BUSINESS-COMMUNITIES

Produktivwerkzeug oder Arbeitszeit-Killer

05.11.2001 von Harald Schiller
Business-Communities sollen den Informationsaustausch zwischen Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern optimieren. Die Plattformen können sich jedoch leicht zu Arbeitszeitvernichtern entwickeln.

VOR SECHS MONATEN ging für Frank Schöndienst ein Albtraum zu Ende. Bis dahin hatte sich der Verkaufsleiter des Hamburger VW-Vertriebspartners Raffay oft stundenlang durch staubige Aktenlabyrinthe und zerfledderte Kataloge wühlen müssen. Heute kommt er schneller zum Ziel: „Ich finde Produktinformationen, Leasing-Konditionen und wichtige Nachrichten im Internet. Pro Tag brauche ich dafür selten länger als zehn Minuten.“

Schöndienst ist einer von rund 30000 registrierten Nutzern des „Partnernet“, der von Volkswagen initiierten Online-Community für die Vertriebspartner. Ihr Zweck: schnellere und einfachere Kommunikation der Händler mit dem Werk. Ein erfolgreiches Unterfangen, so scheint es: Als VW im Juli 2001 das Emnid-Institut bei den Autohäusern nachfragen ließ, bezeichneten 67 Prozent der Autohaus-Manager die Community als „unverzichtbar“.

Gerade in der intensiven Nutzung steckt jedoch ein Risiko, weiß Schöndienst: „Im Partnernet muss man mit der Fülle der Inhalte richtig umgehen. Ein personalisierter Community-Zugang ist ein Muss, wenn man nicht in Informationen ertrinken will.“ Den Initiatoren in Wolfsburg war das offenbar bewusst, denn bei den Einführungsschulungen für die Vertriebspartner war das Internet als Arbeitszeitkiller ein wichtiges Thema, berichtet der Raffay-Mann.

Die Anbieter von Community-Lösungen reden nicht gern darüber, wissen aber nur zu gut, dass sie ihren Kunden womöglich ein Kuckucksei ins Nest legen. „Die größte Herausforderung bei der Einführung von Business-Communities besteht darin zu ermitteln, wer was wissen muss“, sagt Moritz Seidel, CEO der Münchner Firma Webfair und früher Berater bei Roland Berger und Partner. Webfair hat die Business-Plattform für VW entwickelt. „Für die Unternehmenskultur mag es gut sein, dass jemand alles über seine Firma weiß“, sagt Seidel. Zugleich räumt er ein: „Die Erlangung dieses Wissens vernichtet Arbeitszeit.“ Die Rechtevergabe, wer welche Informationen lesen und nutzen darf, ist nach seiner Erfahrung der entscheidende Erfolgsfaktor für Business-Communities: „Nicht jeder muss alles wissen.“

Und: Nicht jeder muss alles verbreiten, was er weiß. Das ist die zweite Community-Weisheit. Denn wenn persönliche Eitelkeiten ins Spiel kommen, bremst das die Produktivität. Die Theorie: Mitglieder liefern eigene Beiträge, zum Beispiel betriebliche Verbesserungsvorschläge, mit denen sie sich profilieren können und von denen die ganze Community profitiert. Die Praxis sieht jedoch nicht selten ganz anders aus, weiß Uwe Hofmann, Gründer und IT-Vorstand der Internet-Jobbörse Jobfair 24: „Schon nach einem Monat lässt die Begeisterung oft nach, und die Beiträge werden immer schlechter. Oder es gibt Streitereien zwischen den Mitgliedern, bevor das Projekt dann nach zwei Monaten begraben wird.“ Hofmann hält die herrschende Community-Euphorie deshalb für maßlos übertrieben.

Ein anderes Problem ist der Online-Benimm: Von erstaunlich rüden Umgangsformen, auch in professionellen Communities, berichtet Oliver Mack, Mitglied der Task-Force „Business Communities im Internet“ am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. „Das Verhalten der Business-Community-Mitglieder unterscheidet sich grundsätzlich nicht von dem privater Community-Nutzer. Genau wie bei AOL gibt es Pöbeleien, Streit und Ärger.“ Mack fordert deshalb eine Kontrolle und regulierende Eingriffe, genau wie sie in moderierten Internet-Foren für Privatnutzer aller Interessenlagen üblich sind. Seine dringende Empfehlung: Jede Community brauche eine Art „Bürgermeister vom Dienst“.

Dessen Machtfülle sollte indes begrenzt sein, warnt der Fraunhofer-Mann vor zu rigidem Community-Controlling. „Jeder Mitarbeiter sollte selbst bestimmen, wie lange er sich in seiner Community aufhält. Das ist eine Frage der Unternehmenskultur, und die verändert sich durch das Internet generell“, gibt Mack zu bedenken.

Die Lösung könne nur darin liegen, die Nützlichkeit von Informationen durch alle Mitglieder einer Community bewerten zu lassen. Wer den Kollegen immer wieder mit seinem Lieblingstipp aus der privaten Trickkiste auf den Wecker fällt, wäre damit nach kurzer Zeit exkommuniziert. Mack empfiehlt ein Ranking anhand der Fragen: „Was hat mir sehr geholfen? Was hat mir nicht geholfen? Das würde dazu führen, dass man nur noch die besten Beiträge lesen muss.“

Nur hinter vorgehaltener Hand verraten indes die Mit- glieder weniger gut funktionierender Communities, wie sie sich trotzdem erfolgreich untereinander austauschen: Face-to-Face in der Kaffeküche, beim Meeting, per Fax oder am Telefon. Das klappt so gut wie immer.

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Amy Jo Kim
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