Die IT-Community verfolgt die immer schnellere Einkaufstour mit zunehmendem Staunen. Ist das ein CEO auf dem Ego-Trip oder steckt dahinter tatsächlich eine sinnvolle Strategie? Lassen sich so viele Unternehmen wirklich zu einem funktionsfähigen Ganzen integrieren – die Kulturen ebenso wie die Produkte?
Als Anbieter von Unternehmensanwendungen liegt Oracle bislang noch hinter dem Marktführer SAP. Nun könnte man die Einkaufstour einfach als Versuch abhaken, den Abstand zu verringern, koste es was es wolle. Aber tatsächlich ist der Markt für Enterprise-Anwendungen reif für eine Konsolidierung. Denn die Zeit der großen, monolithischen Best-of-Breed-Anwendungen für bestimmte Aufgaben oder Branchen geht dem Ende zu.
Bislang mussten sich Unternehmen entscheiden: entweder für die Konsolidierung der IT auf die Lösungen eines Anbieters – in Deutschland meist SAP. Die erfüllten aber die unternehmensspezifischen Anforderungen nur teilweise. Oder für Best-of-Breed-Anwendungen, die selbst in langen und teueren Integrationsprojekten miteinander integriert werden mussten.
Neue, serviceorientierte Architekturen (SOAs) ermöglichen jetzt den Anbietern, Unternehmens-Software deutlich flexibler zu gestalten. Kunden kann so beides versprochen werden: eine IT-Infrastruktur aus einer Hand und die leichte Anpassbarkeit an unternehmensspezifische Bedürfnisse.
SOA für Unternehmens-Software
Auch wenn sich dieses Versprechen in der Realität erst noch erfüllen muss, so dürfte es den Unternehmen in Zukunft leichter fallen, sich für einen strategischen Anbieter von Software zu entscheiden. Der sollte nach Möglichkeit groß und finanzstark sein - und viele Kunden vorweisen können. All das erhöht die Wahrscheinlichkeit seines langfristigen Überlebens und vergrößert das Ökosystem von erfahrenen Dienstleistern.
Ein solcher Trend stellt kleinere Anbieter vor große Herausforderungen. Ihr Versprechen einer genauen Problemlösung verliert an Wert, wenn die Probleme auch ohne Spezialanwendungen gelöst werden können. Außerdem müssen sie ihre Software so umgestalten, dass sie sich leicht in die neue Welt der SOAs einpassen lässt.
Das verlangt wiederum hohe Investitionen, die bei zunehmend intensiverem Wettbewerb immer schwieriger geleistet werden können. Kurz: Kleinere Anbieter kommen von der Einnahmen- wie auch von der Kostenseite unter Druck.
Ihre Kunden müssen sich deshalb Gedanken machen, auf welchen Anbieter sie langfristig setzen wollen. Etwa auf den Branchenriesen SAP? Das bedeutet eine langwierige Migration, die jedes Unternehmen nach Möglichkeit vermeiden möchte. Durch Oracles Einkaufstour ergibt sich jetzt für die Kunden der aufgekauften Anbieter eine Alternative.
Oracle selbst wird groß genug, um im Bereich Enterprise Applications langfristig ein wichtiger Player zu bleiben. Und die Software der aufgekauften Anbieter wird von Oracle im Laufe der nächsten Jahre an die neue Flexibilitätsanforderungen angepasst. Ein Kunde von Siebel etwa kann die Software ruhigen Gewissens vorerst weiter einsetzen und im Laufe der Zeit mit Unterstützung von Oracle langsam auf eine neue Architektur migrieren.
Oracle selbst scheint diese Chancen zunehmend ähnlich zu sehen. Mittlerweile wird den Nutzern zugekaufter Software wesentlich mehr langfristige Unterstützung zugesichert als etwa noch am Anfang des Kampfes um Peoplesoft. Denn von der Unsicherheit über die Zukunft während der Übernahmeschlacht konnte vor allem SAP profitieren, nicht zuletzt aufgrund spezieller „Safe Passage“-Programme.
Keine triviale Angelegenheit
Aus technischer Sicht ist die Integration der vielen zugekauften Anwendungen für Oracle keine triviale Angelegenheit. Aber das Konzept der serviceorientierten Architekturen wird diese Zusammenführung vereinfachen. Oracle wird auch davon profitieren können, dass sich die großen Anbieter von Unternehmenslösungen, SAP, Oracle, IBM und Microsoft, alle in eine ähnliche Richtung bewegen.
Dies zeigt auch der aktuelle Berlecon-Report "Von NetWeaver zur Business Process Platform". Ziel ist jeweils eine Business Process Platform, die auf Basis einer SOA Infrastruktur und Anwendung miteinander vereint. SAP ist dabei bislang am weitesten gekommen. Die dabei gemachten Erfahrungen werden auch Oracle zugute kommen.
So ist die Shopping-Tour von Oracle letztendlich ein Einkauf von interessanten Optionen für die Zukunft. Denn für die Kunden der zugekauften Software ist der Anbieter jetzt erst einmal die erste Adresse, wenn es etwa um Konsolidierung, Ausbau oder Erweiterung der IT-Infrastruktur geht.
Ob Larry Ellison es aber schafft, die Kunden mit bedürfnisgerechten Lösungen und überzeugenden Roadmaps statt allein mit markigen Sprüchen dauerhaft zu binden, das muss sich erst noch zeigen.
Dr. Thorsten Wichmann ist Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Berlecon Research.