Um das Verhältnis zwischen den Oracle-Kunden und ihrem Softwarelieferanten steht es derzeit nicht zum Besten. Das wurde einmal mehr auf dem Jahreskongress der Deutschen Oracle Anwendergruppe (DOAG) Mitte November in Nürnberg deutlich. Der Streit dreht sich vor allem um die Lizenzierung von Oracle-Software in virtualisierten Server-Infrastrukturen. Der Softwarekonzern unterscheidet hier zwischen Hard- und Soft-Partitioning. Beim Hard-Partitioning müssen Anwender nur für die dediziert den Oracle-Programmen zugewiesenen CPU-Ressourcen Lizenzgebühren bezahlen. Das gilt Oracle zufolge unter anderen für die eigenen Solaris-Container, die eigene Virtualisierungslösung "Oracle VM" sowie einige wenige Lösungen von Drittanbietern.
Die weit im Markt verbreitete Virtualisierungssoftware von VMware fällt dagegen unter das Soft-Partitioning. In diesem Modell werden Lizenzgebühren für alle Rechnerressourcen fällig, auf denen theoretisch Oracle-Software laufen könnte. Und das kann teuer werden - gerade für Anwender, die die aktuellen VMware-Versionen einsetzen.
Mussten die Anwender mit den VMware-Releases unterhalb 5.1 nur die Server eines Clusters in den Lizenzvertrag mit Oracle einbringen, betrifft dies mit den Versionen 5.1 bis 5.6 sämtliche Server-Cluster innerhalb eines vCenter und mit dem aktuellen Release 6 sogar die gesamte vCenter-Infrastruktur eines Anwenderunternehmens. Oracle begründet diese Ausweitung der Lizenzierungsbasis damit, dass sich mit den neueren VMware-Versionen auch die Möglichkeiten erweitert hätten, virtuelle Maschinen zur Laufzeit zu verschieben - zwischen Clustern eines vCenter bei Version 5.1 bis 5.6 und sogar über vCenter-Grenzen hinweg in Release 6. Oracle schiebt damit den Schwarzen Peter VMware zu. Nicht Oracle habe die Lizenzierung verändert, letztendlich habe VMware die Grundlage für die Lizenzmetrik geändert, so die Argumentation des US-Softwarekonzerns.
Anwender weltweit sauer auf Oracle
Das wollen die DOAG-Verantwortlichen so nicht gelten lassen. Schließlich gebe es im VMware-Umfeld durchaus die notwendigen Werkzeuge, um genau feststellen zu können, welche Rechenressourcen der Oracle-Software zugewiesen seien. Einziges Problem dabei: Oracle erkennt diese Tools und deren Ergebnisse nicht an, beklagen die Anwendervertreter.
Auch der Speicher spielt bei der Lizenzbemessung eine wichtige Rolle: Wurde bisher der Storage in der Vergangenheit bei der Berechnung des Lizenzbedarfs außer Acht gelassen, so müssen Anwender nach DOAG-Angaben nun - ungeachtet der VMware-Version - schlichtweg alle Cluster beziehungsweise vCenters in Lizenz nehmen, die auf den gleichen Storage zugreifen. In der Konsequenz müssten die Anwender komplett separierte Oracle-Umgebungen mit eigener VMware und Storage-Infrastruktur aufbauen, um das Lizenzierungsproblem in den Griff zu bekommen. Das ist aus Sicht der Anwendervertretung allerdings unrealistisch und widerspricht auch dem Trend in der IT, genau solche Silos aufzubrechen.
Der Streit rund um dieses Thema schwelt bereits seit Jahren, scheint nun aber zu eskalieren. Von Oracle gebe es keine Signale, sich in dieser Sache zu bewegen, stellte der DOAG-Vorstandsvorsitzende Dietmar Neugebauer auf dem Kongress in Nürnberg fest. Dabei sei das Problem keineswegs lokal begrenzt. Neugebauer berichtete von einem Treffen mit Vertretern 16 weiterer User Groups aus Europa anlässlich des Jahreskongresses, die das Problem ebenfalls durchaus als gravierend klassifizierten. Und auch die US-amerikanischen Kunden ärgerten sich über die Lizenzpolitik ihres Softwarelieferanten, berichtete der DOAG-Vorstand. Entweder blieben die Unternehmen dort auf älteren VMware-Versionen oder sie gingen auf Konfrontationskurs.
Gleiches könnte Oracle auch hierzulande drohen. Die österreichische User Group hat bereits an der Universität ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das den Kunden helfen soll, wenn es zum Streit mit Oracle kommt. Auch die DOAG will ein entsprechendes Gutachten als eine Art Rechtsbeihilfe erstellen lassen. Die DOAG-Vorstände Christian Trieb und Michael Paege glauben zwar nicht, dass es bis zum äußersten kommt und ein Lizenzierungsstreit vor Gericht landet. Aber die Oracle-Anwender könnten den Softwarehersteller ihren Ärger an anderer Stelle spüren lassen.
So hat eine DOAG-Umfrage im Sommer dieses Jahres ergeben, dass mehr als jeder Dritte der über 600 Befragten darüber nachdächten, ihre Oracle-Datenbank abzulösen. Weitere Effekte könnten sein, dass Oracle-Produkte nicht mehr erste Wahl in Projektausschreibungen seien, Neuinvestitionen in Software anderer Hersteller fließen und im Zuge der Cloud-Transformation die Angebote anderer Provider stärker im Vordergrund stehen.
Country-Leader Frank Obermeier will den Streit entschärfen
Frank Obermeier, Oracles Country Leader in Deutschland zeigte sich sichtlich bemüht, den Streit zu entschärfen. Schon im Sommer sagte er in einem Gespräch mit der COMPUTERWOCHE, dass individuelle Lösungen gefunden würden. Außerdem räumte er ein, dass die Kommunikation mit den Kunden an der einen oder anderen Stelle durchaus verbesserungswürdig sei. Gleiches wiederholte er auf dem DOAG-Kongress. In seiner Keynote sparte sich Obermeier ganz bewusst die Marketing-Folien, auf denen die Vorzüge von Oracles Software-Portfolio in strahlenden Farben gemalt werden, und griff stattdessen offensiv das Lizenzthema auf.
DOAG-Vorstand Neugebauer habe ihm zur Begrüßung in Nürnberg gleich einmal die VMware-Lizenzproblematik um die Ohren gehauen, berichtete der Manager unter dem Applaus der Oracle-Anwender, und räumte im gleichen Atemzug ein, dass auch Oracle Fehler machen könne. Der Konzern habe früher Dinge in den Markt geschmissen, sich umgedreht und die Tür zugemacht. Er versprach daran zu arbeiten und künftig besser mit den Kunden zu kommunizieren.
Obermeier bemühte sich sichtlich, die Kunden auf seine Seite zu bringen. Nur gemeinsam könne es gelingen, die problembehafteten Themen in der US-Konzernzentrale zu adressieren. Er brauche die DOAG als Sprachrohr der Anwender, betonte Oracles Deutschland-Chef. Zugleich äußerte er den Wunsch, dass nicht ständig nur Vorwürfe im Raum stünden, und plädierte dafür, offen, ehrlich und transparent miteinander zu reden.
Um das Vertrauen seiner Kunden zu gewinnen, versuchte Obermeier außerdem, Oracle als verlässlichen, zukunftsorientierten und innovativen Softwarelieferanten in Position zu bringen. Derzeit dreht sich bei dem amerikanischen Datenbankspezialisten alles um die Cloud. Cloud Computing sei der Schlüssel, um die anstehenden Herausforderungen rund um die Digitalisierung sowie neue Anforderungen seitens der Endkunden und der eigenen Mitarbeiter zu bewältigen. Obermeier berief sich auf die Vision 2025 seines CEO Mark Hurd. Bis dahin würden 85 Prozent aller neu entwickelten Applikationen als Software as a Service gebaut. Angesichts des explodierenden Volumens kämen die Unternehmen zudem nicht daran vorbei, die anfallenden Daten in der Cloud zu speichern.
Obermeier ist zuversichtlich, dass Oracle auch noch in zehn Jahren eine wichtige Rolle im Markt spielen wird. Softwareanbieter müssten ihren Kunden den kompletten Stack von der Softwareinfrastruktur bis hin zu den Applikationen anbieten können, performant und hoch integriert, sagte der Oracle-Manager. Er rechne damit, dass sich der Markt weiter konsolidieren werde. "2025 werden zwei Suite-Provider 80 Prozent des weltweiten SaaS-Applikationsmarkts kontrollieren", lautete seine Prognose. Aus Obermeiers Perspektive wird Oracle einer dieser beiden Anbieter sein.
Oracle hat viel Vertrauen verspielt
Auf Kundenseite teilt man diese Zuversicht allerdings nicht. Zwar sei die Botschaft Obermeiers für eine stärkere Gemeinschaft zwischen Anbieter und Anwender gut angekommen, stellte DOAG-Geschäftsführer Fried Saacke fest. Mache der Konzern jedoch mit seiner derzeitigen Politik so weiter, "dann wird es Oracle mit seiner Vision 2025 nicht schaffen", lautet die Prognose des DOAG-Vertreters. "Oracle hat viel Vertrauen verspielt."
Das liegt aus Sicht der DOAG nicht nur an dem Streit um die Lizenzierung rund um VMware. Auch mit den jüngsten Änderungen rund um die neueste Version der Standard Edition von Oracles Datenbank hat der Hersteller für Unmut gesorgt. Das Einspielen des Patchset 12.1.0.2 hat offenbar drastische Änderungen zur Folge. So dürfen Anwender nur noch Zwei-Sockel-Server für die Standard-Edition verwenden. Unternehmen, die zuletzt in Vier-Sockel-Systeme für ihre Oracle-DB investiert haben, stecken damit in einer Sackgasse.
Oracle hat zudem zwar den Extended Support für Version 11.2 bis Mai 2017 verlängert - ein gutes Signal aus Sicht der DOAG -, aber auch den Premium-Support für Release 12.1.0.1 einfach verkürzt. Diese Verkürzung ist aus Sicht der DOAG-Vertreter nicht rechtens. Schließlich seien die Support-Zeiträume Bestandteil der Wartungsverträge. "Das ist keine seriöse Geschäftspolitik", urteilte Saacke.
Der wachsende Ärger der Anwender könnte gravierende Folgen haben, auch hinsichtlich der künftigen Cloud-Strategie Oracles. Gerade in diesem Geschäft müssten die Kunden Vertrauen in ihre Provider haben, sagte DOAG-Vorstand Paege. Derzeit versuche Oracle zwar, die Kunden mit einem attraktiven Pricing in die Cloud zu locken.
Allerdings könnte der Support besser sein, hieß es von Seiten der Anwendervertretung. Gerade die Service Level Agreements (SLAs) entsprächen nicht dem, was Anwender für den Betrieb ihrer geschäftskritischen Applikationen erwarteten beispielsweise hinsichtlich Verfügbarkeit und Ausfallzeiten. Außerdem sei derzeit nicht klar, was nach dem Auslaufen der Verträge passiere und ob der Anbieter dann nicht doch plötzlich an der Preisschraube drehe. Es herrscht Unsicherheit, lautete das Fazit der DOAG-Vertreter.
Es wird schwer für Oracle in Deutschland
Damit dürfte es zunehmend schwer werden für Oracle im deutschen Markt. So eine verhärtete Situation habe es bis dato noch nie gegeben, berichtete Saacke. Zwar habe es auch früher schon Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen gegeben, doch am Ende hätten sich beide Seiten immer wieder aufeinander zubewegt. Das scheint diesmal nicht der Fall zu sein. Saacke berichtete von Signalen aus der zweiten Führungsebene bei Oracle, dass man an der Konzernspitze von den Themen, die die DOAG derzeit umtreibt, nichts mehr hören möchte.
Ob sich Oracle mit dieser Politik einen Gefallen tut, darf bezweifelt werden. In der Branche munkelt man derzeit, dass Vertreter des Datenbankkonzerns bei einem der großen deutschen Automobilhersteller schon Hausverbot hätten. Indirekt unterfütterte Oracles Deutschlandchef Obermeier diese Gerüchte, als er anlässlich seiner Keynote auf dem DOAG-Kongress davon berichtete, erst kürzlich große Autokonzerne in Wolfsburg und Stuttgart besucht zu haben. Das könnten durchaus Versuche gewesen sein, Scherbenhaufen zusammenzukehren. Es bleibt allerdings die Frage, ob ein Reboot der Kundenbeziehungen klappt.