An der Wache des Bundesverteidigungsministeriums auf der Bonner Hardthöhe bekommt der Besucher einen ersten Eindruck von der Leistungsfähigkeit der Bundeswehr-IT. "Van der Giet? Den Namen kann ich hier nicht finden", sagt der Wachhabende hinter seinem großen Monitor. Neben ihm steht ein beiges Tastentelefon aus den 80er-Jahren. Die im Vorjahr im PC gespeicherten Besucherdaten sind verschwunden und müssen mühsam neu eingegeben werden. "Weil die PCs jetzt miteinander vernetzt sind", meint ein Kollege.
Alle Hoffnungen in Sachen Bundeswehr-IT-Reform ruhen jetzt auf Gerhard van der Giet, seit Ende November neuer IT-Direktor des Bundesverteidigungsministeriums und damit Nachfolger von Klaus Hahnenfeld und dem kommissarischen Statthalter, Oberst Berndt Glowacki. Hahnenfeld leitet seit April vergangenen Jahres den Gründungsstab der IT-Gesellschaft (GIG) - "damit sie wie eine Rakete mit der nötigen Anfangsgeschwindigkeit starten kann", wie er es formuliert.
Der Neue auf der Hardthöhe ist einer der zivilsten Männer, die man sich vorstellen kann. Er war nie bei der Bundeswehr, genau wie sein Vorgänger Hahnenfeld. "Seinerzeit hat man nicht alle eingezogen", erklärt van der Giet. Er kommt aus dem Bundestag, wo er 1986 zum Leiter des Referats Kommunikationstechnik berufen wurde. "Das war die Zeit, als das Programm Parlakom anlief und die Abgeordneten erstmals mit Computern ausgestattet wurden. Das war damals nicht selbstverständlich; wir mussten Überzeugungsarbeit leisten", erinnert sich van der Giet, später Leiter für IT-Grundsatzfragen des Parlaments, an die Arbeit auf dem "Kontinent Bundestag". Den Kontinent Bundeswehr muss der geborene Niederrheiner noch erkunden. Nach kurzer Zeit im Amt ist nur eines wirklich gewiss: Überall lauern Fallstricke und Hinterhalte. Dennoch fühlt er sich "sehr herzlich" aufgenommen, so van der Giet. "Ich habe mich vom ersten Tag an sehr wohl gefühlt."
Vom Schreibtisch bis zum Gefechtsfeld
Beim Erkunden der neuen Welt hilft ihm Oberstleutnant Thorsten Puschmann, der sich als Berufssoldat mit 20 Jahren Erfahrung bestens in der Organisation auskennt. "Es ist eines der schwierigsten Ämter, die das Ministerium zu vergeben hat", sagt ein Mitarbeiter des Stabs über die Position van der Giets.
Auch der sieht das so, formuliert es aber anders: "Es ist wirklich eine ungeheure Herausforderung. In keinem anderen Haus ist die Vielfalt so groß. Unsere Verantwortung reicht vom PC auf dem Schreibtisch bis hin zum Gefechtsfeld. Für jeden, der sich mit IT befasst, eine einmalige Chance."
Seinen ersten guten Vorsatz beim Wechsel aus dem Bundestag ins Ministerium hat der neue ITDirektor aber bereits wieder verworfen. "Ich wollte immer als Erster kommen und als Letzter gehen." Doch van der Giet hat schnell gemerkt, dass er dafür "im Büro übernachten müsste". Auf die Frage nach seiner liebsten Beschäftigung außerhalb des Amts lautet die Antwort denn auch: "Schlafen."
Ständig pendelt van der Giet zwischen Bonn und der politischen Leitung des Ministeriums in Berlin hin und her. Das kostet Zeit und Nerven. Erst am Vorabend war er aus der Hauptstadt ins Bonner Ministerium gekommen; am Vormittag, kurz nach dem Interview, flog er bereits wieder zurück zum Gespräch mit seinem Staatssekretär. Im Wagen, auf dem Weg zum Flughafen, wird er noch schnell von einem seiner Mitarbeiter informiert.
Der IT-Stab in der kleinen 50er-Jahre-Ministeriums-Stadt sitzt noch in einem barackenähnlichen Gebäude; doch er soll bald in einen repräsentativeren Neubau nebenan umziehen. Van der Giets Büro ist deswegen auch noch ein Provisorium. An der Wand hängt ein einsames Bild aus dem Fundus; im Sekretariat stehen in einer Kiste weitere, die noch niemand aufgehängt hat. "Die Möbel kommen erst Ende März", sagt van der Giet, und seine Sekretärin arbeitet eigentlich in einem anderen Referat und ist nur ausgeliehen.
Herkules, dessen Beschleunigungsmaschine das Jointventure mit der Industrie sein soll, verzögert sich jedoch. Statt wie geplant in diesem Frühjahr wird die neue IT-Gesellschaft erst im ersten Halbjahr 2004 gegründet werden können. Immer noch laufen die Verhandlungen, muss der Hauptvertrag des Konsortiums um die CSC-Ploenzke-Gruppe fertig gestellt und danach durch Finanzministerium, Bundesrechnungshof und Bundestag genehmigt werden. Van der Giet: "Wir wollen unmissverständliche Regelungen in den Verträgen haben. Deshalb ist es uns wichtiger, die Sache sauber durch-zuführen, als jetzt zu sehr aufs Tempo zu drücken."
Auch die für die Bundeswehr überaus wichtige SAP-Einführung (SASPF = Standard-Anwendungs-Software-Produkt-Familie), ein zentrales Teilstück von Herkules, ist ins Stocken geraten: "Das ist wirklich sehr komplex. Wir haben in den vergangenen Wochen noch einmal die Organisation überprüft und werden jetzt mit verstärkten Kapazitäten an das Projekt herangehen, weil wir um die Jahreswende mit dem Test-Rollout beginnen wollen", verspricht van der Giet.
System mit technischen Macken
Ebenso wichtig: Heros, das neue mobile "Heeresführungsinformationssystem für die rechnergestützte Operationsführung in Stäben". 600 Arbeitsplätze sollen Ende des Jahres eingerichtet werden, zunächst beim Eurokorps und dem Ersten Deutsch-Niederländischen Korps. Später soll das Ganze auch in das "Führungsinformationssystem des Heeres" integriert werden. "Heros, zweites Vergabelos" ist eine komplette Neuentwicklung und weist noch einige Macken auf. "Wir führen einen mehrtägigen Test bei der 7. Panzerdivision in Düsseldorf durch und gehen fest davon aus, dass die Mängel dann behoben sind und das System einsatzbereit ist", sagt der neue IT-Direktor.
Van der Giet hat zwei Doktortitel: einen in (Kern-) Physik, einen in Kommunikationsforschung; schon früh hat er dabei für das Verteidigungsministerium gearbeitet. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn forschte er Anfang der 70er-Jahre über Sprach- und Sprechererkennung. "Wir wollten das Mensch-Maschine-Interface für Kampfflugzeuge verbessern." Nach seiner ersten Promotion (in Physik) setzte er seine Forschungen im Bundeskriminalamt Wiesbaden (BKA) unter Präsident Horst Herold fort. Später leitete er die Planung Kommunikationsnetze des BKA.
Seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse könne er derzeit besser gebrauchen. "Doch sich eine Zeit lang in einem Umfeld bewegt zu haben, das stärker von den Geisteswissenschaften geprägt wird, ist schon ein Vorteil, denn die Denkweisen sind einfach unterschiedlich." All das präge ihn ebenso wie seine Zeit im pluralistischen Bundestag, der vom Miteinanderreden lebt. Van der Giet will im Konsens entscheiden.
Der 56-Jährige war im Bundestag als Leiter des erweiterten Referats IT-Grundsatzfragen, zentrale IT-Systeme und Anwendungen auch Sekretär der Kommission des Ältestenrats für den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechniken und -medien, der die Entscheidung für den Einsatz von Linux auf allen 150 Servern im Bundestag vorbereitet hat. "Ich halte das für die richtige Entscheidung, aber Microsoft muss keine Angst vor mir haben. Es kommt immer auf den Einsatzort an", sagt van der Giet. "Es ging nicht darum zu sagen, Linux ist besser, sondern um die Frage, ob die Open-Source-Bewegung so weit ist, dass man beurteilen kann, ob sie für uns einen Gewinn darstellt."
Nun zerren alle am neuen IT-Direktor; ständig soll er etwas entscheiden. Die Industrie will ihm etwas verkaufen, der Staatssekretär will mit ihm sprechen, die Mitarbeiter wollen etwas wissen ... und eigentlich muss er sich doch einarbeiten.
Zur Person, Gerhard van der Giet (56): seit dem 21. November 2002 neuer IT-Direktor des Bundesministeriums der Verteidigung, zuvor Leiter des Referats IT-Grundsatzfragen, zentrale IT-Systeme und Anwendungen des Deutschen Bundestags sowie Sekretär des Ältestenrats für den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechniken und -medien (IuK-Kommission)