Es regnet und die Fahrgäste drängeln sich unter das Dach der Haltestelle. Doch der schon zehn Minuten überfällige Bus ist nicht zu sehen. Immer mehr Passagiere kommen an und warten. Als das Fahrzeug endlich eintrifft, ist es schon voll. Trotzdem quetschen sich viele Passagiere hinein. Kurz danach erreicht der nächste Bus derselben Linie die Station - und ist fast leer. Er fährt nun hinter dem verspäteten Bus her und wird ebenfalls ausgebremst. Im Lauf des Tages verschiebt sich der Fahrplan so immer weiter nach hinten und die Passagiere sind verärgert - ein häufiges Szenario in deutschen Großstädten.
Damit Busse und Bahnen pünktlicher ihr Ziel erreichen, müssen Verkehrsbetriebe potenzielle Probleme frühzeitig erkennen. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle: Das Wetter zum Beispiel, denn bei Regen nutzen mehr Menschen den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) als bei Sonnenschein. Die Nachfrage schwankt außerdem je nach Wochentag oder Uhrzeit und sie verändert sich auch, wenn eine Großveranstaltung stattfindet oder Straßen gesperrt sind. All diese Faktoren müssen ÖPNV-Anbieter in ihrer Planung berücksichtigen - etwa, um mehr Fahrzeuge einzusetzen oder die Routenplanung zu optimieren.
Datenanalyse verschafft den nötigen Überblick
Zur Berechnung von benötigten Ressourcen können Anbieter auf Daten zurückgreifen, die ihnen schon zur Verfügung stehen. Sie wissen etwa, wie viele Busse, S-Bahnen und Straßenbahnen im Einsatz sind, wie oft sie fahren, wie viel Platz sie jeweils bieten und wie viele Passagiere unterwegs sind. Millionen von Daten werden mittels Fahrgastzählsystemen und Sensoren in den Fahrzeugen bereits erhoben. Die Aufbereitung, Auswertung und Verknüpfung der vielen Informationen sind für Verkehrsbetriebe aber eine enorme Herausforderung.
Noch komplexer wird ein solches Projekt, wenn externe Daten einfließen sollen, die das Fahrgastaufkommen beeinflussen, zum Beispiel zur Verkehrslage, zum Wetter und zu Veranstaltungen. Die umfassende Einbindung und Analyse dieser Daten übernehmen daher oftmals erfahrene Digitalexperten. Sie unterstützen ÖPNV-Anbieter dabei, ihren Betriebsablauf zu optimieren - wovon auch die Passagiere profitieren. So arbeiten bereits die Berliner und Münchner Verkehrsbetriebe BVG und MVG mit Axians zusammen, um Kunden effizienter von A nach B zu bringen.
Busse und Straßen in einer Virtual-Reality-Umgebung
So haben Experten zum Beispiel ein Modell entwickelt, das reale Nahverkehrsdaten in einer Virtual-Reality-Umgebung anzeigt: Darin bewegen sich virtuelle Busse in Echtzeit auf Straßen und stoppen an Haltestellen. Die Fahrzeuge sind grün, gelb oder rot eingefärbt, um ein (mögliches) Problem anzuzeigen. Eingeblendet sind die aktuellen Passagierzahlen im Bus oder an den Haltestellen. Das Modell zeigt außerdem an, wenn Busse durch vorherige Verspätungen kurz hintereinander unterwegs sind.
Durch die Visualisierung ist die aktuelle Lage auf einen Blick zu erkennen - und der Kontrollmitarbeiter kann einem Fahrer mitteilen, dass er kurz warten oder langsamer fahren soll. Mit Hilfe von Datenanalysen ermitteln die Experten auch, wie lange Fahrgäste zum Umsteigen in einer U-Bahn-Station brauchen - je nachdem müssen die Bahnen länger warten oder die Taktzeiten verkürzt werden.
Präzisere Verspätungsvorhersagen
Falls es eine Verspätung gibt, wollen Passagiere wissen, wie lange sie noch warten müssen. Doch die Informationen der Monitore an Bushaltestellen sind oft ungenau. Im Durchschnitt weichen sie um mindestens 80 Sekunden von der Zeit ab, bis der Bus tatsächlich eintrifft. Das liegt daran, dass herkömmliche Systeme einfach statistisch hochrechnen, wie sich eine Verspätung entwickelt.
Die Datenanalysten können dagegen reale Echtzeitdaten einfließen lassen: Wochentag, Uhrzeit, Wetter, die aktuelle Verkehrslage oder vorausfahrende Busse mit Verspätungen. Auch wiederkehrende Hindernisse wie etwa ein Lieferwagen, der regelmäßig den Busfahrstreifen blockiert, werden berücksichtigt. Damit lässt sich die Verspätungsprognose deutlich verbessern, sodass sie häufig nur noch um rund 20 Sekunden von der tatsächlichen Ankunftszeit abweicht.
Interessant sind auch unerwartete Erkenntnisse, die sich aus Datenauswertungen ergeben: So nutzen Berliner offenbar eher den Bus als die Münchner, wenn es regnet. Das erkennen die Experten daran, dass die Türen der ÖPNV-Fahrzeuge in Berlin dann länger offenbleiben, also vermutlich mehr Menschen eingestiegen sind.
Kostenloser ÖPNV dank Datenanalysen
Solche Datenanalysen könnten in Zukunft sogar dafür sorgen, dass der ÖPNV kostenfrei genutzt werden kann, ohne dass Mehrkosten für Städte oder Verkehrsbetriebe entstehen. Zudem würden mehr Menschen motiviert, öffentlich zu fahren statt mit dem Auto, das würde ihre Lebensqualität und die Luft in den Städten verbessern. Die Idee eines Modellprojekts: Die Passagiere bekommen Angebote für ihre unmittelbare Umgebung aufs Smartphone geschickt, zum Beispiel eines Cafés oder Supermarkts. Abhängig davon, wo sie sich gerade befinden, werden sie über Sonderangebote oder Aktionen informiert. Die Firmen zahlen für diese Art der Werbung. Mit dem Erlös könnte der Betrieb der Busse und Bahnen finanziert werden - und so für die Nutzer billiger oder gar kostenlos sein.
Die Apps der Verkehrsbetriebe würden die Standortdaten der Nutzer anonymisiert erheben. Letztere müssten natürlich der Erfassung und Weitergabe ihrer Daten an externe Firmen zustimmen. Wenn die Fahrgäste zusätzlich selbst definieren könnten, wann sie welche Angebote erhalten - etwa nur, wenn sie die App auch geöffnet haben, oder nur, wenn sie an einer bestimmten Bushalltestelle stehen - wäre die Akzeptanz für eine solche Offerte sicherlich hoch.
Passagiere wollen ein besseres Fahrerlebnis
Moderne Datenanalyse und -visualisierung helfen ÖPNV-Anbietern jetzt schon, komplexe Zusammenhänge aufzuzeigen und den Nahverkehrsbetrieb besser zu steuern. Allerdings betrachten sie bislang die Fahrzeugtypen meist getrennt, also nur Busse oder nur U-Bahnen unabhängig voneinander. Dagegen ist jedoch eine übergeordnete Gesamtschau sinnvoll. Stoppt beispielsweise eine volle U-Bahn, aus der viele Passagiere in einen Bus umsteigen, wirkt sich das auf die Weiterfahrt des Busses aus. Er wird voller sein und sich möglicherweise verspäten, weil es länger dauert, bis alle eingestiegen sind. Dieses komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Transportmittel müssen Verkehrsbetriebe für die Optimierung ihrer Abläufe künftig berücksichtigen.
Sie sollten die Daten und Analysen für die einzelnen Fahrzeugtypen aber nicht nur vernetzen, sondern relevante Informationen auch mit ihrem Ökosystem aus Gewerbetreibenden und anderen Mobilitätsanbietern teilen sowie den Kunden zur Verfügung stellen. Das passiert bislang noch zu wenig. Für einen Passagier spielt es keine Rolle, wie ein Verkehrsbetrieb welche Daten auswertet. Er wünscht sich vor allem eine möglichst unterbrechungsfreie Fahrt mit mehreren Verkehrsmitteln. Er nimmt zuerst den Bus zur U-Bahn und steigt später vielleicht auf die Straßenbahn, ein Mietfahrrad oder einen E-Scooter um.
Interessant wäre für ihn deshalb eine Verspätungsprognose über den gesamten Reiseverlauf hinweg. Er könnte dann beispielsweise eine Benachrichtigung erhalten, dass der Bahnhof überfüllt ist, weil zahlreiche Fußballfans auf den Weg ins Stadion sind. Dass der gleich eintreffende Bus nur noch wenige freie Plätze hat oder dass er sein Ziel wahrscheinlich später erreichen wird, weil ein paar Straßen weiter ein Stau ist. Mit solchen Echtzeitinformationen würden ÖPNV-Anbieter Fahrgästen mehr Entscheidungsmöglichkeiten bieten, wie sie ihre Fahrt fortsetzen oder wie sie mögliche Wartezeiten sinnvoll überbrücken - etwa, indem sie in der U-Bahn-Station, in der sie gerade warten, noch einen Kaffee trinken, bis sich die Lage entspannt hat.
Je attraktiver und kundenfreundlicher der ÖPNV sein Angebot gestaltet, desto höher wird die Akzeptanz unter den Nutzern. Wenn die Fahrgastzahlen steigen, lassen sich wiederum die Verkehrs- und Umweltbelastungen in den Städten reduzieren - was für ihre Bewohner eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität bedeutet.