Rückverfolgbarkeit

Produkte mit Lebenslauf

27.09.2006 von Christiane Pütter
Seit Anfang 2005 sind Produzenten und Vertreiber von Lebensmitteln nach EU-Richtlinie dazu verpflichtet, Kunden die Herkunft ihrer Produkte offen zu legen. Großhändler Metro nutzt ein Info-Terminal, T-Systems-Tochter Transparent Goods eine Plattform.

Der Mann im Verkäuferkittel kann nicht wirklich lachen. Eben hat ihm eine Kundin einen Witz erzählt: „Wenn der Löwe brüllt, zittert die ganze Steppe, wenn der Bär brüllt, zittert der ganze Wald – und wenn das Huhn hüstelt, zittert die ganze Welt.“ Vogelgrippe – noch zeigen sich die Verbraucher unbeeindruckt und greifen weiterhin zu Putenbrust und Hühnerbein. Aber der Leiter des Supermarktes weiß: Wenn Rinderwahn, Maden im Fisch oder Pestizide im Obst von den Medien durchgekaut werden, bekommt er ein Problem. Auch Kristian Möller vom Kölner Sekretariat der globalen Agrar-Initiative EurepGap stellt fest: „Jede öffentliche Diskussion über kontaminierte Lebensmittel schwächt das Vertrauen in die Produzenten, führt zu wirtschaftlichen Einbußen bei den Landwirten und im Handel und lässt den Ruf nach mehr Kontrolle laut werden.“ Gegensteuern soll nun die IT. Per Datenbank sollen Lebensmittel vom Supermarktregal bis aufs Feld rückverfolgbar sein.

Dabei setzen EurepGap – ein Zusammenschluss von 40 000 Landwirten und 33 Einzelhandelsketten aus 70 Ländern – und der Deutsche Fruchthandelsverband DFHV auf eine Lösung der Transparent Goods GmbH. Die T-Systems-Tochter wurde im Februar gegründet, Kunden wie Metro haben bereits angebissen. Die Lieferkette wird per Web-basierter Datenbank abgebildet: Jeder Erzeuger, Veredler und Händler weltweit kann sich registrieren lassen und seine Informationen zu den Produkten per Internet in eine zentrale Datenbank eingeben. Kostenpunkt: je nach Betriebsgröße drei bis hundert Euro im Jahr. Alternative für den Bauersmann ohne Technikvertrauen, Web-Browser und Internet-Zugang: Er übermittelt seinen Erntebestand und die Informationen zu verwendeten Düngemitteln per Brief, Fax oder Telefon in ein mehrsprachiges Kundencenter.

Im Ernstfall Produkte zurückrufen

Ein alphanumerischer Code mit 22 Stellen gibt Auskunft über den Weg von südafrikanischen Trauben oder Original Pumpernickel aus dem Westfälischen bis in den Supermarkt in Wanne-Eickel. Ziel ist es, alle relevanten Informationen zentral erfassen und abrufen zu können. Im Ernstfall können Produkte ohne viel Aufwand zurückgerufen werden.

EurepGap hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele landwirtschaftlich genutzte Felder über einen „Feldpass“ eindeutig identifizierbar zu machen. Dabei gibt jeder Landwirt an, welchen Dünger und Pflanzenschutz er einsetzt und mit welchen Produktionsmitteln er arbeitet, was und wie viel er geerntet hat. Die Datenbank soll künftig jede Fläche – Acker oder Scheune, Wald oder See – per Code darstellen können. Dazu Möller von EurepGap: „Erst durch dieses zentrale System haben wir einen Korrekturfaktor, mit dem wir landwirtschaftliche Betriebe permanent überprüfen und die Transparenz der Daten und somit die Sicherheit der Produkte verbessern können.“ Es ärgert ihn, wenn Bauern insgesamt in Verruf geraten, weil einzelne Erzeuger Mist abgeliefert haben.

Hinzu kommen die gesetzlichen Vorgaben: Die Verordnungen 178 / 2002 und 1830 / 2003 der Europäischen Union verlangen seit 2005 lückenlose Angaben über die Herkunft von Lebensmitteln, auf die Hersteller anderer Konsumgüter kommt diese Pflicht vermutlich schon 2007 ebenfalls zu. Seine standardisierten und zentralisierten Plattformen will Transparent Goods daher nun für den gesamten Handel aufzubauen.

www.eurepgap.org wenigen bekannt

Doch was nützt der Verbraucherschutz, wenn der Kunde ihn nicht sieht? Unter der Website www.eurepgap.org können Endverbraucher zwar eine Teilnehmerliste der Agrarinitiative abfragen – was voraussetzt, dass sie EurepGap überhaupt kennen. Doch beziffert Möller die Zahl der monatlichen Besucher derzeit auf magere 11300.

Gegenbeispiel ist EurepGap-Partner Metro: Der weltweit drittgrößte Einzelhändler serviert den Kunden alles Wissenswerte auf dem Silbertablett und stellt Info-Terminals in die Märkte. Paradebeispiel ist der Future Store in Rheinberg: 15 interaktive Terminals informieren über Herkunft und Inhaltsstoffe von Lebensmitteln und geben Tipps für Rezepte. Diese Terminals dienen nicht nur der Aufklärung, sondern auch dem Marketing. Denn 70 Prozent der Kaufentscheidungen fallen – so die Faustregel im Einzelhandel – am Point of Sale.

Der Future Store eröffnete Anfang 2003. Studien durch die Boston Consulting Group dokumentieren wachsendes Interesse des Endverbrauchers: Hatten im Juli 2003 noch 48 Prozent der Kunden angegeben, die Info-Terminals „mindestens einmal“ genutzt zu haben, waren es im März 2004 schon 51 Prozent und im April 2005 bereits 58 Prozent. Gerd Wolfram, Geschäftsführer der MGI Metro Group Information Technology, will eine Online-Warenrückverfolgung entlang der Lieferkette in Echtzeit für Obst, Gemüse und Fleisch implementieren. Für Eier ist sie bereits verfügbar. Um Abläufe in der Wertschöpfungskette besser managen zu können, entsteht derzeit eine RFID-basierte Plattform unter dem Namen Real Time Enterprise Services.

Die erste Bilanz von EurepGap-Sekretär Möller mit der weltweiten Datenbank ist trotz der schwachen Klickzahlen positiv. Hauptargumente für die IT-gestützte Rückverfolgbarkeit sind Zentralisierung und Standardisierung: Die Landwirte brauchen sich nicht an 20 verschiedene Händlersysteme anzupassen. Umgekehrt braucht sich der Handel, der im Zweifel für verdorbene Produkte Prügel bezieht, nicht mit diversen Zertifikaten und Gütesiegeln auseinander zu setzen, sondern kann sich auf EurepGap verlassen.

Skepsis gegen technische Innovation

Probleme ergeben sich bei der Umsetzung jedoch aus der Mentalität der Branche. Nicht jeder Teilnehmer gibt ohne zu zögern Kerndaten weiter. In einer Branche, inder vieles immer noch per Handschlag geregelt wird, setzen sich technische Innovationen nur langsam durch. Eine andere Hürde wurde berücksichtigt: Die Ausstattung mit IT. Weil Daten auch per Telefon übermittelt werden können, ist kaum jemand ausgeschlossen. Zudem organisieren sich Kleinstbauern in Asien oder Afrika in Initiativen mit Internet-Anschluss.

Wenn sich die Idee mit zentraler Datenbank und Info-Terminals auch in anderen Supermärkten durchsetzt, kann der Mann im Verkäuferkittel seine wegen Vogelgrippe verschnupfte Kundin künftig mit souveränem Lächeln an den Bildschirm schicken. Kein Witz, sondern Wertschöpfung.