Wie so oft im Leben prägt auch beim Outsourcing nicht der Honeymoon, sondern der Alltag eine Partnerschaft. Den größten Aufwand an Zeit und Geld sowie die höchste Komplexität finden wir in der Phase nach dem Vertragsabschluss; hier werden 97 bis 98 Prozent der Gesamtausgaben im Laufe des Outsourcings getätigt, im Gegensatz zu 2-3 Prozent Projektierungskosten für die Ausschreibung.
Einen erheblichen Anteil daran hat die Governance. Sie organisiert die Zusammenarbeit von Supply- und Demand-IT, also von Auftraggeber und Dienstleister(n). Rund 30 Prozesse lassen sich hier identifizieren (siehe Grafik : Trends - Einsparungen vs. Fehlerwert). Sie werden in der Regel durch die Retained Organization (RO) des Kunden - die nach der Auslagerung im Haus verbliebenen oder auch neu eingestellten Mitarbeiter - gesteuert.
Diese Organisation befasst sich zum großen Teil mit rein administrativen und wiederkehrenden Tätigkeiten. Einen großen Teil hiervon nimmt zum Beispiel das Invoice-Management ein, zusammen mit dem Vertrags- und Service-Level-Management. In der Regel sind ganze Heerscharen von Mitarbeitern mit der Rechnungsprüfung befasst: Sind die abgerechneten Leistungen angebracht? Sind sie nachvollziehbar? Haben sie eine vertragliche Grundlage? Große Kapazitäten - auf beiden Seiten - sind so mit der ständigen Suche nach Daten und "Erklärung" von Rechnungen gebunden.
Realität: Retained Organization verbraucht 15 Prozent des Volumens
Im Laufe der Jahre wächst die Steuerungsorganisation immer stärker an - bei manchen großen Konzernen sind dies mehrere hundert Mitarbeiter, wobei eine Retained Organization nicht mehr als 8 Prozent des Gesamtvolumens eines Outsourcing-Vertrags beanspruchen sollte. In der Realität finden wir nicht selten bis zu 15 Prozent.
Nicht zuletzt wird das unkontrollierte Wachstum der Retained Organization dadurch begünstigt, dass ihre Mitarbeiter oft nicht auf der Gehaltsliste der IT stehen, sondern an den Einkauf oder andere Bereiche berichten. Ihre Kosten schlagen sich folglich nicht im IT-Budget nieder. Um die Wirkung einer Auslagerung zu beurteilen, sollten deshalb die "Total Cost of Outsourcing" betrachtet werden.
Warum die Retained Organization unkontrolliert arbeitet
Was sind die Gründe dafür, dass sich die RO oft unkontrolliert ausbreitet? Das größte Problem besteht darin, dass die Mitarbeiter die oben genannten Fragen oft gar nicht beantworten können, da sie zuvor andere Rollen besetzt haben. Während der Vertragslaufzeit ändern sich die Inhalte des Outsourcings immer mal wieder - Leistungen werden erweitert, reduziert oder neu aufgenommen. Meist sind aber die Governance-Prozesse nicht hinreichend ausgeprägt, dass sie diese Veränderungen auch nicht richtig abbilden - was deswegen nicht weiter verwunderlich ist, da diese Governance nicht zum Kerngeschäft des Kunden gehört.
Die Folge: Vor Leistungsveränderungen werden keine Change Requests gestellt und auch keine Vertragserweiterung und SLA-Anpassungen vorgenommen. Mehr- und Minderleistungen werden zwar "arrangiert", nicht aber dokumentiert. Der Leistungsverbrauch wird somit nicht gesteuert, sondern entwickelt sich als Wildwuchs.
Hinzu kommt die exponentielle Zunahme der Komplexität. Man spricht heute von der dritten Generation des Outsourcings, die vor allem von Multi-Provider-Umgebungen geprägt ist. Beispielsweise sind Desktop Management und Applikationsmanagement/-wartung oft an verschiedene Dienstleister vergeben. Da die Prozesse in der Leistungserbringung stark verzahnt sind, müssen diese Provider - etwa bei Problemlösungen - zusammenarbeiten und deshalb auch untereinander Beziehungen pflegen, die wiederum zu managen sind.
Anwender und Dienstleister verlieren die Übersicht
Diese Entwicklungen führen dazu, dass der Auftraggeber während der Laufzeit eines Vertrags - in der Regel 3 bis 7 Jahre - oftmals die Übersicht über die genauen Inhalte, Volumina und Zuordnungen der Leistungsvereinbarungen verliert. Das gilt umgekehrt auch für die Dienstleister. Es ist sicherlich kein Geheimnis, dass nach längerer Laufzeit eine eklatante Anzahl von Rechnungen gestellt werden, von denen nur sehr wenige wissen, ob diese auch gerechtfertigt sind.
3 Folgen schlechter Governance
All diese Disproportionen bedrohen den Erfolg des Outsourcing substanziell:
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1. Der Fokus eines signifikanten, qualifizierten Teils der Mitarbeiter auf rein administrative Tätigkeiten geht zu Lasten der eigentlich angestrebten Nutzenstiftung der Outsourcing-Beziehung und ihres Beitrags zur Wertsteigerung - wie etwa der Diskurs über zugesagte Innovationen, bessere Prozessunterstützung, Lösungen für Herausforderungen der Zukunft usw.
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2. Die Beziehung zwischen Demand- und Supply-IT wird belastet. In zwei Dritteln der Outsourcing-Situationen finden wir eine latente oder definierte Unzufriedenheit, die vor allem durch den "zermürbenden Alltag" bedingt ist. Wechselseitige Schuldzuweisungen tragen zur Eskalation bei: So glauben 89 Prozent der Auftraggeber, schlechte oder verfehlte Ergebnisse seien Schuld des Lieferanten - während wiederum 81 Prozent der Lieferanten überzeugt sind, dies sei Schuld des Auftraggebers.
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3. Die langfristige Folge: Nicht selten wird der ursprüngliche Business-Case - der die Grundlage für die Outsourcing-Entscheidung bildete - sukzessiv ausgehöhlt. So belegen TPI-Forschungen, dass zwischen 5 Prozent und 30 Prozent des erwarteten Werts von Transaktionen durch ineffektive Governance verloren gehen.
Wie man der Falle entkommt
Wie können Unternehmen der RO-Falle entkommen? Am besten indem die den Kern des Problems mit der ihm adäquaten Lösung angehen: Es sind ja gerade die operativen Abläufe, die in der IT in den letzten Jahren zunehmend standardisiert und als Services ausgelagert wurden, damit sich Unternehmen auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Wenn nun bei der Governance ebensolche administrativen Prozesse erhebliche Ressourcen binden, liegt es nahe, auch diese als standardisierte Services auszulagern. Rund 20 der ca. 30 Governance-Prozesse ließen sich standardisieren und auslagern (siehe Grafik 2).
Beim Kunden verbleiben strategische, inhaltliche Bereiche wie das Beziehungsmanagement, Entscheidungen, Genehmigungen und Eskalation. Er wird so nicht nur von der einschnürenden Last der Routinetätigkeiten befreit. Externe Dienstleister, deren Kerngeschäft eben solche Prozesse sind, können diese durch Standardisierung, Skaleneffekte und Offshore-Vorteile auch kostengünstiger anbieten.
Einen großen Hebel bietet zweifellos die Rechnungsprüfung in Verbindung mit dem Service Level Management sowie dem Vertragsmanagement. Der Governance-Dienstleister (GDL) kann für den Kunden das Management des IT-Service-Providers auf der formalen Ebene übernehmen. Dieser schickt seine Rechnung an den GDL, der sie prüft: Besteht für die abgerechneten Leistungen eine vertragliche Grundlage? Gibt es einen Change Request oder eine Vertragsanpassung? Falls dies nicht der Fall ist, weist er beide Seiten darauf hin und schickt Rechnung als formal nicht gerechtfertigt zurück und unterstützt gegebenenfalls bei der Problemlösung.
Keine Zahlung ohne nachvollziehbare Grundlage
Auf diese Weise ist eine standardisierte Auslagerung von Abläufen effizient umsetzbar: Der GDL bringt Ordnung in den Prozess. Indem er das Prinzip "Keine Zahlung ohne nachvollziehbare Grundlage" konsequent anwendet, sorgt er dafür, dass Demand- und Supply-IT sich um die Versäumnisse der Vergangenheit kümmern und klare Vereinbarungen fixieren bzw. fehlendes Vertragswerk nachziehen. Darüber hinaus steuert er die Kern-Governance-Prozesse anhand von KPI, ein mächtiges Werkzeug zur Erlangung von Transparenz.
Für den Auftraggeber bringt bereits diese rein formale Governance-Auslagerung signifikante "Hard Savings", also unmittelbare Einsparungen. Erfahrungen zeigen: Wird eine kritische Menge von Prozessen zusammengefasst und delegiert, reduzieren sich die Kosten um fast 10 Prozent des jährlichen Outsourcing-Volumens. Da bei großen Konzernen Outsourcing-Deals von 300 Millionen Euro Umfang und mehr keine Seltenheit sind, geht es dabei um erhebliche Größenordnungen.
Soft Savings und weitere Einsparungen
Neben diesen direkten Cash-Einsparungen profitiert der Auftraggeber auch mittelbar durch "Soft Savings". Das liegt zum einen daran, dass, wie erwähnt, der IT-Service-Provider seine Abrechnung zum Teil durch Annahmen steuert - die jedoch oftmals gar die nicht realisiert wurden. Ein Beispiel: Beim Service-Level-Management-Prozess wird festgestellt, dass als Servicequalität eine Verfügbarkeit von 99,85 Prozent vertraglich vereinbart wurde, in der Praxis aber lediglich 99,6 Prozent erbracht wurden. Wird die Rechnung dem angepasst, ergeben sich weitere Kosteneinsparungen.
Ein weiterer mittelbarer Effekt des Governance-Outsourcings betrifft die Arbeitskosten und -zufriedenheit. Die oftmals sehr großen Steuerungsorganisationen bestehen zwar aus qualifiziertem Personal. Ihre Tätigkeiten sind jedoch wenig angesehen und meist unbeliebt - handelt es sich doch um reine Begleitprozesse, die weder produktiv noch innovativ sind.
Der GDL kann sie nicht nur kostengünstiger, z.B. off-shore, anbieten, sondern ermöglicht es zugleich dem Auftraggeber, seine eigenen Mitarbeiter in attraktiveren, kreativeren Tätigkeiten wie Innovationen, Produktentwicklung, Analysen, Prozessoptimierung, der kontinuierlichen Verbesserung der Servicequalität etc. einzusetzen. Damit erzielt der Kunde eine höhere Produktivität und Effektivität seiner Investitionen in den Faktor Arbeit, und die Zufriedenheit steigt.
Standardisierte Governance-Services bringen nicht nur dem Auftraggeber Vorteile. Man mag zwar einwenden: Der IT-Service-Provider erhält - nach obiger Rechnung - rund 10 Prozent weniger; warum sollte er dieses Vorgehen unterstützen? Tatsache ist, dass die geschilderte Ist-Situation, die heute viele Beziehungen prägt, auch ihn unter dem Strich eher belastet.
Die Vorteile neutraler Governance für Dienstleister
Ein IT-Provider verwendet heute einen sehr erheblichen Teil seiner Umsätze aus dem Outsourcing-Vertrag für nicht mittelbar wertstiftende Begleitprozesse wie eben Beschwerden zur Rechnung, Nachforschungen, Datenkonsistenzprüfungen etc., in deren Folge er auch manches eigentlich überflüssiges Meeting abhalten muss. Das heißt: Auch für ihn stellen die vielen nicht nutzenstiftende Tätigkeiten ein Problem dar. Sie kosten ihn Zeit und Geld - und behindern ihn vor allem dabei, sich auf innovative Lösungen für den Kunden zu konzentrieren - also zum strategischen Partner, zum vielzitierten Enabler zu werden, der in modernen Outsourcing-Beziehungen seine eigentliche Legitimation darstellt.
Dies ist der Grund, warum zunehmend auch IT-Provider Unterstützung suchen, um Rechnungen vor Stellung und Service-Level vor Kontrahierung prüfen zu lassen, um die Governance-Prozesse insgesamt zu professionalisieren. Das ist natürlich nur möglich, wenn die Governance von neutraler Seite durchgeführt wird (also nicht von anderen IT-Providern), um Konkurrenzsituationen und Konflikte zu vermeiden und die Glaubwürdigkeit auf Abnehmerseite zu steigern.
Eine Lösung der geschilderten Probleme wird umso drängender, als die Governance künftig immer mehr in den Mittelpunkt rücken wird. Da nach der Infrastruktur auch die Software und ihr Management zunehmend in Form standardisierter Komponenten angeboten wird - etwa beim Cloud Computing - kann von einer fortschreitenden Reduzierung der IT-Fertigungstiefe ausgegangen werden. Mit der zunehmenden Auslagerung wird auch der Anteil der Steuerung zwischen Demand- und Supply-IT immer größer und wichtiger.
Wie Governance in Zukunft funktionieren wird
Die weitere Entwicklung standardisierter Governance-Services dürfte nicht nur den Leistungsverbrauch unter die Lupe nehmen, sondern auch die Stückpreise der einzelnen Leistungen. Beispielsweise könnte ein inhärenter "Benchmark as a Service" als Vertragsbestandteil aufgenommen werden. Doch das ist wieder eine andere Geschichte.
Die weitere Entwicklung standardisierter Governance-Services dürfte nicht nur den Leistungsverbrauch unter die Lupe nehmen, sondern auch die Stückpreise der einzelnen Leistungen. Beispielsweise könnte ein inhärenter "Benchmark as a Service" als Vertragsbestandteil aufgenommen werden. Doch das ist wieder eine andere Geschichte.
Checkliste: Welche Prozesse ausgelagert werden können
ISG hat solche Prozesse identifiziert, die hohen Aufwand verursachen, deren Ressourcen ausgeschöpft und automatisiert werden können sowie außerhalb des Unternehmens betrieben werden können. Dieses Managed Service Prozess-Portfolio ist flexibel und kann auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten werden.
Fett = auslagerungsfähig Quelle: Information Services Group |
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Alexander Müller-Herbst ist Managing Director/Partner der Information Services Group Compass Germany GmbH in Wiesbaden.