Zwei Worte reichen dem Hamburger Otto-Konzern als Begründung für das Scheitern eines SAP-Projektes: "sehr komplex". Das 2009 gestartete Vorhaben, die Anwendungslandschaft mit SAP-Standardsoftware zu zentralisieren, habe sich als "sehr komplex" herausgestellt. Nun wurde das ehrgeizige Vorhaben mit dem Namen "Passion for Performance" (P4P) gekippt. Otto hatte es im April vorigen Jahres als "größtes IT-Projekt" der Firmengeschichte bezeichnet.
Das neue Motto lautet nun auf das Gegenteil, nämlich Dezentralisierung. Das gab der Konzern Ende September bekannt. Offiziell heißt es: "Aus Sicht der Otto Group stärkt diese Entscheidung zum dezentralen Management der IT die Schlagkraft und Wettbewerbsfähigkeit der Konzernunternehmen nachhaltig."
Die Konzernunternehmen der Otto Group würden nun "selbstverständlich in ihre IT investieren und diese dezentral zukunftsfähig ausrichten". Eine zentrale IT-Governance soll dafür sorgen, dass übergreifende Zielsetzungen verfolgt werden können.
CIO ging wegen SAP-Projekt
Ärger mit P4P zeichnete sich schon länger ab. Bereits im Frühjahr 2011 verließ Thomas Tribius, seinerzeit CIO, den Konzern. Otto rief damals eine "Analysephase" für das Projekt aus. Diese wurde auf sechs Monate angesetzt und sollte Zeit geben, die "Strukturen nochmals zu überdenken". Tribius folgte ein Trio an der IT-Spitze nach: Uwe Kolk, Christoph Möltgen und Michael Picard. Picard wechselte jedoch Anfang 2012 als Personalchef zur Metro. Seine Aufgaben übernahm Inken Stavenhagen.
Diese drei Direktoren des internen IT-Dienstleisters Group Technology Partner (GTP) berichten an Jürgen Schulte-Laggenbeck. Er ist Finanz- und IT-Vorstand der Otto Group. Was das Ende des SAP-Projektes für GTP bedeutet, das wollte ein Sprecher der Otto Group gegenüber CIO.de nicht präzisieren. Dafür sei es noch zu früh, so der Sprecher. Eines aber sei klar: "Die GTP wird sich neu positionieren müssen."
Schaden im zweistelligen Millionenbereich
Den finanziellen Schaden beziffert der Sprecher auf einen zweistelligen Millionenbereich. Knapp hundert Kollegen hätten an P4P gearbeitet. Dennoch will der Sprecher beim Scheitern des Großprojektes nicht nur negative Folgen sehen: Die Erfahrungen und das gewonnene Wissen nützten dem Konzern.
Keinesfalls sei das Ende von P4P als Entscheidung gegen SAP zu verstehen, so der Sprecher weiter. Einzelne Gesellschaften des Konzerns wie beispielsweise Sport-Scheck und Bon Prix haben sich für SAP entschieden.
Händler haben zusätzlich Probleme
Ruediger Spies, Independent Vice President Enterprise Applications beim Marktforscher IDC, sagt über das Scheitern des Projektes: "Eine solche SAP-Einführung ist nicht trivial." Dabei habe ein Versandhändler noch einmal eine ganz andere Lastverteilung auf die Prozesse zu bewältigen als der stationäre Einzelhandel, weil viele Kunden beispielsweise mehrere Artikel zur Anprobe bestellen und dann einige davon zurückschicken. "Solche Mengen an Retouren verzeichnet der stationäre Handel nicht", sagt Spies.
Dies vor dem Hintergrund, dass sich Otto selbst vom Katalogversender zum modernen Online-Händler entwickelt hat. Werner Otto hatte das Unternehmen am 17. August 1949 als Otto-Versand gegründet, in den 1970er Jahren entwickelte sich das Haus durch Unternehmensbeteiligungen, Neugründungen und Joint Ventures zur heutigen Otto Group.
Die Hanseaten betreiben nach wie vor stationäre Geschäfte zum Abverkauf von Restposten. Unternehmensteile wie etwa Sport-Scheck kommen ursprünglich aus dem stationären Einzelhandel und haben Versand- und Online-Handel erst später entwickelt. Diese Multi-Channel-Strategie muss in den Systemen abgebildet werden.
Die Hanseaten betreiben nach wie vor stationäre Geschäfte zum Abverkauf von Restposten. Unternehmensteile wie etwa Sport-Scheck kommen ursprünglich aus dem stationären Einzelhandel und haben Versand- und Online-Handel erst später entwickelt. Diese Multi-Channel-Strategie muss in den Systemen abgebildet werden.
Analyst sieht Dezentralisierung pragmatisch
Beim Stichwort Dezentralisierung sieht IDC-Analyst Spies einen ganz pragmatischen Vorteil: "Man kann mehr ausprobieren, man kann parallel lernen", sagt Spies. Das hebe den Nachteil, dass eben auch manche Arbeit doppelt gemacht werde, zumindest teilweise wieder auf.
Die Otto-Group steigerte ihren Umsatz im Geschäftsjahr 2011/12 nach eigener Darstellung auf 11,6 Milliarden Euro. Das entspricht einem Plus von 1,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr.