Rund 30 Prozent der Prozesskosten will Thomas Holzgreve, kaufmännischer Vorstand von Dräger Safety, bis zum Jahr 2005 einsparen. Zugleich soll die Liefertreue auf mehr als 95 Prozent erhöht und der weltweite Lagerbestand erheblich abgebaut werden. "Der Logistikpreis und die starken Einsparungen durch das Projekt 'STIL'; (Sicherheitstechnik Integration Logistik, Anm. d. Red.), das seit 1997 läuft, haben uns gezeigt, wie viel Potenzial in der Logistik steckt; und das ist trotz entscheidender Verbesserungen noch lange nicht ausgeschöpft."
Begonnen hat Holzgreve das Projekt nicht aus Liebhaberei, sondern weil nach der SAP-Einführung 1996 klare logistische Mängel zutage traten: Die Liefertreue lag trotz gut gefüllter Lager bei mageren 60 Prozent. Mehr als die Hälfte der Artikel, die sich in den Lagern der Zentrale und den Niederlassungen türmten, wurden nicht mehr bestellt. Durchschnittlich verstrichen 14 Tage zwischen dem Eingang eines Auftrags bei einer Vertriebsgesellschaft und dessen Eintreffen in Lübeck. Bedarfs- und Absatzplanung waren nicht aufeinander abgestimmt, Informationen aus den Niederlassungen über Marktschwankungen kamen zu spät oder überhaupt nicht in der Zentrale an. Ein Logistikexperte äußerte damals die Vermutung, dass Dräger bei den vorhandenen Kunden-LieferantenBeziehungen wohl allein aufgrund der Qualität seiner Produkte auf dem Weltmarkt bestehen könne.
Weglassen, vereinfachen, automatisieren
"Wir hatten also beste Voraussetzungen, um mit einer verbesserten Logistik sofort messbare Erfolge zu erzielen", erinnert sich Vorstand Holzgreve. Unter dem Motto "Weglassen, vereinfachen, automatisieren" rief Dräger das Projekt STIL ins Leben. Eine genaue Analyse des Artikelbestands gab die Route vor: Von den 22000 vorhandenen Positionen sorgten 400 bis 500 für 80 Prozent des Umsatzes. Zudem setzte sich ein Großteil des Bestands aus Artikeln zusammen, die wegen Einführung eines Nachfolgeprodukts schlicht unverkäuflich waren.
Mit diesen Erkenntnissen war es innerhalb von zwei Jahren möglich, die Zahl der Positionen auf 8000 und den Bestand um ein Viertel zu reduzieren - und das ohne Umsatzeinbußen. Zugleich wurde die Durchlaufzeit der Aufträge auf zwei Tage verringert und die Liefertreue auf rund 90 Prozent gesteigert. Nach Stagnation in den Vorjahren stieg der Umsatz erstmals wieder; der Gewinn verdoppelte sich nahezu (Ebit von 8,9 auf 16,5 Millionen Euro). Seither verzeichnete man fünf Jahre in Folge steigenden Umsatz und Gewinn - wozu die Logistiklösung nach Holzgreves Einschätzung entscheidend beigetragen hat.
95 Prozent Liefertreue müssen sein
Das laufende Nachfolgeprojekt zielt auf die Verringerung des eingesetzten Kapitals durch eine weitere Reduzierung der Lagerbestände und eine starke Senkung der Prozesskosten in einer Größenordnung um 30 Prozent. "Zudem streben wir eine dauerhafte Liefertreue von mehr als 95 Prozent an; im Oktober 2002 haben wir das erstmals erreicht", freut sich Holzgreve. Eckpfeiler sind die globale Planung der Nachfrage, die globale Auftragsabwicklung ohne manuelle Schnittstelle sowie die Zentralisierung der Bestände in weltweit drei oder vier logistischen Knoten ("Logistik-Hubs"), die direkt an Endkunden liefern sollen.
Überzeugungsarbeit in der Belegschaft
Es galt allerdings nicht nur, IT-Probleme zu lösen. Denn transparente Prozesse verändern auch die Strukturen und bringen klare Verantwortlichkeiten mit sich. Schon seit Beginn des ersten Projekts haben Holzgreve und Zott deshalb die Beteiligten zu regelmäßigen "Projekttagen" zusammengerufen - anfangs alle zwei Wochen. "Wir mussten viel Überzeugungsarbeit leisten und die Mitarbeiter für die Sache gewinnen, was nicht immer einfach war", erinnern sich die Partner. Es ging darum, Vertrauen zu schaffen: "Wenn wir den Niederlassungen nicht glaubwürdig vermitteln können, dass wir uns an unsere Lieferzusagen halten, horten sie natürlich mehr Ware vor Ort, um ihre Kunden bedienen zu können." Auch im aktuellen Projekt haben die bewährten Meetings ihren Platz: Ein halber Tag alle vier Wochen ist dafür fest eingeplant.
Um die Prozesskosten zu senken und die 30 Auslandsgesellschaften mit heterogener IT-Landschaft in eine gemeinsame Supply Chain zu integrieren, galt es zuerst die Frage zu beantworten, welche Prozesse für die globale Auftragsabwicklung und Planung gleich sein müssen. "Schon im ersten Schritt hatten wir die Artikeldaten weltweit in einem Global Master zusammengeführt - das ist unbedingte Voraussetzung für die automatische Abwicklung einheitlicher Inter-Company-Prozesse", erklärt Zott. Obwohl die Tochtergesellschaften unterschiedliche ERP-Systeme im Einsatz haben, lasse sich durch die Harmonisierung aller wichtigen Daten auf einer Konzerndatenbank die in der Vergangenheit gewachsene Heterogenität hervorragend beherrschen. Im Unternehmenssitz in Lübeck, wo die zentrale IT beheimatet ist, kommt SAP zum Einsatz, ebenso bei den großen europäischen Tochterunternehmen - in England, Singapur und den USA. "Es ist aber nicht unser Ziel, alle Töchter auf SAP umzustellen", macht Holzgreve klar. Für kleinere Niederlassungen mit weniger als 20 Mitarbeitern sei das unangebracht: zu komplex, zu teuer.
Zudem kann er sich gut vorstellen, dass Dräger künftig nicht nur organisch wächst, sondern auch durch weitere Unternehmenszukäufe. Dann sei es vor allem wichtig, die neue Tochter möglichst schnell in die Supply Chain einzubinden, ohne vorher das Unternehmen komplett - und meist langwierig - auf eine andere ERP-Software umstellen zu müssen. Und auch identische ERP-Systeme, weiß Logistikexperte Zott, sind noch kein Garant für eine reibungslose Kooperation: "Selbst SAP-Systeme gleicher Version können so unterschiedlich konfiguriert sein, dass sie sich ohne Anpassung nicht zusammenfügen lassen."
Auftragsabwicklung ohne ERP
Dräger hat indes einen anderen Weg beschritten: Aufträge und Artikel werden ausschließlich über ein Erfassungsprogramm auf Basis des MSE-Werkzeugs Point-out erfasst. Das Programm kommuniziert über den Logistic Data Bus, der die unterschiedlichen Datenformate in einer einheitlichen Tabellenstruktur ablegt, mit der zentralen Oracle-Datenbank. Die Daten werden in Echtzeit übernommen und - wiederum über den Logistic Data Bus - aus der Datenbank in das lokale ERP-System und die an Produktion und Abwicklung beteiligten Systeme übermittelt. "Auf diese Weise erreichen wir eine virtuelle, standortübergreifende Auftragsabwicklung; es ist doch kein Dogma, dass Aufträge in ERP-Systemen erfasst werden müssen", so Logistiker Zott. Ein weiterer Vorteil: Mit der globalen Datenbank können sowohl Zulieferer als auch Webshops und Marktplätze wie das Branchenportal CC-Chemplorer kommunizieren.
Keine absolute Gleichförmigkeit
Dem Anschluss einer Niederlassung geht der "Logistic Fingerprint" voraus. Dabei ermitteln die Logistikexperten von Dräger und MSE die lokalen Datenstrukturen und Prozesse, um sie an die Tabellenstruktur der globalen Datenbank anzupassen. "Wir trimmen dabei die Töchter nicht auf absolute Gleichförmigkeit", sagt Holzgreve. "Wir vereinheitlichen nur die für standortübergreifende Prozesse relevanten Daten." Das Projektgeschäft etwa, das die einzelnen Tochterunternehmen nach wie vor unterschiedlich abwickeln, werde nicht standardisiert. "Wir müssen nicht in die Prozesse der Niederlassungen für ihre Projekte eingreifen; sie stehen der globalen Supply Chain nicht im Weg und sind in der Regel sehr gut an die lokalen Gegebenheiten angepasst. Eine Vereinheitlichung brächte hier keine Vorteile."
Bisher sind 10 der 30 Landesgesellschaften - darunter die umsatzstärksten in Deutschland, England, Holland, Singapur und den USA - an das zentrale System angebunden. Die anderen bestellen zurzeit noch per Fax oder E-Mail. Diesen Bestellweg will Holzgreve bis 2005 beseitigt haben; bis dahin soll auch die letzte Niederlassung an das Logistiksystem angeschlossen sein.