Sebastian Ritz macht längst nicht mehr alles selbst: "Aktuell liegt unsere IT-Fertigungstiefe bei rund 30 Prozent", sagt der CTO der Xchanging Transaction Bank (XTB). Die XTB hat Entwicklung, Betrieb und Wartung ihres Kernbanksystems ausgelagert. Auch die Frontend-Lösungen für das Trading-Geschäft sowie große Teile der IT-Infrastruktur und der Netzwerke sind draußen. Ganz zufrieden ist Ritz mit seinen 30 Prozent allerdings nicht: "Da wir die Kontrolle über alle wichtigen IT-Plattformen und Querschnittfunktionen haben müssen, läge unsere IT-Fertigungstiefe idealerweise nicht bei 30, sondern bei 50 bis 60 Prozent."
Ungefähr in diesem Bereich liegen derzeit die meisten Unternehmen. "IT-Outsourcing ist heute keine Frage des Ob, sondern nur des Was", bestätigt Timo Kopp, Managing Consultant des Beratungshauses Maturity aus München. Laut seiner Benchmarks haben Betriebe die IT-Fertigungstiefe innerhalb der vergangenen zehn Jahre kontinuierlich gesenkt. Die Ausgaben für Auslagerungen schlagen heute beim Gesamtbudget mit 52 Prozent zu Buche und haben sich damit seit 2001 verdoppelt.
Aus dem Haus geben IT-Verantwortliche in erster Linie Entwicklung, Wartung und Betrieb von Geschäftsanwendungen, IT-Infrastrukturen und Netzwerke, aber auch den kompletten Rechenzentrumsbetrieb, die Desktop-Services und den User-Helpdesk. Angesichts des schönen, neuen Cloud-Himmels drängt sich die Frage auf: Was bleibt am Ende überhaupt noch im Haus?
Szenenwechsel zur deutschen Unternehmenszentrale von Procter & Gamble (P&G) in Schwalbach im Taunus. Unter dem Dach von P&G tummeln sich Marken wie Pampers, Braun, Gillette, Blend-a-med, Wella, Pringles und Wick. Der Konzern gehört weltweit zu den größten SAP-Anwendern aus der Konsumgüterindustrie und hat nahezu alle IT-Bereiche ausgelagert. Der Group-CIO Filippo Passerini gilt als eine Ikone der Outsourcing-Szene, und auch sein deutscher Vertreter bestätigt: "Ein Ziel unserer IT-Strategie ist es, Geschäftsprozesse auf Basis einer standardisierten IT-Systemlandschaft zu vereinfachen und zu verbessern. Wenn wir das durch Outsourcing besser erreichen können, lagern wir Prozesse an unsere globalen IT-Partner aus", erläutert Tobias Günthör, als CIO verantwortlich für die IT des Konsumgüterkonzerns in Deutschland.
2001 |
2006 |
2011 |
74%
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62% |
48% |
Insourcing muss möglich bleiben
Konkrete Zahlen zur IT-Wertschöpfungstiefe lässt sich Günthör leider nicht entlocken. "Ob die bei 20, 30 oder 50 Prozent liegt, spielt für uns keine Rolle. Entscheidend ist ausschließlich der betriebswirtschaftliche Nutzen", stellt der CIO klar. Den Mitarbeitern in der internen IT-Organisation bleibt so mehr Raum für strategische Kernaufgaben. Dazu zählt Günthör Portfolioplanung und -Management sowie die Umsetzung von IT-Innovationen. In den eigenen Händen behält der P&G-CIO zudem die Leitung globaler IT-Initiativen, wie etwa die Einführung eines neuen Finanz- und Controlling-Systems und die Planung der IT-Enterprise-Architektur. Günthör legt Wert auf eine gesunde Balance zwischen Outsourcing und internem Know-how. "Das ist Teil unserer IT-Strategie. Wenn es mit dem Outsourcing einmal nicht klappt, müssen wir jederzeit in der Lage sein, ausgelagerte IT-Bereiche wieder einzugliedern."
Die IT-Fertigungstiefe lässt sich also keineswegs beliebig reduzieren - selbst in solchen Unternehmen nicht, die sich ausdrücklich ihres Outsourcing-Anteils rühmen. "In jedem Fall benötigt man mindestens zehn bis 15 Prozent an internen Mitarbeitern, um die externen Dienstleister zu koordinieren und zu überwachen - oder als Störungsreserve", rechnet Bank-CTO Ritz vor. Bei strategisch wichtigen Plattformen müsse die interne Wertschöpfungstiefe sogar deutlich höher liegen.
Jedoch: Derlei Sicherheitsbedenken plagen den gemeinen IT-Nutzer nicht. Fachanwender nutzen die Cloud ohne Wissen der IT-Abteilung für Projekt-Management, Terminverwaltung oder Speicherung von Daten. Damit liegt die tatsächliche IT-Fertigungstiefe in vielen Fällen unter den offiziell angegebenen Werten. "Diese Schatten-Informatik stellt CIOs vor ganz neue Probleme", warnt Professor Walter Brenner von der Universität St. Gallen: "Da sich die Nutzung von IT-Anwendungen und Serverkapazitäten dem Einfluss der IT-Abteilung entzieht, steigt das Risiko von Datenverlusten."