Interview

Paradigmenwechsel durch SOA

27.09.2006
SAP-Vorstand Peter Zencke sieht in Service-orientierten Lösungen eine neue Generation an Informationssystemen für Unternehmen. Der Trend sei vergleichbar „mit dem Wechsel von der Mainframe- zur Client-/ Server-Architektur“.

CIO: Herr Dr. Zencke, die einen Softwareanbieter sprechen von der Service-orientierten Architektur, SOA, dagegen nennt SAP sein Konzept Enterprise SOA. Was ist der Unterschied?

Zencke: Wir sprechen vom Gleichen mit unterschiedlicher Betonung. SAP stellt „Enterprise“ voran, da wir herausstellen möchten, dass es uns hier nicht nur um ein technisches, sondern im Wesentlichen um ein betriebswirtschaftliches Konzept geht. Wir beziehen uns Paradigmenwechsel durch SOA auf SOA, da wir uns eindeutig zu den offenen Internetstandards auf der Ebene der technischen Implementierung bekennen.

CIO: Und was genau verbirgt sich nun hinter dem Begriff?

Zencke: Wir verstehen unter „Enterprise SOA“ eine Anwendungsarchitektur, in der betriebswirtschaftliche Leistungen als Enterprise Services mit offenen Standards beschrieben werden. So unterscheidet sich die Art der innerbetrieblichen Prozessintegration nicht mehr von der betriebsübergreifenden. Gleiches gilt für die Integration einer reinen SAP-Anwendung im Vergleich zur Integration von Nicht-SAP-Anwendungen.

CIO: Lässt sich der Bau einer SOA-Lösung mit dem Prinzip „Lego“ vergleichen? Jeder nimmt sich die Komponenten, die er benötigt, und konstruiert damit sein eigenes System. Ist es tatsächlich so simpel?

Zencke: In dem Vergleich mit Lego sehe ich zwei grundsätzliche Fehler. Erstens sieht bei Lego alles gleich aus – die Bausteine haben immer dieselbe Form, in der sie ineinander greifen. In der Betriebswirtschaft sind aber alle Schnittstellen wesentlich voneinander verschieden: Die Integration zur Automatisierung in der Produktion beispielsweise ist verschieden von der elektronischen Zahlungsintegration zur Bank. Um diese zigtausend verschiedenen Dienste aufeinander abzustimmen, liefert SOA ein gemeinsames Konstruktionsprinzip. Zweitens ist SOA keine Anleitung zum kompletten Selbstbau. Vernünftigerweise wird ein Kunde eine betriebswirtschaftliche Lösung zu über 90 Prozent so benutzen, wie sie ist. Dort aber, wo er sich in seinen Prozessen im Wettbewerb differenzieren muss, kommt für ihn SOA ins Spiel. SOA dient vor allem der Erweiterung von Softwarelösungen. Services zeigen, wo neue Funktionen über Standardschnittstellen hinzugefügtwerden können.

CIO: Das hört sich aber immer noch recht kompliziert an.

Zencke: Softwarebau ist komplex. Und die Aufgaben, die nur mit Software zu lösen sind, wachsen beständig. Durch Modularisierung wird vieles dieser Komplexität versteckt. Allerdings um den Preis, dass man die Module nicht mehr einfach umprogrammieren kann. Dort aber, wo unterschiedliche Module miteinander verknüpft werden sollen, wird die Welt einfacher. Dafür müssen wir Hersteller gemeinsame Architekturprinzipien benutzen und so als Industrie ein offenes Prinzip der Wiederverwendung unterstützen.

CIO: In den großen Unternehmen wird das Konstruktionsprinzip, wie Sie es nennen, bereits umgesetzt. Der Mittelstand zögert noch, auf den Zug aufzuspringen. Wie erklären Sie sich das?

Zencke: Mit SOA kommt eine neue Generation von Informationssystemen für Unternehmen. Dieser Generationswechsel ist vergleichbar mit dem Wechsel von der Mainframe- zur Client / Server-Architektur. Solch ein Wechsel findet nicht alle zwei, drei Jahre statt, sondern passiert in langen Wellen in der Größenordnung von etwa 15 Jahren. Um diese Veränderung durchzusetzen, braucht es Zeit. Naturgemäß sind hier eher große Unternehmen die Vorreiter, doch die Entwicklung wird nicht auf sie beschränkt bleiben.

CIO: Wie könnte denn eine Lösung für den Mittelstand aussehen?

Zencke: Große Unternehmen haben Systeme, die über die Jahre gewachsen sind. Diese können nicht einfach angepasst, geschweige denn abgelöst werden. Die Serviceorientierung wurde daher für viele ein Mittel zur Modernisierung ihrer gewachsenen Systemlandschaften, jedoch mit teilweise erheblichem Aufwand. Ein Mittelständler allerdings kann es sich kaum leisten, seine bereits bestehende Lösung eigenständig auf eine Service-Architektur umzustellen. Ihm fehlen dazu schlicht die Ressourcen. Das ist die Aufgabe der professionellen Lösungsanbieter. Für den Mittelstand müssen fertige SOA-Lösungen entwickelt werden.

CIO: „… entwickelt werden“? Gibt es noch keine solchen fertigen Lösungen?

Zencke: Momentan gibt es sie noch nicht. Aber sie werden kommen. Wie große Firmen erwartet dabei auch der Mittelstand, dass diese Lösungen schrittweise eingeführt werden können.

CIO: Aber warum sollte der Mittelständler überhaupt Interesse an einer neuen IT-Architektur haben?

Zencke: Vor allem der Mittelstand steht unter massivem Druck, sich im Wettbewerb zu behaupten und sich in seinen Kernleistungen zu differenzieren. Hinzu kommen immer mehr Anforderungen von außen. Für den international tätigen Mittelstand etwa nehmen die unterschiedlichen Regularien im Bereich Berichtswesen ständig zu. Gleichzeitig wachsen die Vorgaben, die die großen Geschäftspartner von ihren kleineren Partnern als Voraussetzung zur Geschäftsabwicklung einfordern.

CIO: Wie schafft es ein mittleres Unternehmen, diesen verschiedenen Ansprüchen gerecht zu werden?

Zencke: Dauerhaft nur, wenn es permanent seine Abläufe und Systeme einfach anpasssen kann. Hierfür muss IT kostengünstigere Wege finden. Erste mittelgroße Unternehmen setzen dabei heute schon auf SOA.

Das Interview führte Riem Sarsam.
[riem.sarsam@cio.de]