„Die einen sind nunmal grün, die anderen blau“, fasst Ralf Schneider die Fusion von Allianz und Dresdner Bank in Deutschland ganz nüchtern zusammen. Dabei sind die Zahlen gewaltig:
87 000 Mitarbeiter, 12 000 Agenturen, 20 Millionen Kunden auf der blauen Seite, 50000 Angestellte, 856 Filialen, 4,5 Millionen Kunden auf der grünen. Der 38-Jährige baut bei der Allianz Vertriebssysteme für Versicherungsvorsorge- und Vermögensprodukte und stellt die Software für den Vertrieb in den Verkaufskanälen bereit. Seit der Fusion ist sein 240 Mitarbeiter starker Fachbereich auch für die Dresdner Bank zuständig. Auch bei Friedrich Wöbking, oberster IT-Hüter während des Fusionsprozesses, ist keinerlei Aufregung spürbar. Er lehnt sich im Konferenzraum des Allianz-Gebäudes in München entspannt zurück und verkündet: „Mir macht die Arbeit großen Spaß.“ Der Vorstand der Allianz Versicherung war schon für deren Informationssysteme zuständig und zog Ende November 2002 auch in den Dresdner-Bank-Vorstand ein. Was er für seinen Job, die Angleichung der verschiedenen IT-Systeme, braucht, sind großer Einsatz und viel Geduld.
Dezentrale versus zentrale Systeme
Die IT-Infrastrukturen der Partner könnten unterschiedlicher nicht sein: Während die Dresdner Bank schon in den 80ern auf dezentrale Systeme setzte, war die IT der Allianz Mainframe-orientiert und zentralistisch angelegt. „Schnelligkeit vor Perfektion, klare Entscheidungen, eine hohe Sitzungsfrequenz, durchgängige Aufbereitung, paritätisch besetzte Teams und Management-Awareness“, benennt Wöbking die Pfeiler seines Handelns. Was ihm dabei nach eigener Aussage zugute kommt, sind seine Erfahrungen aus zwei früheren Zusammenschlüssen. Der 52-Jährige hat schon die Integration der alten DDR-Versicherung und die der Vereinten (Sach- und Lebensversicherung) in die Allianz begleitet.
Notes und Outlook friedlich vereint
Wöbkings Paradebeispiel für eine gelungene IT-Fusion ist die Integration der beiden E-Mail-Systeme. Die Allianz setzte hier Notes ein, die Dresdner Bank benutzte Outlook. „Wir haben einfach eine Brücke dazwischen gebaut. Jeder behält seinen Client; dahinter setzen wir auf einen Domino-Server.“ Umschulungsaufwand: keiner. Wöbking, Schneider und die anderen IT-Leiter stehen immer wieder vor der Frage: „Welches System nimmt man, oder baut man etwas Neues?“ Für den IT-Vorstand normale Entscheidungen: „Das ist eine ganz gewöhnliche Systemintegration. Unsere Leitfrage lautet: Wo kann der eine vom anderen lernen und profitieren?“ Die für die Integration zuständigen Abteilungen tragen kryptische Abkürzungen. Ganz oben steht der Bereich IS-ADV (Informationssysteme Allianz Dresdner Vertriebssysteme) mit den Frontends. Die Einheit IS-STA ist für die Standardarchitektur, das E-Business-Framework und die E-Mail-Architektur zuständig. Darunter gibt es die zum 1. Januar miteinander verschmolzenen Servicegesellschaften Agis und Dregis mit ihren rund 2500 internen Mitarbeitern. „Dazwischen stehen die Entwicklungsmannschaften für die Branchen“, erklärt Wöbking.
So läuft es jedes Mal: Projektteams arbeiten die verschiedenen Themen ab, ermitteln Synergien - die zu Einsparungen von rund 300 Millionen Euro führen sollen - und suchen das Beste aus beiden Welten. So gab es etwa auch in den Bereichen Bausparen und beim Asset Management zwei verschiedene Systeme. Alle blauen Allianz-Gesellschaften nutzten das E-Business-Framework „I-net“; die Dresdner Bank baute auf die selbst entwickelte Plattform Nector. Nach intensiver Analyse hat sich das Framework der Allianz durchgesetzt. Im Gegenzug konnte die Dresdner Bank das auf Application Service Providing basierende Starship-Portal beisteuern. „Ein wunderschönes Stück Software“, urteilt Wöbking. „Damit machen wir die Verkaufs-Software ganz einfach im Innendienst nutzbar, ohne sie einzeln verteilen zu müssen.“
Banker verkaufen Versicherungen
An der Spitze des Integrationsprozesses steht ein zwölfköpfiger Ausschuss mit 20 Teams aus beiden Häusern. Das Unterteam „Organisation und IT“ (zwölf Teilnehmer, geführt von Wöbking und Klaus-Michael Geiger, Ex-Dresdner-Bank-CIO) ist entsprechend paritätisch besetzt. Dort sitzen die beiden IT-Vorstände und die Direktoren aus Business Lines und IT zusammen. Hinzu kommen IT-Kommissionen für die Sachgruppe der Allianz, die Krankenversicherung und die Allianz Dresdner Financial Services. Neben den rein technisch bedingten Schwierigkeiten wirken sich auch die kulturellen Unterschiede zwischen Banken und Versicherungen auf die IT-Fusion aus. „Der Versicherungsmann will alle Produkt- und Beratungsvarianten haben; erst führt er eine Tarifierung durch, dann erstellt er ein Angebot, zuletzt vervollständigt er den Antrag. Für einen Bankangestellten dagegen müssen die Produktvarianten viel schneller auf den Punkt gebracht werden. Er stellt ein paar Einstiegsfragen, mit denen das Programm automatisch alle Parameter belegt. Ein Versicherungsmann wiederum ist es gewohnt, sein Angebot selbst zu entwickeln“, sagt Schneider. Inzwischen verkaufen die Allianz-Vertreter Bankprodukte und die Banker Versicherungen. Schneider hat im bisherigen Verlauf der Integration erfahren: „Man muss Barrieren überwinden. Denn von heute auf morgen entwickelt sich kein Versicherungsmann zum Banker und auch nicht andersherum.
Man muss die Sprache des anderen sprechen
Allianz und Dresdner Bank werden komplett vernetzt. Im Intranet der Bänker integrierte Schneiders Fachbereich die Lebensversicherungs- und Sachversicherungsprodukte der Allianz im Look und Feel der Dresdner Bank. „Wir liefern das so im Styleguide und mit der Funktionalität zu, dass ein Bankangestellter unsere Versicherungsprodukte versteht und qualifiziert verkaufen kann“, erklärt Schneider. Als ersten Schritt zum Allfinanzkonzern hatte die Allianz gleich nach dem Zusammenschluss 1000 Versicherungs- und Vermögensbeauftragte (VVBs) in die Filialen der Dresdner Bank geschickt. Um den VVBs zu helfen, hat die Vertriebs-IT sie nicht nur mit Rechnern und Netz ausgestattet, sondern auch mit dem wichtigsten Hilfsmittel der 12 000 Vertreter des Allianz-Konzerns, dem „Agentur Management Informationssystem“ AMIS. „Das System, auf das wir sehr stolz sind, haben wir eins zu eins bei der Bank installiert. Damit steht uns dort das ganze Produktspektrum zur Verfügung“, so Schneider. Schneiders Leute fanden zudem schnell Anwendungen wie Rentenlücken- oder Renditerechner, „die es schon immer bei der Bank und bei der Allianz gegeben hat“. Doch jede war anders. „Zusammen mit der Dresdner Bank haben wir alle Rechenkerne aufgelistet, und eine fünfköpfige gemeinsame Arbeitsgruppe hat entschieden, wer was entwickelt und wer was integriert.“ Das Ziel: eine Entwicklung nur einmal, dann Wiederverwendung in der Bank sowie bei der Allianz.
Analysten meinen, dass die Angleichung der Systeme zwei bis drei Jahre dauern wird. Doch der Zeithorizont, den Wöbking nennt, ist größer. „Fünf Jahre werden wir wohl brauchen, bis sich die Allianz neu geformt hat.“ Für die schlechte wirtschaftliche Gesamtsituation indes kann Wöbking nichts. Wenn manche Zahlen schlechter sind, als bei der Planung der Fusion erhofft, hat es nicht an der IT-Integration gelegen. Seine Einschätzung: „Die IT ist im Plan. Die ersten Zahlen können sich sehen lassen.“
Weitere Informationen zur Mega-Fusion:
Allianz-Informationen zur Fusion, Das Info-Buch erschien nach der Integration von AGIS, IT-Dienstleister der Allianz, und DREGIS, IT-Dienstleister der Dresdner Bank.
CIO 10/2001: Den Konzern umbauen
Computerwoche: Dresdner Bank baut IT-Bereich radikal um
Bankmagazin 10/01: Zehn Erfolgsfaktoren für eine Fusion