Stefan Kinnen, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Oracle-Anwendergruppe (DOAG), ist sichtlich genervt. "Ich habe eigentlich keine Lust mehr, das Thema anzusprechen", sagte er zum Auftakt der diesjährigen Jahreskonferenz der Anwendervertretung in Nürnberg. Kinnen spielt damit auf das leidige Thema der Lizenzierung von Oracle-Produkten in virtualisierten Umgebungen an. Der Streit währt nun schon seit Jahren und "das Thema ist immer noch nicht gelöst", stellt der DOAG-Chef klar. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich noch etwas ändert", lautet das resignierte Fazit Kinnens.
Worum geht es? Stein des Anstoßes sind Oracles Lizenzregeln im Umfeld von virtualisierten Umgebungen. Je nachdem, welche Lösung Anwenderunternehmen einsetzen, handhabt es der Konzern sehr unterschiedlich, wie Oracle-Software im jeweiligen Virtualisierungskontext zu lizenzieren ist. Die gängigen x86-Virtualisierungslösungen wie VMware, Hyper V und Xen stuft Oracle als Soft-Partitioning ein. Das hat zur Folge, dass die Oracle-Produkte für den kompletten Server beziehungsweise Server-Verbund in Lizenz genommen werden müssen, auch wenn die entsprechenden Oracle-Produkte nur auf einer kleinen Partition mit einer begrenzten Zahl zugewiesener Prozessoren laufen.
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Im x86-Umfeld sind nur die Oracle VM und die seit der Übernahme von Sun Microsystems ebenfalls zu Oracle gehörenden Solaris Container als Hard-Partitioning anerkannt, so dass bei diesen beiden Virtualisierungslösungen nur die jeweils dediziert zugewiesenen Prozessoren lizenziert werden müssen.
Die Lizenzsituation könnte sich bei etlichen Kunden noch verschärfen - insbesondere im Zusammenhang mit VMwares Software vSphere. Das liegt daran, dass der Support für vSphere 5.5 am 19. September 2018 endete. Die Nutzer seien gezwungen, auf vSphere 6.5 oder 6.7 umzusteigen und sähen sich mit noch schärferen Lizenzbedingungen konfrontiert, warnen die Anwendervertreter.
Nach Auslegung von Oracle sind Anwender mit den neueren VMware-Versionen gezwungen, alle Prozessoren aller Server in allen vCentern zu lizenzieren, konstatieren die Lizenzexperten der Anwendervereinigung. "Für Unternehmen würde diese Auffassung zu erheblichen Nachlizenzierungskosten und starken wirtschaftlichen Auswirkungen führen, ohne dass tatsächlich mehr Leistung genutzt wird", lautet das Fazit der DOAG.
Oracle-Vorschlag ist für Anwender keine Lösung
Oracles Praxis, den Kunden mit einem sogenannten "VLAN-Approval" entgegenzukommen - ein Verfahren, bei dem die jeweilige Situation beim Kunden geprüft und entsprechend abgenickt wird oder auch nicht - stellt für die Anwender keine Lösung dar. Dieser Workaround sei eine Lösung, die nur kurzfristig funktioniere, moniert Michael Paege, stellvertretender Vorsitzender der DOAG und Leiter des Competence Center Lizenzierung.
"Aus DOAG-Sicht ist das keine zufriedenstellende Lösung, weil sie nicht allgemeingültig ist. Stattdessen muss Oracle sie für jeden einzelnen Kunden erst einmal genehmigen. Die Erfahrung hat auch gezeigt, dass sie meist nicht kostenlos ist, weil man nur in den seltensten Fällen das VLAN-Approval erhält, ohne dass man zusätzlich etwas bei Oracle kauft."
Angesichts der verhärteten Fronten haben die DOAG-Verantwortlichen ein Legal Council ins Leben gerufen und Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse, die den Teilnehmern auf der Anwenderkonferenz präsentiert wurden, deuten darauf hin, dass Oracles Lizenzverträge anfechtbar sind. Die Rechtsexperten führen dafür drei Punkte an:
- Fehlende schriftliche Dokumentation: Oracle habe die Anforderungen in den Vertragsdokumenten nicht schriftlich dokumentiert. Stattdessen habe der Hersteller seine Auffassung lediglich mündlich kommuniziert.
- Verstoß gegen das Transparenzgebot: Fehlende Transparenz führe dazu, dass die Grundlage für die Preisbildung fehle. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot liegt dann vor, wenn aus Sicht des durchschnittlichen Kunden eine textliche Unklarheit zur Folge hat, dass er den Inhalt des AGB-Textes nicht sicher nachvollziehen kann.
- Zweifelhaftes Recht auf nachträgliche Vergütung: Die Experten hegen Zweifel, ob bei unveränderter Hardware-Nutzung der Kaufpreis erhöht werden kann. Er kommt zu dem Schluss, dass keine nachträglichen oder zusätzlichen Lizenzgebühren verlangt und auch keine Änderungen der Lizenzgebühren vorgenommen werden können. Diesbezügliche AGB-Klauseln seien unwirksam und gäben Änderungen nicht her.
Rechtsanwalt Thomas Thalhofer, Leiter des Bereichs Digital Business in der Kanzlei Noerr und Mitglied des Legal Council, stellt darüber hinaus fest, dass in den Oracle License and Service Agreements (OLSA) der Prozessor als maßgebliche Kenngröße für die Bemessung der Lizenzgebühren festgeschrieben ist. "Prozessor bezeichnet alle Prozessoren, auf denen die Oracle Programme installiert sind und/oder ablaufen", zitiert der Anwalt den Passus. Von Prozessoren, auf denen die Software "potenziell" ablaufen könne, sei an dieser Stelle nicht die Rede.
Samthandschuhe ausziehen
In den Reihen der DOAG-Verantwortlichen ist man unsicher, was diese Ergebnisse konkret bedeuten. Geschäftsführer Fried Saacke räumte ein, dass die Rechtsgutachten bereits seit Jahren in den Schubladen der Anwendervertreter schlummerten. Man habe sich bislang schlicht nicht getraut, diese gegen den eigenen Softwarelieferanten ins Feld zu führen. Doch die Zeit der Samthandschuhe scheint vorbei zu sein. "Reden bringt doch nichts mehr", sagt ein verärgerter Teilnehmer der DOAG-Konferenz. "Es ist Zeit mal auf den Tisch zu hauen."
Daniel Hesselink, ein Lizenzberater aus den Niederlanden, konstatierte ebenso wie einige Lizenzexperten von House of Bricks Technologies, dass Oracles Partitioning Policy und andere detailliertere Regeln vertraglich nicht festgeschrieben und somit auch rechtlich nicht bindend seien. Sie empfehlen den Anwendern, sich auf keinerlei Diskussionen einzulassen und sich auf den eigenen Rechststandpunkt zurückzuziehen. "Soll Oracle doch seine vermeintlichen Forderungen durchsetzen."
Bis dato ist jedoch noch kein Streitfall vor Gericht gelandet. Die Vertreter des DOAG Legal Council dämpfen zu hohe Erwartungen. Es gebe keine Garantie, dass so ein Verfahren glatt durchgehe, sagen die Rechtsexperten und verweisen auf operationale Risiken. "Da kann es auch mal rumpeln." Dabei spielen sie auf die Frage der Support-Verträge an. Diese würden separat zwischen Oracle und den Anwenderunternehmen geschlossen.
Theoretisch hätte der Softwarehersteller damit ein Druckmittel in der Hand, da es sich kaum ein Betrieb leisten könne, seine geschäftskritische Datenbank ohne Support laufen zu lassen. Doch sollte Oracle diese Karte aus dem Ärmel ziehen, bestünde die Möglichkeit, die Kartellbehörden einzuschalten, sagen die Vertreter des Legal Council. Schließlich habe Oracle hier eine Monopolstellung inne. Das dürfe der Konzern nicht ausnutzen, um andere Forderungen durchzusetzen.
Oracle-Support kommt schlecht weg
Oracles Support sorgte im Rahmen der DOAG-Konferenz noch an anderer Stelle für viele Diskussionen. 2018 haben die Anwendervertreter ihre Mitglieder wieder einmal zur Qualität und der Zufriedenheit mit dem Oracle-Support befragt. Diese Umfragen finden im zweijährigen Turnus statt. Insgesamt beteiligten sich in diesem Jahr 277 Unternehmen an der Umfrage.
Die Ergebnisse fielen alles andere als schmeichelhaft für Oracle aus. Lediglich 15 Prozent gaben an, mit dem Support sehr (vier Prozent) beziehungsweise ziemlich (elf Prozent) zufrieden zu sein. Das sind vier Prozentpunkte weniger als noch 2016. Zwei Drittel erklärten, weniger (43 Prozent) beziehungsweise gar nicht (23 Prozent) zufrieden zu sein - zehn Prozentpunkte mehr als vor zwei Jahren. Immerhin zeichnet sich hinsichtlich der qualitativen Entwicklung eine Verbesserung ab. Konstatierten im Jahr 2016 noch 64 Prozent eine Verschlechterung, so sehen dies 2018 noch 49 Prozent der Befragten. Für 36 Prozent ist die Qualität gleichgeblieben (2016: 27 Prozent).
Im Detail ist mehr als die Hälfte der Teilnehmer insbesondere mit der Dauer bis zur Lösung ihres Problems (77 Prozent), den Abläufen und Prozessen (65 Prozent), der Qualität der angebotenen Problemlösung (58 Prozent) und dem Verständnis für das spezifische Problem (68 Prozent) unzufrieden. Bei den negativen Support-Erfahrungen handle es sich nicht um Einzelfälle, konstatieren die DOAG-Vertreter.
Aufgrund der langjährig zu beobachtenden Tendenzen liege vielmehr ein grundlegendes strukturelles Problem vor, welches von Oracle dringend gelöst werden müsse. Aus Sicht von DOAG-Geschäftsführer Saacke spare der Hersteller beim Support zu sehr am Personal. Der Doag-Sprecher forderte den Softwarehersteller dazu auf, die Support-Mitarbeiter besser zu qualifizieren und dafür mehr Geld auszugeben.
Anwender sollen proaktive Support-Tools nutzen
Clarissa Rohrmann, Customer Success Manager von Oracle, kündigte an, die Ergebnisse der DOAG-Support-Umfrage dem Board of Directors vorzulegen und nach genauerer Nachfrage eine Reaktion bis Ende des Jahres 2018 vorzulegen. Albert Triola, Oracle Vice President Services für die Region Emea, rief die Anwender dazu auf, die von Oracle angebotenen proaktiven Support-Werkzeuge stärker zu nutzen.
An dieser Stelle ist allerdings noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten, wie die DOAG-Umfrage offenbarte. Derzeit wird der Oracle Proactive Support nur von sieben Prozent der Befragten genutzt. 41 Prozent kennen den Service gar nicht. Immerhin werden die Proactive Support Tools mittlerweile überwiegend positiv beurteilt. Auch mit dem Online-Portal "My Oracle Support" sind die Nutzer zu 42 Prozent ziemlich zufrieden, zehn Prozent sogar sehr zufrieden. Damit stieg die Zufriedenheit im Vergleich zu 2016 um weitere vier Prozentpunkte auf 52 Prozent.
Diese Werte können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Anwender das Support-Angebot ihres Softwarelieferanten insgesamt kritisch sehen. Oracle-Mann Triola bemühte sich, auf der Konferenz in Nürnberg die Wogen zu glätten. Er räumte ein, dass es Verbesserungsbedarf gebe, und beteuerte auf das Feedback der Kunden hören zu wollen. Doch vielen Anwendern scheint das nicht zu reichen. Triola wurde mit deutlich hörbaren Buh-Rufen der Oracle-Klientel von der Keynote-Bühne verabschiedet.