Viele IT-Chefs, die sich mit Legacy-Anwendungen herumschlagen müssen, träumen davon, noch einmal neu auf der grünen Wiese starten zu können. In einer solchen Greenfield-Situation befand sich im Spätherbst 2017 Michael Schöberl, damals Project Manager bei der Continental Automotive GmbH. Als Osram und Continental gemeinsam beschlossen, ein Joint Venture für Automobilbeleuchtungssysteme zu gründen, wurde der Regensburger mit der Aufgabe betraut, als künftiger CIO die IT-Infrastruktur für das neue Unternehmen aufzubauen.
Der Haken bei der Beförderung: Von der Vorstellung der Osram Continental GmbH Anfang 2018 bis zum ersten Arbeitstag (Day 1) des Joint Ventures im Juli 2018 verblieb lediglich ein halbes Jahr. Die Mitarbeiter des Joint Ventures wurden im Rahmen eines Betriebsübergangs aus den beiden Müttern herausgelöst, erklärt Schöberl: "Unsere komplette Organisations- und Prozesslandschaft musste bis zum Sommer von Null aus aufgebaut werden."
In einem halben Jahr von Null auf 100
Damit kamen enorme Herausforderungen auf den neuen IT-Chef zu. Etwa: Wie kann man eine IT-Infrastruktur aufbauen, ohne bereits zu wissen, wo die Büros sein werden? Und wie plant man eine robuste IT-Landschaft ohne lokale Infrastruktur? Schöberl kam schnell zu dem Schluss, dass die Public Cloud, beziehungsweise Cloud-only die einzige logische Option ist, um global schnell und flexibel agieren zu können.
"Der Anspruch an die Hardware-Beschaffung und die benötigten finanziellen Mittel wären bei unserer globalen Aufstellung viel zu hoch gewesen", so der Osram Continental CIO. Es sei effizienter gewesen, die Lösungen einheitlich über VMware Cloud on AWS laufen zu lassen, fügt er an. "Hinzu kommt, dass eine lokale Anbietersuche zu aufwendig und der Aufbau eines eigenen Rechenzentrums in jeder Region zu kosten- und zeitintensiv gewesen wären."
"Neben der schnellen Einrichtung eines Rechenzentrums ermöglichte der Neustart in der Cloud die Implementierung neuer Prozesse und Tools für unsere Entwickler", sagt Schöberl. Dadurch gelang es Osram Continental, den für das Unternehmen entscheidenden Bereich Software-Entwicklung ohne Projektunterbrechungen auf eine neue, einheitliche Prozesslandschaft umzusiedeln.
Um die Produktivität der Mitarbeiter aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die IT-Ressourcen stärker auf die Erfüllung der Kundenbedürfnisse auszurichten, wurde der Schwerpunkt auf die Migration zu einer einheitlichen Cloud-Infrastruktur und die Einrichtung einer zentralen Konnektivität und Verwaltung der Desktops der Mitarbeiter gelegt.
Als Resultat stand pünktlich zum Start des Joint Ventures eine Virtual Desktop Infrastruktur (VDI) bereit, die den 1.500 Mitarbeitern in neun Ländern eine einheitliche Arbeitsumgebung mit Office 365 bot. Microsoft Teams wurde als Kollaborationsplattform gewählt, in die auch die Festnetztelefonie integriert ist.
Self-Service statt lokaler Support
Ein anderes Problem ließ sich nicht direkt per Cloud und Virtualisierung lösen. " Das enge Zeitfenster erschwerte uns die Rekrutierung. Weshalb wir ohne lokalen Support auskommen mussten", erinnert sich Schöberl. Als Lösung wählte er das Konzept Self-Service, wie man es von Handys kennt, sprich, die Mitarbeiter müssen bei einfacheren Problemen selbst Hand anlegen. Die Mitarbeiter von einem Tag auf den anderen umzugewöhnen war teilweise etwas schwierig, berichtet der CIO: Hardware anschließen, Monitore selbst verkabeln, für die Mitarbeiter war das neu.
Zur Unterstützung bekamen alle ein Support-Icon auf dem Desktop, das beim Klick eine Verbindung zum Helpdesk über Teams herstellt. Die wenigsten Probleme müssen jedoch Hands-on gelöst werden, so Schoeberl. Und falls eine Reparatur nicht möglich ist, steht Ersatzhardware vor Ort bereit und muss nur ausgerollt werden.
"Unsere Prämisse ist es, Mitarbeitern einen unkomplizierten, sicheren und digitalen Arbeitsplatz zu bieten", erklärt Schöberl. "Wenn sich die Anforderungen ändern, können wir zum Beispiel 400 zusätzliche Desktops auf einen Schlag bereitstellen."
Vor allem in Zeiten von COVID-19 beweist sich das System als richtige Entscheidung: Jobinterviews und Onboarding in Indien funktionieren remote, und selbst als eine Kollegin Pandemie-bedingt in Singapur strandete, sei dies kein größeres Problem gewesen, erinnert sich Schöberl: Sie kaufte sich vor Ort ein Windows-Notebook und nach Eingabe ihrer Login-Daten erfolgte via VMware Workplace One das Enrollment und der Zugriff auf das Firmennetz mit SD-WAN automatisch. "In einer klassischen Umgebung wäre das undenkbar gewesen", blickt der CIO zurück.
Flexibel bis zum Ende
Der nächste Schritt auf diesem Weg ist die Integration von CloudHealth by VMware sowie die Migration der kritischen Fertigungsanwendungen in die Cloud. Damit soll der Verwaltungsaufwand in den einzelnen Standorten entfallen. Wie es damit weitergeht, wird sich allerdings erst zeigen. Osram und Continental planen, das Geschäft des Joint Ventures neu für die Zukunft aufzustellen.
In den kommenden Monaten werden die beiden Mutterhäuser darüber verhandeln, die eingebrachten Geschäfte herauszulösen und in die jeweiligen Unternehmen zu überführen. Mit dem Schritt begegnen Osram und Continental dem eingetrübten Marktumfeld, das durch die Corona-Krise zusätzlich belastet wird und sich anders als erwartet entwickelt hat. Ein kleiner Trost: Auch bei der Rückintegration wird der Fokus auf Cloud-only und die damit mögliche Flexibilität sicher von Vorteil sein.