Webasto war als erstes deutsches Unternehmen von der Coronakrise betroffen. CIO Thomas Mannmeusel brachte 10.000 Mitarbeiter ins mobile Office, drückte IT-Kosten und arbeitete zugleich weiter an der Prozessoptimierung.
"Die letzten Monate waren für uns der perfekte Sturm," sagt Thomas Mannmeusel, Group CIO beim AutomobilzuliefererWebasto. Die Folgen des Abgasskandals, hohe Ausgaben der Autobauer für alternative Antriebe und sinkende Absatzzahlen in Schlüsselmärkten hatten schon länger für Katerstimmung in der Branche gesorgt. Eine zusätzliche Herausforderung für das Unternehmen brachte der 27. Januar 2020: Am Hauptsitz in Stockdorf bei München wurde der erste Covid-19-Krankheitsfall in Deutschland festgestellt.
In zwei Tagen ins mobile Office
Innerhalb von zwei Tagen arbeitete die gesamte Belegschaft der Unternehmenszentrale - mehr als 1.000 Mitarbeiter - von zuhause. Nach einer zweiwöchigen Schließzeit konnten die Beschäftigten am 12. Februar in die Verwaltung und die Entwicklung zurückkehren. Am 4. März gab Webasto bekannt, alle neun Corona-Patienten seien genesen und aus den Krankenhäusern entlassen. In den folgenden Tagen traf die Pandemie Deutschland in der Breite.
Die Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft wurden spürbar. Webasto-Kunden schlossen ihre Werke, Lieferketten wurden unterbrochen. Weil das Unternehmen größtenteils just-in-time produziert, mussten nun auch viele der weltweit mehr als 30 Werke schließen, darunter elf in China.
Als erste dringende Maßnahme rüstete Mannmeusel die Belegschaft für die Arbeit im mobilen Office aus. Dabei ging es zunächst um ganz grundlegende Fragen, erinnert sich der CIO: "Hat jeder Mitarbeiter einen Laptop? Haben alle ihre Netzteile mit nach Hause genommen?"
Mit Webex hatte Webasto zwar bereits eine Collaboration-Lösung im Einsatz. Bei der plötzlich massiv gestiegenen Auslastung kam es jedoch zeitweise zu Engpässen. Mannmeusel plante ursprünglich, innerhalb von zwei Jahren Microsoft Teams einzuführen. Angesichts der Krise beschloss er, das Tool sofort als Backup-System einzusetzen. Binnen zwei Tagen richtete sein Team die Microsoft-Lösung für mehr als 10.000 internationale Mitarbeiter im mobilen Office ein.
Die Top-CIOs der Automobil-Branche
Sven Lorenz Der langjährige Porsche-CIO Sven Lorenz ist Konzern-CPO bei Volkswagen. Bei der Kür zum CIO des Jahres 2006 schaffte es Sven Lorenz auf den zweiten Platz.
Falko Morlock Seit 1. September 2023 ist Falko Morlock CIO des schwäbischen Maschinen- und Anlagenbauers Dürr AG.
Alexander Buresch Alexander Buresch ist seit Januar 2020 CIO des bayerischen Automobilkonzerns. Ein Foto des Managers hat BMW bislang noch nicht veröffentlicht. Der Wirtschaftswissenschaftler ist seit mehr als 20 Jahren für BMW tätig und war zuletzt Vice President Corporate Strategy and Planning.
Hauke Stars Seit Februar 2022 ist Hauke Stars IT-Vorständin und Chief Information Officer bei Volkswagen.
Katrin Lehmann Als CIO der Mercedes-Benz Group AG und der Mercedes-Benz AG verantwortet Katrin Lehmann die globale IT für alle Geschäftsbereiche, Marken und Märkte und berichtet direkt an den CEO.
Jürgen Sturm Jürgen Sturm ist seit Januar 2015 Informatikleiter beim Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen. Sturm ist promovierter Ingenieur und kommt von der BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH. Sturm war vor seiner BSH-Zeit zwischen 1999 und 2003 Bereichsleiter Organisation, Prozesse und Informationssysteme bei der Grundig AG.
Volker Schwarz Der langjährige Rheinmetall-CIO Volker Schwarz ist seit Januar 2024 CIO beim Automobilzulieferer GKN Automotive.
Frank Loydl CIO der Audi AG und damit Nachfolger des bisherigen CIO Mattias Ulbrich ist seit Februar 2018 Frank Loydl. Seit 2016 verantwortete er im Konzern die Software-Entwicklung. Ab 2009 war er bei T-Systems das Delivery Management für den Kunden Volkswagen AG zuständig. Diese Aufgabe übernahm Loydl 2013 schließlich direkt für den Automobilkonzern.
Martin Hofmann Martin Hofmann tritt zum 1. Mai 2023 seinen neuen Posten als CTO und CIO bei Volta Trucks an. Zuvor war er drei Jahre als Senior Vice President bei Salesforce und über 19 Jahre bei Volkswagen, dort zuletzt als Group CIO.
Alexander Eisl Der ehemalige MAN-Manager Alexander Eisl hat am 1. Oktober 2022 die Nachfolge von Skoda-CIO Klaus Blüm angetreten, der zu VW gewechselt ist.
Michael Hilzinger Michael Hilzinger ist seit Juli 2019 CIO beim Bremsen-Spezialisten Knorr-Bremse in München. Er war zuvor Group CIO beim Stahlhändler Klöckner in Duisburg.
Petra Clemens Seit Oktober 2024 leitet Petra Clemens die IT von Cariad, der Software-Tochter von Volkswagen. Sie kommt vom Eisenbahnlogistiker VTG.
Markus Bentele Markus Bentele ist seit Januar 2017 Vice President Information Technology (VP)/Group CIO beim Automobilzulieferer Mahle International GmbH in Stuttgart. Zuvor war Bentele Corporate CIO der Rheinmetall AG.
Christian Ley Christian Ley leitet seit 2006 den Bereich Informationssysteme Brose Gruppe. In dieser Funktion verantwortet er den Ausbau der IT-Lösungen im Kontext der Unternehmensstrategie. Ley begann 1995 als Diplom Betriebswirt (FH) als Trainee in der Brose Gruppe und wechselte anschließend als DV-Koordinator in die zentrale Anwendungsentwicklung. Dort übernahm er 1999 die Teamleitung für PPS- und QM-Systeme und anschließend die Leitung der Zentralabteilung „logistische Anwendungssysteme“. In dieser Funktion war er bis 2006 weltweit für zahlreiche SAP-Implementierungsprojekte verantwortlich.
André Wehner Am 1. Juni 2021 hat André Wehner den CIO-Posten bei MAN Truck & Bus übernommen. Als IT-Chef verantwortet Wehner die weltweite IT des Nutzfahrzeugherstellers. Dazu zählen auch Produktionswerke, Logistikzentren und die eigenen Landesvertriebsgesellschaften. Sein Vorgänger Stephan Fingerling geht als Geschäftsführer zur Group IT Services GmbH, der IT-Tochter der Volkswagen Gruppe. Vor seinem Wechsel zum Münchner Nutzfahrzeughersteller war Wehner CDO bei Skoda Auto. In der neu geschaffenen Stelle kümmerte er sich dort seit 2016 um Unternehmensentwicklung und Digitalisierung.
Maik Krüger Am 1. April trat Maik Krüger die Position des CIO bei Dräxlmaier an. Der studierte Wirtschaftsinformatiker war jahrelang in führenden IT-Positionen bei BMW tätig.
Sebastian Stoll Seit 1. Juni 2021 ist Sebastian Stoll CIO und Group Vice President IT der FEV Gruppe. Er hat den Posten von Andreas Engels übernommen, der beim Kölner Compliance-Startup Kerberos eingestiegen ist. Stoll berichtet an CFO Jürgen Koopsingraven. Neben der Einführung von SAP S/4 Hana will Stoll die IT in die Cloud verlagern und die Security verbessern.
Saskia Kohlhaas Saskia Kohlhaas ist seit November 2021 Senior Vice President Information Technology beim Engineering-Dienstleister der Automobilindustrie IAV.
Thomas Külpp Seit August 2017 ist Thomas Külpp neuer CIO beim Autobauer Opel Automobile GmbH in Rüsselsheim. Zuvor war er bei Opel Director Sales & Marketing. Külpp hat Maschinenbau an der University of Applied Sciences in Wiesbaden studiert und als Diplom-Ingenieur abgeschlossen. Er arbeitet bereits seit 27 Jahren in verschiedenen Positionen bei Opel.
Marcus Claesson Marcus Claesson ist CIO bei Daimler Truck. Er berichtet an den Vorstand für Finanzen und Controlling, Jochen Goetz. Darüber hinaus verantwortet Marcus Claesson die Connectivity Services innerhalb der Daimler Truck AG. Er ist seit 2017 im Unternehmen. Zuvor war Claesson CIO bei Electrolux AB.
Uwe Kühne Uwe Kühne ist seit 2017 CIO bei GF Casting Solutions, einer Division des Georg Fischer Konzerns. Er fing 2004 bei der Georg Fischer Automobilguss GmbH als Systemanalytiker an und war zuletzt bis Ende 2016 als Head IT Operational Services bei GF Automotive für die Erbringung zentraler IT Infrastrukturleistungen verantwortlich. Auf seiner Agenda stehen die strategische Neuausrichtung der zentralen IT-Organisation, die Vorbereitung auf SAP S4/HANA, die Verlagerung zentraler IT Dienste in die Cloud sowie die Verbindung zwischen klassischer IT und Automations-Bereichen („i4.0“). GF Casting Solutions ist eine von drei Divisionen der Georg Fischer AG, ein börsennotiertes Unternehmen mit Hauptsitz in Schaffhausen, Schweiz. Das 1802 gegründete Industrieunternehmen betreibt in 33 Ländern 131 Gesellschaften, davon 51 Produktionsstätten.
Felix Willing Felix Willing ist seit Januar 2018 Leiter des Bereichs Information Management beim Automobilzulieferer Hella GmbH & Co. KGaA im nordrhein-westfälischen Lippstadt. In dieser Position fungiert er zugleich als CIO für den globalen Hella Konzern. Zuletzt war er CIO beim Windturbinenbauer Nordex Acciona Windpower AG in Hamburg.
Bernd Süßmann Bernd Süßmann ist seit September 2018 Head of Corporate IT bei der SAS Automotive in Karlsruhe, einem Joint Venture zwischen Continental and Faurecia. Er trägt dort die Gesamtverantwortung für die IT, führt dabei 80 Mitarbeiter und berichtet an den CFO des Unternehmens, Ekkehard Klautke.
Bernhard Pluhatsch Bernhard Pluhatsch ist seit Oktober 2018 neuer Head of IT, Transmission Systems bei Magna Powertrain Transmission Systems (MPT TS) in Untergruppenbach bei Heilbronn. Er kommt von der Nürnberger Leoni AG, wo er von 2002 bis 2018 Vice President IT Infrastruktur war.
Michael Simon Michael Simon (56) ist seit 1. Juli 2019 der Leiter Zentral IT und CIO der Volkswagen Retail Group. Er berichtet an die Geschäftsführung. Zuvor war der studierte Informatiker seit 2015 Leiter IT bei der Weiss Umwelttechnik GmbH. Insgesamt bringt er Erfahrung aus drei Jahrzehnten als Fach- und Führungskraft in der IT mit, unter anderem bei der Salzgitter AG Group.
Simon Blankenstein Seit Oktober 2022 verantwortet Blankenstein als CIO die IT der Huf Group. Er berichtet an CFO Rainer Heupel. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört der weltweite Rollout von SAP S/4 HANA.
Tommy Andreasen Nach der Fusion von MAN Diesel und MAN Turbo wurde Tommy Andreasen, vorher CIO von MAN Diesel, Anfang 2010 CIO der neu geschaffenen MAN Diesel & Turbo Gruppe. In den vergangenen 20 Jahren übernahm Tommy Andreasen innerhalb der MAN Diesel Gruppe verschiedene Management Positionen, schwerpunktmäßig im Bereich Finanzen und Controlling. Im Jahr 2000 wurde er Head of Information Technology bei MAN Diesel in Dänemark und entwickelte und führte eine neue IT-Strategie ein. 2006 wurde er dann CIO des gesamten MAN Diesel Konzerns.
Zu den Learnings aus den ersten Monaten der Krise gehört für ihn: "Auf der einen Seite ist das Bewusstsein, wie stark wir von IT abhängig sind, in der Organisation massiv gestiegen. Auf der anderen Seite sind auch die Mitarbeiter in der IT selbstbewusster geworden, denn wir haben festgestellt, dass wir gut auf diese überraschende Situation vorbereitet waren." Zugleich ging es für den CIO frühzeitig auch darum, Kosten zu senken.
Schon zu Beginn des Jahres hatte das bayerische Unternehmen sein gruppenweites Performance-Programm zur Sicherung der Liquidität und des finanziellen Handlungsspielraums wegen der konjunkturellen Entwicklungen intensiviert. Fast alle Projekte, die nicht kundenrelevant waren, wurden im Rahmen des Programms zurückgefahren, externe Ausgaben auf ein Minimum reduziert. Auch alle IT-Projekte mussten innerhalb kürzester Zeit neu priorisiert werden.
S/4 HANA ohne externe Berater
Im seit Oktober 2019 laufenden S/4-HANA-Einführungsprojekt entschloss sich Mannmeusel zu einer drastischen Maßnahme. Um das strategische Projekt trotz des Kostendrucks fortführen zu können, trennte er sich von allen externen Beratern, die das Vorhaben begleiten sollten. Stattdessen lud er Mitarbeiter aus den gestoppten IT-Projekten in das eigene Migrationsteam ein und verdreifachte damit die interne Personalstärke.
Zwar gab es zunächst Bedenken, ob sich die Mitarbeiter das fehlende Wissen schnell genug aneignen könnten. Diese hätten sich aber bisher nicht bestätigt, so der CIO: "Die Kollegen sehen das als Chance, dazuzulernen." Zudem verfüge Webasto als SAP-Nutzer über langjährige Erfahrungen mit den Systemen des Walldorfer Softwarekonzerns.
Der CIO als Prozess-Optimierer
Neben seinem CIO-Posten hat Mannmeusel bei Webasto noch einen zweiten Hut auf: Als Executive Vice President Global Process Optimization entwickelt er die Unternehmensprozesse weiter. Ausgangspunkt war ein SAP-Rollout, der über mehrere Jahre lief, berichtet der promovierte Wirtschaftswissenschaftler. Gegen Ende des Projekts stellte sich die Frage, wie das Unternehmen die erworbenen Kompetenzen und Erfahrungen auch langfristig nutzen könne.
Auf Initiative des CIO gründete Webasto die Abteilung "Global Process Optimization" (GPO). Sie liegt als virtuelle Organisation über den bestehenden Fachfunktionen, Geschäftsbereichen und regionalen Strukturen. Mannmeusel: "Ziel ist es, crossfunktionale Prozesse nah am Business zu verbessern und zu standardisieren, Kosten zu senken, Silostrukturen aufzubrechen und auf globaler Ebene effizienter zu arbeiten." Dafür ernannte das Unternehmen für jede Fachfunktion einen "Director Processes, Methods and Tools". Dieser berichtet in einer Matrix-Struktur einerseits an Mannmeusel als Executive Vice President der GPO, andererseits auch an den jeweiligen funktional Verantwortlichen.
Der Director sei in diesem Konstrukt jeweils "End-to-End" für seine Prozesse verantwortlich, erläutert Mannmeusel. Er müsse dafür sorgen, dass alle relevanten Personen und Bereiche einbezogen werden und der übergreifende Austausch funktioniert. Erfolge misst Mannmeusel unter anderem daran, wie schnell ein optimierter Prozess läuft, wie viele Nutzer die neue Lösung tatsächlich verwenden, ob weniger Fehler passieren, und wie weit die Abläufe standardisiert sind.
Der übergreifende Charakter des Prozessthemas spiegelt sich auch in den Governance-Strukturen wider. Als CIO berichtet Mannmeusel an den CFO von Webasto, in der Funktion als EVP GPO an den Finanzchef und zugleich an den CEO. Ein Vorteil der GPO-Struktur liegt für den Manager darin, dass die Projektmitarbeiter nicht aus ihrer Abteilung gerissen würden und so ihre Identität verlören oder in einem Elfenbeinturm agierten. Widerstände gegen Change-Initiativen gebe es häufig, weil Kollegen sich entwurzelt fühlten, wenn traditionelle Abteilungen aufgelöst werden. Bei Webasto hätten die betroffenen Angestellten nun eben mehr als eine Heimat, sie arbeiteten in mehreren Teams gleichzeitig.
Eine Zukunft ohne IT-Abteilung?
Die Veränderungen, die Mannmeusel mit der GPO-Organisation angestoßen hat, passen zu seiner Vorstellung, wie sich Unternehmensstrukturen langfristig entwickeln werden. Seine Prognose: "Irgendwann wird es keine IT-Organisation im herkömmlichen Sinne mehr geben, sondern überwiegend Produkt- und Prozess-Teams, die über alle fachlichen und technischen Kompetenzen verfügen, um einen Service bereitzustellen und zu optimieren."
Unternehmen würden damit agiler und flexibler. Damit verbunden seien auch neue Konzepte wie Continuous Delivery and Integration und DevOps. Mannmeusel: "Die klassische Aufstellung mit getrennten Silos und wechselseitigen Service-Vereinbarungen ist auf lange Sicht einfach zu langsam und zu unflexibel."