Welche Rolle spielt Enterprise-Architecture-Management in der IT-Planung der Bahn?
Kruse: EAM spielt eine zentrale Rolle bei der langfristigen Planung der ITK-Landschaft. Bebauungspläne im Ist und Soll zeigen auf, wie sich das Anwendungsportfolio entwickeln wird. Daraus leiten wir systematisch das Portfolio mit den wichtigsten IT-Projekten ab. Daran arbeiten wir schon länger. Das Bild nimmt im Lauf der Zeit an Schärfe zu und wird detailreicher. Zurzeit sehen wir schon relativ klar in Sachen Komponenten und technische Architekturen. Das Modellieren der Prozesse gestaltet sich allerdings etwas komplexer, als wenn man sich lediglich um die technischen Architekturen kümmern würde.
Als Basis für eine erfolgreiche IT-Strategieentwicklung muss Architektur-Management mit der Business-Strategie übereinstimmen. Wie bewerkstelligen Sie das?
Kruse: Um eine integrierte ITK-Strategie zu entwickeln, brauchen Sie eine durchgehende Verbindung von der Geschäftsarchitektur über die Anwendungs- beziehungsweise Informationsarchitektur bis zur technischen Architektur. Daran arbeiten Geschäftsentwicklung und CIO-Organisationen gemeinsam. Grundlage dafür ist der Strategische Management Prozess, kurz SMP, wie er seit Jahren bei der Deutschen Bahn implementiert ist. Eines der strategischen Business-Ziele des Konzerns, die wir im Strategiepapier DB 2020 formuliert haben, ist Wachstum.
Wir haben in den letzten Jahren mehrere europäische Güterverkehrsbetriebe übernommen sowie den britischen Bus- und Bahndienstleister Arriva gekauft. Die müssen wir auch IT-mäßig integrieren. Wenn Sie so etwas regelmäßig bewältigen wollen, brauchen Sie eine vernünftige Architektur, in die sie die IT der übernommen Unternehmen einbetten können. Selbstverständlich muss auch organisches Wachstum architektonisch unterstützt werden. Sie brauchen skalierbare Systeme und Architekturen.
Wie kann EAM als Bindeglied zwischen Business und IT fungieren - und nicht als Verhinderungs-Tool von Business-Anforderungen?
Kruse: Wir haben in der Bahn ein konzernweites Domänenmodell etabliert, das an die Belange der Geschäftsfelder angepasst ist. Zentrales Element sind die Geschäftsfähigkeiten, aus denen letztlich die Anforderungen an die IT resultieren. Mobile Endgeräte spielen bei der Bahn eine wichtige Rolle. Unsere Mitarbeiter in den verschiedensten Bereichen arbeiten damit, und unsere Kunden buchen unsere Services auf diese Weise. Selbstverständlich müssen wir uns um die daraus resultierenden Sicherheits-, Infrastruktur und Performance-Fragen kümmern. Auch diese Dinge behalten Sie nur mit einer sauberen Architektur im Überblick. Gerade im Kundenbereich können wir uns noch viel mehr mobile Services vorstellen, und die lassen sich nicht ohne ein bewusstes EAM realisieren.
IT-Architektur im Allgemeinen wird oft als akademischer Zweig der IT gesehen. Woher kommt diese Wahrnehmung?
Kruse: Dass EAM eher als akademisch wahrgenommen wird, ist eher ein Darstellungs- und Kommunikationsproblem. Wir vergleichen EAM immer mit der Planung von Häusern oder Stadtvierteln. Die normale IT-Standardisierung ist gleichzusetzen mit dem Hausbau, wo Sie vorgefertigte Komponenten gemäß den Kundenanforderungen zusammenstellen und verbinden. Bei der Standardisierung mit EAM überlegen Sie hingegen, ob Sie anstelle eines kleinen Sandkastens für je ein Haus besser zentrale Spielplätze für viele anlegen und diese besser ausstatten. So wie Dörfer oder Kleinstädte sich nicht unbedingt mit Städteplanung befassen müssen, benötigen auch kleinere und mittlere Unternehmen nicht immer ein ausgefeiltes Architektur-Management. Aber große Unternehmen mit komplexen Anwendungslandschaften kommen ohne EAM nicht aus.
Was erwarten Sie eigentlich von IT-Architekten?
Kruse: IT-Architekten müssen in der Lage sein, vorausschauend zu planen. Dabei betrachten sie Szenarien möglicher Entwicklungspfade, um den für das Unternehmen passenden Vorschlag zu erarbeiten. Hier unterscheidet sich die Aufgabe eines IT-Architekten nicht grundsätzlich von der eines Städteplaners oder Architekten. Es ist allerdings schwierig, für diesen Bereich die geeigneten Leute zu bekommen. Die wachsen nicht auf Bäumen, besonders, wenn es um bahnspezifische Dinge geht.
Sie können ja auch selbst ausbilden.
Kruse: Ja, das tun wir. Wer sich dafür interessiert, kann sich gerne auf unserem Karriereportal umschauen.
"EAM-Tools sind unverzichtbar"
Welche Rolle spielen EAM-Tools, und wo bringen sie ihren größten Nutzen?
Kruse: EAM-Tools sind unverzichtbar, um komplexe Anwendungslandschaften transparent zu machen und systematisch zu dokumentieren. So haben wir bei der Deutschen Bahn ein umfangreiches Anwendungsportfolio dokumentiert, aus dem wir uns auf Knopfdruck zum Beispiel über den Stand des Risiko-Managements informieren können. Das Zusammenspiel von Anwendungen und Infrastrukturkomponenten für mehr als 1000 Anwendungen lässt sich ohne Werkzeugunterstützung nicht bewältigen.
Allerdings reicht der intelligente Einsatz von Tools allein nicht aus. Wenn wir die Prozesse berücksichtigen wollen, sind wir als IT nicht mehr allein unterwegs. Da müssen wir auch die Kollegen aus den unterschiedlichen Fachbereichen einbinden. Das macht das Ganze etwas komplexer, denn die sehen die jeweiligen Prozesse aus ihrer eigenen Perspektive, Sie kennen sich im Zweifelsfall auch besser aus als die IT und nehmen sich häufig andere Best Practices zum Vorbild.
Welche Rolle spielt EAM in Serviceorientierten Umgebungen?
Kruse: Was für Anwendungen und ITK-Infrastrukturen stimmt, gilt in gleichem Maße für Services. Ohne EAM lässt sich beispielsweise die Wiederverwendung von Services zur Unterstützung spezieller Geschäftstätigkeiten in unterschiedlichen Bereichen nicht sinnvoll planen und umsetzen. Und wenn man nicht bei den technischen Komponenten haltmacht, sondern auch Prozesse und Prozessschritte einbezieht, kann man Architekturprinzipien wie Wiederverwendbarkeit auch in größeren Zusammenhängen anwenden.
Wie muss sich EAM in Zeiten der Cloud weiterentwickeln?
Kruse: Statt Cloud wäre hier der Begriff "Kooperationsmodelle" angebracht. Architektur-Management muss angemessen berücksichtigen, welche Möglichkeiten sich aus der Ergänzung eigener Anwendungen mit externen Services, zum Beispiel aus der Cloud, ergeben. Hier spielt wiederum das Thema Sicherheits- und Risiko-Management eine wichtige Rolle. Doch auch die Steuerung der Informationsflüsse und Schnittstellen zwischen den Anwendungen bleibt eine Herausforderung für das Architektur-Management.
Wie flexibel kann oder muss eine Architektur sein?
Kruse: Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Die Architektur sollte so gestaltet sein, dass auf Veränderungen des Unternehmensumfelds auf allen Ebenen des Architekturmodells möglichst schnell mit geeigneten Lösungsvorschlägen reagiert werden kann, ohne dass man sich dabei unerwünschte Nebeneffekte einhandelt.
"Gemeinsame Anwendungssoftware ein gemeinsamer Nenner"
Vielleicht kann man das an einem konkreten Beispiel verdeutlichen: Bei der Deutschen Bahn arbeiten mehrere Instandhaltungsbereiche, die ganz verschiedene Dinge betreuen, von Zügen über Gebäude bis zum Schienennetz. Aus IT-Architektursicht könnte eine gemeinsame Anwendungssoftware ein gemeinsamer Nenner sein, der die Standardisierung in diesem Sektor voranbringt. Doch wenn Sie nur eine einheitliche Software einführen, ohne die Prozesse ebenfalls anzugleichen, sind unterschiedliche Systeme das Ergebnis.
Für die benötigte man in diesem Fall nur eine Art von Know-how, und man hätte die Infrastruktur und Lizenzen im Griff. Aber viel effektiver und auch flexibler für den Konzern wäre es, wenn man die Prozesse harmonisierte. Dann würde die gleiche Software für mehrere Mandanten arbeiten. Sie wäre leichter zu managen, preiswerter zu betreiben und flexibler zu ändern.
In den vergangenen Jahren etabliert sich immer stärker eine IT der zwei Geschwindigkeiten: Die auf den Endkunden ausgerichteten Services und Systeme verändern sich sehr viel schneller als die Backend-Systeme. Wie ist das architektonisch unter einen Hut zu bringen?
Kruse: Durch Entkopplung beziehungsweise Reduktion von Abhängigkeiten zwischen Anwendungen, Daten und dafür nötiger IT-Infrastruktur. Dabei helfen uns sowohl der SOA-Ansatz als auch die Architektur-Management-Prinzipien. (Computerwoche)