

Helmut Geiselhart: Ich glaube das nicht. Rechthaberei, Machtansprüche und Ideologien, die im Besitz der Wahrheit zu sein behaupten, sind doch fatal.

Fatal für die Geführten. Der Führende überzeugt doch vor allem durch seine Entschlossenheit und dadurch, dass er zumindest nach außen demonstriert, dass er überhaupt keinen Zweifel an der Richtigkeit seiner Entscheidungen hat.

Helmut Geiselhart: Er kann ja entschlossen sein, dass er mit anderen zusammen nach der besseren Lösung sucht. Der Anspruch, Recht zu haben und es durchzusetzen, hat heute verheerende Folgen. Das sieht man immer wieder. Bei ThyssenKrupp, bei Siemens, bei der Deutschen Bank. Eine Erklärung unter vielen dafür ist, dass die Positionen der Führenden zu wenig überprüft wurden. Was fehlte war also die Falsifikation, wie das Karl Popper nennt, das kritische Überprüfen von Überzeugungen.

In Ihrem Buch beschreiben Sie auch Grenzsituationen, also vor allem die Begegnung mit dem Tod, die Menschen zum Philosophieren bringen, zur Suche nach einem Sinn. Welche Situationen im Geschäftsleben werfen philosophische Fragen auf?

Helmut Geiselhart: Wenn zum Beispiel eine Geschäftsbeziehung, eine große internationale Kooperation, in die man große Hoffnungen gesetzt hat, nicht gelingt. Wenn klar wird, dass der andere nicht der ist, für den man ihn gehalten hat. Oder wenn klar wird, dass eine technische Lösung, von der alle überzeugt waren, sich als untauglich entpuppt. Solche Situationen machen viele Manager sehr nachdenklich. Das habe ich in meiner Tätigkeit als Berater nicht selten erlebt. Genau dann, in unüblichen Situationen, sind wir ja gefragt.

"In der Ausbildung der wirtschaftlichen Elite fehlt die Philosophie"

Kann man von der Beschäftigung mit Philosophie auch ganz profan profitieren? Gewinnt ein Manager, der Kant oder Derrida gelesen hat, gegenüber seinen Konkurrenten einen intellektuellen Vorteil?

Helmut Geiselhart: Ich glaube schon, dass jemand, der über sich selbst nachdenkt und Klarheit gewinnt, jemand, der Situationen differenzierter reflektieren kann, auch geschäftlich erfolgreicher wird. Ein denkender Mensch kann auch andere Menschen besser verstehen, weil er sich vorstellen kann, was andere Menschen denken. Wer Kant oder die Erkenntnistheoretiker gelesen hat, wird sich auf jeden Fall nicht so leicht durch das Herrschaftsgebaren anderer beeindrucken lassen. Er weiß, dass der andere nicht im Besitz der Wahrheit ist. Er weiß, wenn er mit Machtansprüchen konfrontiert ist, zu unterscheiden zwischen Blockiermacht und Gestaltungsmacht, zwischen Organisationsmacht und persönlicher Macht.

Wie sieht es um die philosophische Bildung unserer wirtschaftlichen Eliten aus? Können Sie bei den Leuten, die bei Ihnen Seminare buchen, Kenntnisse voraussetzen?

Helmut Geiselhart: Nur wenige haben eine gewisse philosophische Vorbildung. Aber was ich feststellen kann ist ein großes Interesse.

Fehlt die Philosophie in der akademischen Ausbildung der wirtschaftlichen Elite?

Helmut Geiselhart: Ja, sehr. Denken Sie an die aktuelle Krise. Die ganze Finanzbranche ist total rationalisiert und durchmathematisiert. Und das liegt auch an der Ausbildung der Ökonomen, die viel zu einseitig ist. Da wird einfach zu viel verdrängt. Und das schlägt dann völlig unkontrolliert zurück. Kein Wunder, dass sich ausgerechnet in dieser Branche die ungebremste Gier durchgesetzt hat.

Die Hitliste der Chef-Lügen
"Bei mir steigen Teamarbeiter auf"
"Ich würde Ihr Gehalt ja erhöhen - aber das Geld fehlt ..."
"Es fehlt die Stelle, um Sie zu befördern"
"Überstunden sind die Ausnahme ..."
"Wenn Sie gehen, ist die Tür für immer zu!"
Sprechen Sie offen - ich behalt's für mich"
"Mal privat telefonieren oder früher gehen - das stört mich nicht"
"Ich kann Sie rauswerfen, wenn's Ihnen hier nicht passt!"
"Tut mir leid, dafür sind Sie zu alt/jung!"

Sie widmen dem Philosophen Emmanuel Levinas ein Kapitel, der die radikale Hinwendung zur Sorge um andere forderte. Gibt es Manager, die so handeln?

Helmut Geiselhart: Es gibt sie immer mal wieder. Denken Sie an den Film "Schindlers Liste". Jener Schindler war ein Manager, der sich von völliger Selbstbezogenheit zur entschiedenen Hingabe an andere Menschen verändert hat. Es gibt auch heute Manager, die sich richtig für andere einsetzen, die sich nicht schonen und denen es auch nicht mehr nur um Geld oder Macht geht. Klaus Liesen, der frühere Vorstandschef der Ruhrgas AG, ist für mich so jemand. Eine eindrucksvolle Führungspersönlichkeit. Während des Kalten Krieges leitete er das Erdgas-Röhren-Geschäft mit der damaligen Sowjetunion in die Wege, die er dadurch an den Westen band. Liesen musste das in Washington persönlich verantworten. Das war riskant und erforderte persönlichen Einsatz.

Gibt es Philosophen, die Sie jungen Managern als persönliches Vorbild empfehlen würden?

Helmut Geiselhart: Vielleicht Karl Popper. Seine Maxime war es, sich zeitlebens auf neue Erfahrungen einzulassen. Er hat das auch praktiziert. Mit über 80 Jahren hat er noch einen Segelfliegerschein gemacht. Und er ist nicht abgestürzt. Seine Maximen waren: Nicht rechthaben wollen, sondern nach der besseren Lösung suchen. Nicht andere dominieren wollen, sondern kritikfähig bleiben. Nicht alles umkrempeln mit radikalen Maßnahmen, sondern in kleinen, überschaubaren Schritten verändern und bescheiden bleiben, weil wir ja alle nicht im Besitz der Wahrheit sind.

"Autonome, geistreiche und kreative Mitarbeiter"

Ihr Buch orientiert sich an den vier Fragen, die sich Kant zufolge die Philosophie zu stellen habe: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Und daraus folgernd: Was ist der Mensch? Welche dieser Fragen ist für Unternehmen die wichtigste?

Helmut Geiselhart: Die letzte. Ich glaube, dass da in sehr vielen Unternehmen sehr vieles besser gemacht werden könnte. Zum Beispiel die Art und Weise der Personalauswahl und Weiterbildung, die oft auf einem unreflektierten Menschenbild beruht. Was wird da heute ein Aufwand betrieben mit 360-Grad-Beurteilung, Assessment-Center, Gutachten und Coaching!

Aber das alles erlaubt uns nicht zu sehen, wie die Menschen sind - was aber immer behauptet wird. Wir Menschen sind vielfältiger als diese Methoden unterstellen. Die Neurologie als die modernste Wissenschaft vom Menschen beweist, dass kein Gehirn dem anderen gleicht, Basis einer unendlichen Vielfalt. Die Psychoanalyse mit ihrer intimsten Kenntnis von Menschen weiß um Bereiche, die unserem Bewusstsein nicht zugänglich oder verfügbar sind, aber von ungeheurer Energie geladen, die uns gelegentlich zu ungewöhnlichen Leistungen befähigt, die wir dann nutzen aber nicht domestizieren können.

Und was wäre die Alternative?

Helmut Geiselhart: Zum Beispiel sollten bei einem Assessment die Beurteiler selber Gegenstand der Beurteilung werden. Meine Vorstellung ist, dass Vorgesetzte und Mitarbeiter gemeinsam und immer wieder anhand der Unternehmensstrategie und -vision vereinbaren, in welcher Weise sich der Mitarbeiter weiterbilden kann. So dass das persönliche Bemühen des Mitarbeiters im Zusammenhang steht mit dem Unternehmensziel und in Absprache mit dem Vorgesetzten.

Der mündige Mitarbeiter als Ziel.

Helmut Geiselhart: Ja, ein autonomer, nicht in den Griff zu bekommender, geistreicher, kreativer Mitarbeiter.

Quelle: Wirtschaftswoche