Wenn im Baseler Werk ein Medikament wie das Blutdrucksenkungsmittel Diovan vom Band läuft, betreut ein einziges Produktionsteam alle Arbeitsschritte. Vom Milligramm genauen Abwiegen der Wirkstoffe über einzelne Herstellungsschritte bis hin zur Verpackung verantwortet eine autonome Arbeitsgruppe die Produktion. "Aber damit sie selbstständig die geforderten Leistungsvorgaben einhalten kann, wenn etwas schief läuft, braucht sie zusätzliche Informationen“, sagt Ralph Häfeli, Head of Global IT Systems bei Novartis Pharma in der Schweiz.
Ist eine Maschine kaputt? Fehlt Material? Wo wird während der Produktion Zeit verloren? Diese Angaben so bereitzustellen, dass eine Produktionsmannschaft damit arbeiten und auf Fehler sofort reagieren kann, ist keine einfache Aufgabe. Das Management bekommt über Reporting-Tools nicht nur regelmäßig Auswertungen über Umsatz und Absatz, sondern auch über die Auslastung der Maschinenparks und die Produktivität einzelner Werke rund um die Welt. "Aber das Betriebspersonal in der Werkshalle braucht keine historischen Auswertungen, sondern rund um die Uhr einen aktuellen Status der Produktion“, sagt Häfeli.
Eigentlich sollte das kein Problem sein, denn an Reporting-Werkzeugen für Unternehmensdaten herrscht kein Mangel. In Data Warehouses werden die Daten aus dem operativen Geschäft gesammelt und konsolidiert, mit Data-Mining-Verfahren durchforstet und mit Business-Intelligence-Funktionen sowie andere Anwendungen so zusammengefasst, dass sich die Entscheider auf einen Blick ein Bild von der Lage machen können. Das gilt in der Regel aber nur für Verwaltungsdaten.
Wirrwarr mit 70 Anwendungen
Dagegen sind Daten aus Werkshallen eine noch wenig erschlossene Welt. Auch in der Produktion arbeiten bei Novartis einige SAP-Anwendungen, etwa zur Lagerverwaltung. Doch in den Maschinenparks herrscht Wirrwarr: 70 unterschiedliche Anwendungen kommen zum Einsatz, etwa zur Produktionsplanung, zur Steuerung der Maschinen oder um Informationen zur Instandhaltung der Maschinen oder zu Umweltbelastungen zu sammeln.
Diese heterogene Informationswelt ist in den meisten Unternehmen bislang nur im Ausnahmefall direkt mit Geschäftsanwendungen wie etwa ERP-Systemen oder mit Echtzeit-Auswertungssystemen verknüpft. Laut einer Studie der US-Unternehmen AMR Research und Managing Automation hat lediglich ein Prozent aller Software-Hersteller die Integration zwischen ERP- und Echtzeit-Fertigungssystem automatisiert.
In Zeiten der Lean Production kann das für Probleme sorgen, zum Beispiel, wenn eine unerwartet verschmutze Anlage erst einmal gereinigt werden muss und deshalb die nachfolgenden Produktionsschritte nicht ausgeführt werden können. Weder das Management noch die Produktionsverantwortlichen wissen bei Störungen, wo das Problem liegt, solange sie nicht direkt vor der Maschine stehen. Bei den Novartis-Teams können diese Kommunikationsprozesse bei Fehlern teure Zeit kosten. Selbst wenn sie vor der ausgefallenen Maschine stehen, wissen Manager und die Maschinenführer nicht im Detail, in welcher Phase sich die Produktion befindet oder welche Zwischenbestände bereits vorhanden sind. „Die Produktion ist ein schwarzes Loch. Ein Auftrag geht rein, und irgendwann kommt aus der Werkshalle etwas raus“, beschreibt Steffen Himstedt, Mitgründer des Schweriner Software-Unternehmens Trebing & Himstedt Prozessautomation GmbH, die Situation in vielen Firmen.
MES-System verbindet Datenwelten
Ralph Häfeli will sich damit nicht abfinden. Alle wichtigen Informationen werden unter anderem im Manufacturing-Execution-System (MES), dem Fertigungs-Management-System bei Novartis Pharma, das die Betriebs-, Maschinensteuerungs- und Personaldaten in der Produktion sammelt, zusammengeführt. Zugleich schlummern in der SAP-Welt der Verwaltungssysteme die Auftragsdaten, die darüber Aufschluss geben, was bis wann produziert und geliefert werden muss. "Was uns fehlte, war eine Möglichkeit, all diese Daten in effizienter Art und Weise den Leuten in der Werkshalle zur Verfügung zu stellen", sagt Häfeli.
Die Lösung, auf die Häfeli nun setzt, stammt aus Walldorf: Es ist das SAP-Produkt namens xMII (xAPP Manufacturing Integration and Intelligence). Es ermöglicht die sogenannte Manufacturing Integration, die Verknüpfung von Angaben aus Produktions- und Verwaltungssystemen. Die Anwendung arbeitet als zentraler Integrationsknoten und setzt auf die bereits bestehende IT-Infrastruktur bei Novartis auf.
Sie zieht Daten aus den verschiedenen BUS-Systemen, aus Produktionsplanung und Maschinensteuerung, und SAP-Anwendungen zusammen. Alle Informationen, die die Produktion betreffen, sind in Echtzeit verfügbar - einschließlich Daten zu Aufträgen, Materialien, Anlagenstatus, Kosten und Produktqualität. Die Lösung bereitet sie inhaltlich und visuell so auf, dass sie für den Anwender einen betriebswirtschaftlichen Zusammenhang ergeben. "Wir setzen hier bewusst nicht auf eine Data-Warehouse-Lösung“, sagt Häfeli. "Wir müssen die meisten Informationen nur eine kurze Zeitlang zwischenspeichern, denn im Grunde interessiert keinen der Maschinenzustand vor einer halben Stunde, wenn alles glatt läuft. Es geht nicht darum, mehr Daten zu generieren, sondern aus den vorhandenen Produktionsdaten die relevanten herauszufiltern."
Der Ansatz unterscheidet sich massiv vom Reporting für das Management, wo es um die Vollständigkeit der analytischen Auswertung geht. Jedes Teammitglied soll nur die Angaben sehen, die es direkt für seine Arbeit braucht. "Die Lösung ersetzt nicht das Reporting, sondern ergänzt es", sagt Häfeli. Die grafischen Anzeigen für die Teamarbeiter sind bewusst einfach gehalten. Rote und grüne Ampelanzeigen signalisieren, ob die Produktion läuft wie geplant. Die Maschinenführer sollen keineswegs mit Angaben überflutet werden. Oft werden sogar nur Teile der Produktion angezeigt.
Infos auf Fabrikwand projiziert
Um zu erkennen, ob es Probleme gibt, blicken die Team-Mitglieder nur im Ausnahmefall auf einen Computerbildschirm. Schließlich sind sie in den engen Werkshallen an ihren Arbeitsplätze und müssen die Maschinen bedienen. "Sie haben keine Zeit, während der Arbeit zu einem Computer zu gehen und nachzusehen, wie der Status ist“, sagt Häfeli. Folglich werden die Angaben aus den Werkshallensystemen so aufbereitet, dass sie über Informationsterminals nahe der Maschinen angezeigt oder einfach vergrößert direkt an die Wände der Fabrikhallen projiziert werden.
Die ersten Prototypen des Werkshallen-Informationssystems testet derzeit Novartis in der pharmazeutischen Produktion in Spanien und in der chemischen Produktion in England. Doch nicht nur für das kontinuierliche Sicherstellen der Produktivität hat Novartis nun ein Werkzeug. Auch die Auslastung von Maschinen kann in den Reports für das Management genauer als bisher dokumentiert werden. Schwachstellen und Engpässe in der Produktion und in den Arbeitsabläufen lassen sich sehr viel genauer identifizieren als bisher.
Derartige Bindeglieder zwischen der Unternehmens- und der Produktionsebene zu schaffen, hält Berater Jakov Cavar bei Pierre Audoin Consultants "für einen sinnvollen Ansatz. Die Echtzeitdaten aus den Anlagen stehen bislang nur in wenigen Unternehmen in den Planungssystemen zur Verfügung.“ Neben Novartis arbeitet beispielsweise auch der Pharmakonzern Hoffmann-La Roche an einer Anbindung seiner Produktionssysteme an SAP/R3 mit Hilfe von xMII. Auch viele Automobil- und Fertigungsunternehmen interessieren sich für die Lösungen, um die unterschiedlichen IT-Ebenen von Verwaltung und Fertigung miteinander zu verzahnen.