In fast allen industrialisierten Ländern ist der Gesundheitssektor nun nach privatwirtschaftlichen Prinzipien organisiert. Das war nicht immer so. Gesundheit sollte – von den USA einmal abgesehen, der großen Ausnahme – nicht nur den privilegierten Schichten zustehen, sondern allen Bevölkerungsgruppen.
Das hatte Konsequenzen für den Gesundheitsapparat, sowohl in den Kliniken als auch bei den niedergelassenen Ärzten: zum Beispiel bei den Verschreibungsorgien der Hausärzte oder bei der Abrechnung nach Verweildauer in den Krankenhäusern, die deshalb oft künstlich verlängert wurde. Beides ließ die Kosten für Krankenkassen und öffentliche Budgets über Gebühr explodieren.
Eine weitere Konsequenz in fast allen Ländern: Das Gesundheitswesen soll mehr auf reale Umsätze und zum Teil auf Gewinnmaximierung umgestellt werden. Hierbei kann die IT sowohl bei der Apparate- und IT-Ausstattung als auch mit Datenerfassung und -speicherung helfen, die Prozesse zu modernisieren und Kosten zu sparen.
Software für Business Intelligence (BI) stellt einen besonderen Fall dar, weil es sich hier nicht um direkte Effizienzbeiträge, sondern um Planung, Auswertung und Analyse der im Unternehmen auflaufenden Daten handelt. Zunächst müssen die elektronischen Informationen zentral gesammelt werden (zum Beispiel in Datenbanken oder eigens eingerichteten Data Warehouses), um anschließend nach bestimmten Kriterien durchforstet, aufbereitet und mit Empfehlungen versehen zu werden.
Das Dilemma des Gesundheitswesens
Die Aberdeen Group geht davon aus, dass die aktiven Träger des Gesundheitssystems noch immer in dem Spagat zwischen steigenden internen Kosten und sinkenden Zuschüssen von außen befangen sind. Die Anwendung von Business-Intelligence-Technologien könne jedoch eine Roadmap aufzeigen, auf der Produktivität und Gewinne steigen sowie die Kosten reduziert werden können.
Das Gesundheitswesen unterscheidet sich laut Aberdeen Group allerdings grundlegend von anderen Zweigen der Volkswirtschaft: Patienten und gesellschaftliche Gruppen erwarten die neuesten Diagnose- und Behandlungsmethoden, sind aber nicht bereit, dafür direkt zu bezahlen. In den meisten industrialisierten Ländern wird das Gesundheitswesen dagegen indirekt über Krankenkassenbeiträge und Staatszuschüsse finanziert. Die vielen unterschiedlichen Geldgeber versuchen ihre jeweiligen Interessen durchzusetzen und setzen so die Krankenhäuser und niedergelassenen Ärzte einem kontinuierlichen Druck aus.
Diese Ausgangssituation wird in ihrer Unübersichtlichkeit begleitet von ebenfalls äußerst komplexen Informationssystemen, wie sie in und zwischen den Institutionen des Gesundheitswesens verwendet werden. Informationen, die helfen könnten, mehr Qualität und effektive Ausgabenstrukturen in die Behandlung der Patienten zu bringen, sind über inkompatible Anwendungen auf diversen Server-Silos verstreut oder – sehr häufig – nur auf Papier vorhanden. Insofern ist das Gesundheitswesen eigentlich ein Paradefall für die Anwendung von software-gestützter Business Intelligence, meint die Aberdeen Group.
Bei einer Befragung von Krankenhäusern wurden besonders erfolgreiche mit jenen verglichen, die durchschnittliche Geschäftserfolge aufweisen. Als besonders erfolgreich („Best-in-Class Performance") gelten für Aberdeen jene Organisationen, die einen Gewinn von 9 Prozent abwerfen, gegenüber dem Durchschnitt im Gesundheitswesen von 1 Prozent. Als zweites Kriterium gilt, wie schnell ihre Einnahmen beglichen werden: 36 Tage gegenüber durchschnittlich 46 Tagen. Drittes Kriterium ist die Fluktuation bei Krankenschwestern von 10 versus 14 Prozent.
Um Business Intelligence zur Unterstützung des Geschäftserfolgs im medizinischen Bereich einzusetzen, empfiehlt die Aberdeen Group eine Kombination von strategischen Aktionen, Verbesserung des Organisationsgefüges und Einführung besonderer Technologien wie elektronische Datenerfassung und eben Business Intelligence. Krankenhäuser sollten Wert auf die Qualifikationen ihrer Mitarbeiter legen, aber auch die realen Personalkosten ermitteln, wozu auch das effektive Verhältnis von Mitarbeitern zu Patienten gezählt wird. Außerdem sollen die Behandlungskosten pro Patient auf den Prüfstand gestellt werden.
Noch mehr Industrialisierung für die Healthcare-Branche
Zur Auswertung der Umfrageergebnisse verwendet Aberdeen das PACE-Modell:
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Pressures: Steigende Kosten im Gesundheitswesen
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Actions: Personalkosten senken; Behandlungskosten senken; Qualifikationen und Produktivität des Personals erhöhen; elektronische Datensysteme einführen
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Capabilities: Mitarbeiter-Qualifikationen sichtbar machen; Arbeitsverträge analysieren; Aufgaben des Personals definieren; Ratio Personal-Patienten festlegen; Behandlungskosten ermitteln; Supply Chain und Finanzverwaltung integrieren; Ärzte in Verhandlungen mit Lieferanten einbeziehen
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Enablers: Business-Intelligence-Lösungen auf Abteilungsebene einführen; Daten bereinigen und in elektronische Systeme integrieren; BI an den Desktops der Mitarbeiter einführen
Die führenden Unternehmen konzentrieren sich, so das Kernergebnis der Studie, vor allem auf die Personal- und Behandlungskosten pro Patient. Ihr Kostenbewusstsein sei deutlich höher. Dies zeigt sich auch an daran, dass sie Business Intelligence zentraler (93 Prozent) als ihre Konkurrenten (50 Prozent) verwalten.
Zentrales BI-Management erlaubt die Konzentration auf besonders wichtige Aufgaben, sodass eine Verzettelung in verschiedene Projekte vermieden werden kann. Außerdem kann so die Privatsphäre der Patienten besser geschützt werden, so wie es in dem Health Insurance Portability and Accountability Act (HIPAA) bereits 1996 festgelegt wurde.
Die Studie wurde zwar auf der Basis einer Erhebung in den USA erstellt, zeigt aber deutlich den Weg, den das Gesundheitswesen wohl auch in Deutschland weiter gehen wird: den einer fortschreitenden Industrialisierung. Dies zeigt sich vor allem an der intensiveren Kostenbetrachtung, der auch Ärzte, Krankenschwestern, Laborpersonal etc. unterzogen werden.
Informationstechnologie und BI können zu den geplanten Kosteneinsparungen einen Beitrag leisten – was letztlich einem zweischneidigen Schwert gleich kommt. Denn wo ist die Grenze zwischen einer Personalbetrachtung rein unter ökonomischen Betrachtungen und dem Patienteninteresse an einer angemessenen und umfangreichen Behandlung?