Nur wenige Stimmen haben sich zum sogenannten Start der eGK geäußert, der mit der Ausgabe der Karten beginnen sollte. Dabei ist es ja schon eine kleine Sensation, dass dieses langjährige Vorhaben des deutschen Gesundheitswesens überhaupt noch am Leben ist. Sogar eine neue, wenn nicht die endgültige Phase dieses Dauerbrenners sollte mit der Kartenausgabe beginnen. Aber keine Jubelfeiern nirgends, keine speziellen Veranstaltungen oder Events, keine Politikerreden inner- oder außerhalb des Deutschen Bundestags. Nichts. Einfach nichts.
Die Krankenkassen waren vom Bundesgesundheitsministerium aufgefordert worden, mindestens 70 Prozent ihrer Mitglieder bis zum Jahresende 2012 zu überzeugen, ein erforderliches Passfoto für die neue eGK zur Verfügung zu stellen. Würde eine Kasse das nicht schaffen, sollen ihr für das Jahr 2013 Zuschüsse zu den Verwaltungskosten gekürzt werden. Das Foto des Versicherten soll die Karte vor Missbrauch durch andere Personen schützen. Die Frist wurde dann bis Ende Januar 2013 verlängert.
Keine offizielle Bestätigung, ob Quote erreicht
Die "Welt online“ titelte am 13. Februar 2013: "Fast alle Versicherten besitzen elektronische Gesundheitskarte“. Der dazugehörige Agenturtext von dapd berichtete dann aber nur davon, dass die AOK Sachsen-Anhalt mit 94 Prozent das vom Gesetzgeber geforderte Quorum überschritten habe. In Deutschland gibt es 70 Millionen gesetzlich Versicherte und 134 gesetzliche Krankenkassen.
Generell scheint es so zu sein, dass nur die großen Krankenkassen ihre Mitglieder dazu bewegen konnten, ihre Passfotos zu schicken. Es gibt bisher keine offizielle Bestätigung dafür, ob alle Kassen die Auflage des Bundesgesundheitsministeriums erfüllt haben und wie viel Prozent der Versicherten insgesamt mit der neuen Karte, die die bisherige Krankenversicherungskarte (KVK) ablösen soll, ausgestattet wurden.
DAK, TK und Barmer GEK und auch alle elf deutschen AOKs sollen es nach anderen Meldungen geschafft haben. Damit dürfte die Mehrheit der Versicherten erfasst worden sein. Was mit den anderen geschieht, bleibt offen.
Versicherte unter Druck gesetzt
Einige Kassen haben die gesetzlich vorgegebene Quote wohl nur erreicht, indem sie ihre Mitglieder massiv unter Druck gesetzt haben. Mit den Formulierungen in ihren Anschreiben an die Versicherten sollen sie sich "häufig am Rand des Erlaubten bewegt“ haben. Der "Tagesspiegel“ schrieb am 28. Januar 2013 dazu: "Versicherte mussten teilweise den Eindruck bekommen, sie seien verpflichtet, der Aufforderung der Kasse nachzukommen.“ In einem Schreiben der Techniker Krankenkasse (TK) vom Oktober 2012 hatte es zum Beispiel geheißen: "Sobald für alle Versicherten die bisherige Krankenversichertenkarte für ungültig erklärt wird, können Leistungen nur noch über die elektronische Gesundheitskarte abgerechnet werden. Ohne die neue Karte kann es dazu kommen, dass Sie für in Anspruch genommene Leistungen eine Privatrechnung erhalten. Diese Kosten können wir leider nicht erstatten.“
Beide Aussagen der TK waren nicht zutreffend, und inzwischen hat sich die Kasse auch davon distanziert. Aber ihren beabsichtigten Effekt haben die Schreiben wohl erreicht. Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) berichtete am 11. Februar 2013, dass auch andere Kassen zu solchen Druckmitteln gegriffen hatten. Tatsache sei jedoch, dass jeder Versicherte, der seine Beiträge ordnungsgemäß gezahlt hat, auch weiterhin Anspruch auf Leistungen seiner Kasse habe. Und das sogar ohne das geforderte Passbild, wie man bei der Verbraucherzentrale Hamburg sagt.
Professionelle Verschleppung von guten Ideen
Im übrigen steht noch nicht einmal fest, ab wann die alten Krankenversicherungskarten nicht mehr gültig sein sollen und nur noch die neuen eGKs gelten. Eigentlich hatten sie schon 2006 eingeführt werden sollen. Doch zahlreiche Sicherheitsbedenken sowie Interessenskonflikte zwischen den beteiligten Krankenkassen, den Ärzteverbänden und dem Bundesgesundheitsministerium hatten zu einer fortlaufenden Verschleppung des Projekts geführt.
Die wenigen Berichte, die das Thema eGK inzwischen überhaupt noch hervorruft, erwähnen häufig nicht einmal mehr den wesentlichen Grund, warum das Projekt auch nach 70 oder mehr Prozent verteilten neuen Karten noch immer nicht zum Laufen kommt. Denn die neue Karte kann im Moment auch nicht mehr als die alte.
Um alle Möglichkeiten zum Speichern und Lesen der Patientendaten im Rahmen der Telematik-Infrastruktur nutzen zu können, müssen Arzt- und Zahnarztpraxen sowie Krankenhäuser erst einmal mit den dazu notwendigen Online-Konnektoren ausgestattet werden. Ohne einen flächendeckenden Roll-out dieser Geräte tut sich nichts mit der geplanten Telematik-Infrastruktur.
Milliarden Euro in den Sand gesetzt
Bis zu ihrer Verwirklichung könnte es noch etwas dauern. Aktuell gibt es nicht einmal ein Datum für den Roll-out. Zur Zeit laufen Verhandlungen zwischen der Projektgesellschaft zur Umsetzung der eGK-Pläne, der gematik, und der IT-Industrie, wie die Testverfahren zum Roll-out aussehen sollen und welche Geräte letztendlich taugen. Außerdem teilte die gematik vor kurzem in einer Pressemeldung mit: "Im zweiten Quartal 2013 soll der Zuschlag für die Erprobung der Aktualisierung der Versichertenstammdaten und die qualifizierte elektronische Signatur (QES) erteilt werden.“ Es wird also weiterhin nur langsam vorangehen.
Vielleicht sollte man an dieser Stelle noch einmal an die Ursprungsideen des Projekts erinnern. Der "Tagesspiegel“ (26. Januar 2013) hat es so formuliert: "Eigentlich sollte die Gesundheitskarte das Bezahlsystem der Kassen revolutionieren, Versicherungsbetrug verhindern, Kosten sparen, Notfalldaten und Patientenakten speichern und den Austausch zwischen Ärzten erleichtern. Doch all das steht noch in den Sternen, die Realität sieht anders aus.“
Seit 2005 seien Milliarden Euro in das Projekt investiert worden. Und ein Sprecher der "gematik“ hat im Jahr 2009 die möglichen Gesamtkosten des Projekts auf 14 Milliarden Euro beziffert. Der Tagesspiegel kommentiert: "Viel Geld für eine Karte, die bislang bis auf ein Foto des Versicherten die gleichen Funktionen hat wie die alte Versichertenkarte.“