Erst vor kurzem hatte die VW-Tochter angekündigt, in den nächsten fünf Jahren über sechs Milliarden Euro in Elektromobilität zu investieren. Nun gab Lutz Meschke, bei Porsche für Finanzen und IT verantwortlich, bekannt, dass der Konzern sein IT-Budget um 150 Millionen auf 450 Millionen Euro im Jahr deutlich aufstocken wird. Die Hälfte davon soll in rein digitale Anwendungen fließen.
Mit Themen wie Connected Cars und Elektromobilität verschwänden die Ressortgrenzen, es werde gemischte Teams mit Programmierern als Mitglieder geben, um Lösungen schneller umzusetzen, erklärte Meschke: "Die IT übernimmt komplett neue Funktionen und ist jetzt ganz nah an der Fahrzeugentwicklung dran."
Porsche-Fahrzeuge als Teil der Blockchain
Ein Beispiel, dass Porsche mit Vollgas in Sachen Digitalisierung unterwegs ist, ist das Thema Blockchain. So verweisen die Zuffenhausener stolz darauf, dass sie als erster Autohersteller die dezentrale Speichertechnologie in Zusammenarbeit mit dem Berliner Startup Xain in einem Auto implementiert und erfolgreich ausprobiert haben. Dabei habe sich gezeigt, dass das Ver- und Entriegeln per App über die auf dem eXpandable AI Network basierte Blockchain nicht nur sicherer und flexibler vonstattengehe, sondern mit 1,6 Sekunden auch noch sechs Mal schneller als über einen Server.
Außerdem könnten auch Zugangsberechtigungen via Blockchain digital sicher verteilt und jederzeit vom Fahrzeugbesitzer nachverfolgt werden, so Projektleiter Oliver Döring. So sei es etwa möglich, dem DHL-Boten für die Zustellung eines Pakets im Kofferraum eine zeitlich befristete Zutrittsberechtigung zum Fahrzeug zu vergeben.
Porsche sieht aber auch Potenzial in den auf Basis der Blockchain möglichen Smart Contracts - also automatisierten Verträgen, die Transaktionen auslösen, wenn vorher definierte Voraussetzungen eintreten. Ein potenzielles Anwendungsbeispiel ist etwa das komfortable, bargeldlose Bezahlen an Elektroladestationen. Getestet wurde das Feature bereits in der Prototypenphase an einem Porsche Panamera. An den Start soll es zusammen mit dem neuen Elektroflitzer Mission-E gehen.
Ein weiteres Einsatzgebiet der Technologie sehen die Zuffenhausener etwa beim autonomen Fahren in der Kommunikation zwischen den Fahrzeugen oder in der Absicherung des zur Verbesserung der Fahrfunktionen wichtigen Datenloggings.
Vorausschauende Wartung mit dem Sound Detective
Im Rahmen des Projekts "Sound Detective" arbeitet das Porsche Digital Lab in Berlin auch am Thema Künstliche Intelligenz und Predictive Maintenance in der Produktion. So erkennt das zusammen mit dem Startup iNDTact entwickelte System Geräusche und Vibrationen und soll so in der Lage sein, frühzeitig Fehler von Maschinen durch Abweichung vom Normalverhalten zu ermitteln.
Wie Matthias auf der Mauer, Lab Scientist vom Porsche Digital Lab, erklärte, habe man das Ganze zunächst als Proof of Concept an einer Kaffeemaschine getestet. Als Hardware wurden ein einfaches USB-Mikrofon und ein Rasberry Pi eingesetzt. Die KI selbst stammte von Google und lief auf einer Grafikkarte. Auf dieser Basis wurden dann zum Anlernen insgesamt 200 Geräuschmuster bei der Zubereitung von elf Kaffeesorten extrahiert. Diese lassen sich auch auf andere Kaffeemaschinen übertragen.
Laut von der Mauer soll der Sound Detective in der Porsche-Fertigung zunächst in einem relativ einfachen, aber wichtigen Szenario zum Einsatz kommen, nämlich zum Überprüfen des Status von Elektroniksteckverbindungen. Das Problem: Die Montage erfolgt häufig über Kopf und in einer lauten Umgebung, so dass die Arbeiter das typische Klick-Geräusch beim Einrasten der Verbindung nicht hören. Als Resultat blieben manche Autos dann unnötig liegen, wenn sich die Steckverbindungen im späteren Betrieb lösten.
Um hier Abhilfe zu schaffen, erfasst ein spezieller iNDTact-Sensor am Handgelenk des Monteurs die Geräusche per Körperschall. Diese werden dann via KI interpretiert. Bei Erfolg erhält der Mitarbeiter auf einem Spezialarmband als Feedback ein optisches Signal und eine Vibration.
Weitere Anwendungsgebiete bei Porsche für die geräuschbasierte Analyse sind auf der Mauer zufolge etwa Predictive Maintenance bei geleasten Industrierobotern, bei denen Porsche aus rechtlichen Gründen nicht auf herkömmliche Sensordaten zugreifen kann, oder die Qualitätssicherung von Zulieferteilen.
Verknüpfung zwischen Offline- und Online-Welt
Auch im Vertrieb und Marketing will Porsche auf die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung nicht verzichten. "Händler sind nach wie vor wichtig", betonte Vertriebsvorstand Detlev von Platen. Allerdings verändere sich die Art und Weise, wie sich Kunden informieren und mit dem Hersteller in Kontakt treten. "Wir wollen die Digitalisierung nutzen, um Prozesse zu vereinfachen, die nicht so prickelnd für den Kunden sind, wie zum Beispiel die Finanzierung", so von Platen: "Der Kunde will Erlebnisse und nicht das Gefühl, er geht zum Zahnarzt."
Um seinen Kunden online auf Basis der weltweit gültigen Porsche ID einen zentralen Zugang zu allen Angeboten und Services zu bieten, hat das Unternehmen vor einem Jahr das Kundenportal My Porsche eingeführt. Dort kann der Kunde beispielsweise Service-Termine vereinbaren oder Leasing- und Finanzierungsangebote einsehen. "Wir wollen die Kontaktaufnahme so einfach wie möglich gestalten", erklärte von Platen.
Um den Besucher der Website zur richtigen Zeit die richtigen Informationen zu zeigen, setzt Porsche dabei auf Programmatic Advertising. Konkret bedeutet dies, dass der Gast je nach Phase (Fan, Kaufinteressent oder Besitzer) eine angepasste Website angezeigt bekommt - mit Details, die bis hin zur richtigen Wagenfarbe des Porsche in der digitalen Fahrzeuggarage reichen.
Parallel dazu arbeitet Porsche daran, mit neuen Formaten auch den Besuch bei einem der mehr als 800 Händler stärker zu einem Erlebnis zu machen. So helfen etwa digitale Bilderrahmen mit 4k-Auflösung, die ausgestellten Fahrzeuge besser in Szene zu setzen.
Ist - wie etwa bei "Porsche auf Sylt" - kein Platz für die gesamte Modellpalette, müssen maßstabsgetreue Modelle und eine Augmented-Reality-App (AR) ausreichen: Interessenten können damit über ein iPad ihr Wunschauto konfigurieren und das Ergebnis auf einen Bildschirm übertragen.
Ebenfalls auf AR setzt Porsche, um Interessenten die Wartezeit auf den Elektroflitzer Mission E zu verkürzen, der Ende 2019 an den Start gehen soll. So verrät die zusammen mit Google erstellte und auf AR-Core basierende Android-App "Mission E Augmented Reality" jetzt schon Details von Exterieur und Interieur - an der Konzeptstudie Mission E selbst oder am skalierten Modell. Außerdem ist es möglich, per Animation die Aerodynamik des Sportwagens darzustellen und einen Einblick in die komplexen Antriebs- und Batterietechnologien zu geben.
Daneben setzt Porsche auch auf die vielfältigen Möglichkeiten von Virtual Reality (VR). Zum Beispiel können sich Kaufinteressenten virtuell hinter das Steuer des neuen Porsche Panamera 4 E-Hybrid setzen. VR kommt im Zusammenhang mit dem Modell aber auch im After-Sales-Bereich zum Einsatz, um die Mitarbeiter mit den wesentlichen Komponenten des Hochvoltsystems vertraut zu machen und den Ablauf der Reparatur einer Hochvoltbatterie zu zeigen. Das VR-Training bildet dabei die Grundlage für den späteren Eingriff, soll aber nicht die Schulung an den Fahrzeugen selbst ersetzen.
Auf der Suche nach neuen Geschäftsmodellen
Die Zuffenhausener nutzen die Möglichkeiten der Digitalisierung aber auch, um verschiedene neue Geschäftsmodelle auszuprobieren. "2027 kommt autonomes Fahren, spätestens dann brauchen wir ein neues Geschäftsmodell, um die Rendite zu halten", erklärte Finanz- und IT-Chef Mesche. Aus seiner Sicht passe das Thema nicht unbedingt zum Konzept eines Sportwagens, dennoch könne er sich Szenarien wie teilautonomes Fahren oder das Aufzeigen der Ideallinie auf einer Rennstrecke, eine Art "Mark-Webber-Funktion" - gegen Gebühr - auch für einen Porsche vorstellen. Einen Porsche werde es - soweit es die Regularien zulassen - aber immer mit Lenkrad geben, so Meschke.
Eine andere Möglichkeit für neue Umsatzquellen sind aus Sicht von Porsche "Functions on Demand", also gegen Geld zuschaltbare Services wie dynamisches Laserlicht, Zusatz-PS für die Rennstrecke oder ein spezielle Fahrwerksabstimmung. Dazu muss die Hardware bereits eingebaut sein und wird dann per Software-Update aktiviert. "Es geht darum, das Fahrzeug frisch zu halten", erklärte Meschke dazu: "Früher dauerte ein Produktzyklus sieben Jahre, heute ist das zu lang."
All you can drive
In Atlanta experimentiert die VW-Tochter mit "Porsche Passport" mit einer Art Flatrate. Dabei können Interessenten für 3000 Dollar monatlich frei zwischen verschiedenen Porsche-Modellen wählen und das Fahrzeug nach Lust und Laune wechseln. Tatsächlich stoße das Programm auf extrem hohes Interesse, erklärte Vertriebsvorstand von Platen. Außerdem finde man damit neue Interessenten, die bisher keinen Porsche fuhren und mit 45 Jahren auch zehn Jahre jünger seien als die Durchschnittskunden von Porsche.
Nach drei Monaten Testphase ist allerdings noch nicht sicher, ob sich das Modell für Porsche rechnet. Ziehe man den Fuhrpark und diverse Aufschlagsfaktoren wie Logistik, Versicherung und Steuer ab, bleibe unter dem Strich wenig hängen, so von Platen. Dennoch werde Porsche solche Geschäftsmodelle weiterhin ausprobieren, um zu schauen, wie sie funktionieren.
"Wir müssen uns durch Exklusivität differenzieren, ein Fast-Follower Ansatz funktioniert in diesen Bereichen nicht", stimmte ihm Vorstandskollege Meschke zu. Letztendlich sei Digitalisierung kein Selbstzweck, sondern bringe Mehrwert in Richtung Qualitätsverbesserung und Kundenzufriedenheit. "Wir dürfen uns nicht abkoppeln, sonst landen wir selbst im Museum", so sein Fazit.