Die Digitalisierung führt zu neuen Marktstrukturen, insbesondere sogenannten Plattform-Märkten. Bei einem Plattform-Markt handelt es sich um eine zweiseitige Marktbeziehung (two sided markets): Eine Plattform vermittelt zwischen Kunden und Lieferanten und lässt sich von beiden Seiten dafür bezahlen. Für das Plattform-Unternehmen sind also beide Seiten Kunden. Basis für Plattformen können materielle Produkte, Dienstleistungen, Technologien oder ein Markenname sein. Die Mehrzahl der teuersten Unternehmen der Welt sind mittlerweile Plattform-Unternehmen. Dazu gehören Google, Amazon, eBay und Apple.
Beispiel Kreditkartenunternehmen
Ein einfaches bekanntes Beispiel ist die Plattform eines Kreditkartenunternehmens. Die Konsumenten müssen für den Besitz einer Kreditkarte einen Betrag an das Kreditkarteninstitut bezahlen. Gleichzeitig verdient dieses bei jedem Einkaufsvorgang noch einmal bei den angeschlossenen Geschäften. Die Macht einer solchen Plattform entsteht durch die Anzahl der Endkunden und die Anzahl der Lieferanten, kurz durch das Ökosystem dieser Plattform.
Ein Plattform-Unternehmen versucht, beide Seiten möglichst groß zu machen, also möglichst viele Kunden auf beiden Seiten zu haben. Es muss nicht immer Geld sein, womit bezahlt wird, es können auch Daten und Kundenbeziehungen sein, aber am Ende bezahlen immer beide Seiten.
IBM und Microsoft wechselten die Rollen
Nach diesem Prinzip sehen wir aktuell regelrechte Kämpfe in den Märkten. Unternehmen, die zunächst den Markt durch ein materielles Produkt beherrschten, zu dem Partnerunternehmen komplementäre Produkte anboten, merken plötzlich, dass ein Partner sie abgehängt hat und die Rollen gewechselt haben. Den Kunden ist das Partnerprodukt wichtiger und das ursprünglich dominante Unternehmen ist zum Zulieferer geworden.
Das haben wir in der IT-Branche bereits mehrmals erlebt. IBM war einmal mit Abstand der größte Hardwarehersteller der Welt. Dann kam der PC auf und IBM hat auch PCs produziert. Man hatte aber kein Betriebssystem und bezog von Bill Gates das MS Dos. IBM hatte gedacht, dass es mit dem Hardware-System die Plattform beherrsche und Microsoft ein Zulieferer sei.
Dieses Bild hat sich dann gedreht. Microsoft war mit seinem Betriebssystem Windows für alle Hardware verfügbar, und damit stand das Betriebssystem von Microsoft als Plattform im Mittelpunkt und die Hardwarehersteller wurden quasi zu Zulieferern. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie selbst Großunternehmen von einem Start-up Unternehmen abgehängt werden können.
Das Auto-Businessmodell von Google und Apple
Gegenwärtig kann auf dem Automobilmarkt der Kampf um die Plattform-Vorherrschaft beobachten. Im Augenblick steht das materielle Auto im Vordergrund. Dieses bildet die Plattform. Die Hersteller haben ihre Komponentenzulieferer, wozu auch Lieferanten für Infotainment wie Navigationssysteme, Telefon oder Audio gehören. Mittlerweile verändert sich jedoch der Markt. Das materielle Produkt steht nicht mehr so stark im Vordergrund.
Große IT-Unternehmen wie Google und Apple konzentrieren ihr Auto-Businessmodell nicht auf das materielle Produkt, sondern auf die Zeit, die Personen in einem Auto verbringen. Man kann in dieser Zeit neue Dienstleistungen an die Personen verkaufen - sei es, dass es Informationsdienstleistungen sind, sei es aber auch, dass es Geschäftsbeziehungen sind, die mit dem Kontext oder der geografischen Position des Fahrers verbunden sind.
Auto-Betriebssysteme bilden die Plattform
Es geht dabei um Fragen wie: Wo ist die nächste Ladestation, die nächste Tankstelle, das nächste Hotel, das nächste Restaurant? Der Markt ändert sich dann von der Gewichtung des materiellen Produktes hin zu einem eher dienstleistungsorientierten Ansatz.
Das haben die Autohersteller, insbesondere die drei Premiummarken in Deutschland, BMW, Daimler und Audi, erkannt. Sie haben im Herbst 2015 den Milliardendeal abgeschlossen, von Nokia das Kartensystem 'Here' zu übernehmen, das auch mit Blick auf fahrerlose Autos eine wichtige Rolle spielt. Aber im Auto der Zukunft ist nicht nur das Kartensystem wichtig, sondern das gesamte Betriebssystem, das alle Funktionen des Infotainments unterstützt.
Es ist bekannt, dass sowohl Apple als auch Google an der Entwicklung solcher Betriebssysteme für Autos arbeiten. Dieses kann als Versuch gelten, diese Plattform zu beherrschen, so dass am Ende die Plattform nicht mehr das Hardwareprodukt Auto ist, sondern das Betriebssystem für Infotainment und in der Folge Autohersteller zu Zulieferern werden. Der Kunde entscheidet sich dann zunächst für das Betriebssystem und erst danach für ein dazu passendes Auto.
Uber macht den nächsten Entwicklungsschritt
Eine weitere Entwicklung bei Auto-Plattformen geht noch einen Schritt darüber hinaus. Das Plattform-Mobilitätsunternehmen Uber besitzt keine Fabrik und keine Autos, sondern vermittelt nur zwischen Fahrgästen und Autobetreibern. Autobetreiber können dabei auch Privatpersonen sein. Wer eine Entfernung überbrücken möchte, nimmt lediglich noch einen Dienst in Anspruch. Das Eigentum am Fahrzeug spielt für den Fahrgast keine Rolle mehr.
Die digitale Transformation ist immer dann besonders stark, wenn es sich um Produkte handelt, die wenig komplex und mehr informationsnah sind und wenn sie auf den Konsumentenmarkt abzielen. Im B2B-Markt ist diese Entwicklung noch nicht ganz so dramatisch, aber genauso unaufhaltsam.
Neue Marktstrukturen in der Beratung
Aber wir als Beratungsunternehmen Scheer denken darüber nach, wie sich unser Markt verändern wird, welche Markteilnehmer sich in Richtung eines Plattformansatzes entwickeln werden. Heute arbeiten wir mit Kunden durch Projektteams zusammen und beziehen Partner und Freelancer ein. Dieses wollen wir zu einem Plattformkonzept weiterentwickeln.
Zwar behalten wir weiterhin Berater, entwickeln Methoden und Tools und bauen die Kommunikation aus. Aber wir werden die Beziehung sowohl zu den Kunden als auch zu den Zulieferern verstärken. Das Partnermanagement bekommt dann stärkeres Gewicht. Das heißt, dass am Ende das gesamte Ökosystem den Wert des Unternehmens ausmacht, also nicht nur die Kundenbeziehungen, sondern auch das Potenzial, das Partner und Freelancer bieten.
Plattform für Beratung schaffen
Entscheidend wird sein, wie stark dieses Ökosystem ist und in welcher Qualität und Quantität digitalisierte Methoden und digitalisierte Tools zur Verfügung stehen, um dieses Ökosystem zu managen. Unser Ziel ist es, uns als Beratungsplattform zu etablieren, die auch andere Unternehmen benutzen.
Die Rollen können dabei unterschiedlich sein: Wir können mit unserem Ökosystem Partner bei einem großen IT-Dienstleister oder bei einem internationalen Consulting Unternehmen sein. Es ergibt sich jedoch auch, dass große IT-Dienstleister bei uns in einem großen internationalen Projekt die Partnerrolle einnehmen. Die Ökosysteme vernetzen sich also untereinander und damit entstehen auch im Beratungsbereich neue Marktstrukturen.
Die Entscheidung - Plattform oder nur Lieferant
Ich messe Digitalisierung und Plattform-Unternehmen einen hohen Stellenwert bei. Deshalb empfehle ich gerade mittelständischen Unternehmen den kritischen Blick auf die eigene Positionierung in der sich entwickelnden Welt der Plattformen. Die Entscheidung darüber, ob man selbst eine Plattform darstellen möchte, oder sich mit der Rolle des Zulieferers begnügt, wird nachhaltig das Businessmodell und auch die Wachstumsmöglichkeiten im Markt bestimmen.
Der Text basiert auf dem Keynote-Vortrag von Professor August-Wilhelm Scheer, den er im Oktober 2015 anlässlich des Digital World Congress der Scheer GmbH in Sinsheim gehalten hat.